Zweiter Artikel. Die Beschneidung ward zukömmlicherweise eingesetzt.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. In der Beschneidung vollzog sich ein Bekenntnis des Glaubens. Von der Sünde Adams aber konnte niemals jemand gereinigt werden außer durch den Glauben an das Leiden Christi, nach Röm. 3.: „Den da Gott vorgestellt hat als Sühner in seinem Blute.“ Also hätte gleich nach der ersten Sünde die Beschneidung eingesetzt werden müssen. II. In der Beschneidung bekannte sich der Mensch „verpflichtet zur Beobachtung des ganzen Gesetzes“ (Gal. 5.). Also mußte die Beschneidung eingesetzt werden zur Zeit des Moses und nicht zur Zeit Abrahams. III. Die Beschneidung war eine Figur der Taufe, die allen Völkern dargeboten wird, nach Mark. ult. 19. Also hätte die Beschneidung eingesetzt werden müffen für alle Völker und nicht bloß für die Juden. IV. Die fleischliche Beschneidung mußte entsprechen der geistigen. Die Taufe aber kommt beiden Geschlechtern unterschiedslos zu. Also hätte etwas Anderes eingesetzt werden müssen und nicht die Beschneidung, die bloß dem männlichen Geschlechte galt. Auf der anderen Seite ist nach Gen. 17. die Beschneidung von Gott eingesetzt, dessen Werke vollkommen sind.
b) Ich antworte, die Beschneidung sei vorbereitend gewesen für die Taufe als ein gewisses Bekenntnis des nämlichen Glaubens, den wir bekennen in der Taufe. Im Alten Bunde aber hat unter den Altvätern Abraham zuerst empfangen die Verheißung rücksichtlich der Geburt Christi, nach Gen. 22.: „In deinem Samen werden gesegnet werden alle Voller der Erde.“ Abraham auch hat sich zuerst getrennt von der Gemeinschaft der ungläubigen, nach Gen. 13.: „Gehe heraus aus deinem Lande.“ Also zukömmlicherweise ward die Beschneidung eingesetzt in Abraham.
c) I. Unmittelbar nach Adams Sünde, der einzig von Gott belehrt ward, waltete noch kräftig der Glaube und das Naturgesetz im Menschen, so daß es keines äußeren Anstoßes und keiner äußerlichen Zeichen dafür bedurfte. Jeder drückte seinen Glauben nach Belieben durch eigens gewählte Zeichen aus. Zu Abrahams Zeiten aber war minder geworden der Glaube, indem viele zur Götzendienerei hinneigten; und verdunkelt wurde das Naturgesetz dmch das Anwachsen der fleischlichen Begierlichkeit bis zu Sünden gegen die Natur. Und so war es zukömmlich, daß zu dieser Zeitdie Beschneidung eingesetzt wurde als Bekenntnis des Glaubens und als Verminderung der fleischlichen Begierlichkeit. II. Die Beobachtung des Gesetzes durfte erst gelehrt werden, nachdem ein Volk bereits zusammen da stand, insofern das Gesetz dem öffentlichen Wohle dient. Dieses Volk Gottes aber mußte mit Hilfe eines sinnlichen Zeichens angesammelt und zusammengehalten werden. Und so wurde zukömmlicherweise, wie es ja notwendig ist, daß zu jeder Religion die Menschen durch äußere Zeichen vereinigt werden (Aug. 19. cont. Faustum c. 11.), zuerst die Beschneidung eingesetzt, ehe das Gesetz gegeben ward. Die Vorväter haben, nach Gen. 18, 19., ihre Familien unterrichtet über die göttlichen Dinge nach Weise väterlicher Ermahnungen. III. Die Taufe enthält in sich die Vollendung des Heiles, zu dem Gott alle ruft, „der da will, daß alle selig werden“ (1. Tim. 2.). Und danach wird die Taufe allen angeboten. Die Beschneidung aber enthielt nicht die Vollendung des Heiles, sondern war nur eine Figur für das Heil, das Christus wirken sollte. Und deshalb ward sie bloß jenem Volke gegeben, aus dem Christus geboren werden sollte. IV. Die Beschneidung wurde eingesetzt als Zeichen des Glaubens des Abraham, der da glaubte, er werde der Stammvater des verheißenen Christus sein; und deshalb kam sie zukömmlicherweise nur dem männlichen Geschlechte zu. Die Erbsünde, gegen welche die Beschneidung im besonderen eingesetzt wurde, ward ebenso vom Vater her vererbt, nicht von der Mutter her (I., II. Kap. 81, Art. 5.). Dagegen enthält die Taufe die Kraft Christi, also die allumfassende Ursache des Heiles aller und des Nachlasses aller Sünden.
