Vierter Artikel. Die Beschneidung verlieh die Gnade, die von der Erbsünde rechtfertigte.
a) Dem widerspricht Folgendes: I. Gal. 2.: „Wenn auf Grund des Gesetzes Gerechtigkeit verliehen wird, so ist Christus zwecklos gestorben.“ Die Beschneidung aber schloß die Verpflichtung ein, „das ganze Gesetz zu beobachten“ (Gal. 5). Wenn also die Beschneidung Gnade verlieh, die rechtfertigte, so ist Christus zwecklos gestorben. II. „Was bei uns die Taufe vermag, das vermochte bei den Alten (vor der Beschneidung) der Glaube allein,“ sagt Gregor der Große (4. moral. 3.). Die Kraft des Glaubens aber ist nicht minder geworden durch die Beschneidung. Also der Glaube allein (der Eltern) nützte den Kindern, nicht die Beschneidung.III. In der Wüste ward nach Josue durch die da zugebrachten vierzigJahre niemand beschnitten. Also kamen alle, die da gestorben sind, in die Hölle. Und dasselbe ist der Fall mit den Kindern, die vor dem achten Tage starben. IV. Nur die Sünde hindert den Eintritt in den Himmel. Die vor dem Leiden Christi beschnittenen aber durften nicht den Himmel betreten. Also waren sie nicht gerechtfertigt von der Sünde. V. Die Erbsünde wird nicht vergeben, ohne daß damit zugleich die persönlich begangene Sünde vergeben würde; denn „gottlos ist es, einen halben Nachlaß von Gott erhoffen“ (Aug. de vera et fals poenit. 9.). Nirgends aber wird gelesen, daß durch die Beschneidung die persönlich begangenen Sünden nachgelassen wurden; also auch nicht die Erbsünde. Auf der anderen Seite schreibt Augustin (2. de nupt. et conc. 11.): „Seit die Beschneidung eingesetzt ward im Volke Gottes, die da als Merkmal der Gerechtigkeit des Glaubens galt, war sie wirksam in den kleinen für den Nachlaß der Erbsünde; wie ja auch die Taufe wirksam ist für die innere Erneuerung des geistigen Lebens, seit der Zeit daß sie eingesetzt worden.“
b) Ich antworte, alle geben zu, die Beschneidung habe von der Erbsünde gereinigt. Jedoch meinten einige, sie hätte nur dies gewirkt und keinerlei Gnade verliehen, wie Lombardus dies thut (1. dist. 4. Sent.) und die Glosse zu Röm. 4. Doch dies ist falsch. Denn die Schuld wird nur kraft der Gnade nachgelassen, nach Röm. 3.: „Gerechtfertigt unverdienterweise durch seine Gnade.“ Andere meinten daher, die durch die Beschneidung verliehene Gnade hätte nur zur Entfernung der Schuld gedient, aber sonst keine positiven Wirkungen gehabt; damit sie nicht gezwungen seien, zu sagen, diese Gnade habe genügt, um die Gebote des Gesetzes zu erfüllen und somit sei die Ankunft Christi unnütz gewesen. Doch auch dies kann nicht bestehen. Denn durch die Beschneidung erhielten die Kinder die Fähigkeit, zu geeigneter Zeit zur Herrlichkeit zu gelangen, was die letzte Wirkung der Gnade ist; — und ebenso sind immer vorher die positiven Wirkungen einer .formalen Ursache wie die privativen, die den Mangel des Entgegengesetzten besagen; denn eine jede Form schließt eben dadurch den Mangel aus, daß sie dem betreffenden Subjekte innewohnt. Deshalb sagten wieder andere, die Beschneidung verleihe nur so viele Gnade, wie viel zu dieser einzigen Wirkung, die das ewige Leben ist, notwendig erscheint; aber nicht, wie viel erfordert wird, um den Fleischesstachel zu überwinden und die Gebote des Gesetzes zu erfüllen. Dieser Meinung war ich früher ebenfalls (4. d. i. q. 2. art. 4. q. 3.). Wer aber genau die Sache überlegt, muß auch diese Meinung für falsch erklären. Denn die geringste Gnade genügt, alle Begierden zu überwinden und jede Todsünde zu meiden. Die geringste heilige Liebe auch liebt Gott und seine Gebote mehr wie die Begierde begehrt „Tausende von Gold und Silber.“ Deshalb also muß man sagen: die Beschneidung verlieh Gnade für alle Wirkungen der Gnade, anders aber wie die Taufe. Denn in der Taufe wird Gnade verliehen kraft der Taufe selbst, insoweit diese ein Werkzeug ist des bereits stattgehabten Leidens Christi. In der Beschneidung aber ward Gnade verliehen; nicht kraft der Beschneidung selber, sondern kraft des Glaubens an das Leiden Christi, dessen Zeichen und Bekenntnis die Beschneidung war; so zwar, daß der Mensch, der die Beschneidung empfing, damit bekannte, er habe einen solchen Glauben, der erwachsene für sich, für das Kind ein anderer, und so ward er gerechtfertigt. Deshalbsagt der Apostel (Rom. 4.): „Es empfing Abraham das Zeichen der Beschneidung als Merkmal der Gerechtigkeit des Glaubens;“ denn die Gerechtigkeit folgt aus dem durch das Zeichen ausgedrückten Glauben; nicht aus der Beschneidung selber, die nur Zeichen war. Und weil die Taufe wirkt wie ein Werkzeug in der Hand des Leidens Christi, nicht aber so die Beschneidung; deshalb drückt die Taufe einen dauernden Charakter ein, der da eingliedert in den Leib Christi, und sie leiht Gnade in wirksamerer Fülle wie die Beschneidung. Denn größer ist die Wirkung einer bereits bestehenden Sache wie einer nur gehofften.
c) I. Dieser Einwurf würde gelten, wenn anders als durch den Glauben an das Leiden Christi aus der Beschneidung die Rechtfertigung folgte. II. Wie vor der Beschneidung, so rechtfertigte auch nach derselben nur der Glaube an das Leiden Christi: sowohl die erwachsenen wie die Kinder. Aber vorher ward kein diesen Glauben beteuerndes Zeichen erfordert, weil die gläubigen noch nicht getrennt waren von den ungläubigen und noch nicht anfingen, sich eigens zu vereinen zum. Kulte des einigen Gottes. Wahrscheinlich aber ist es, daß die gläubigen Eltern für die geborenen Kinder, zumal wenn Todesgefahr hinzutrat, einige Gebete Gott darbrachten oder eine Segnung anwendeten, wie ein etwaiges Zeichen ihres Glaubens; sowie die erwachsenen für sich selber beteten und Opfer darbrachten. III. Das Volk in der Wüste war entschuldigt teils weil sie nicht wußten, wann sie wieder ihr Lager verlassen mußten teils weil, wie Damascenus sagt (4. de orth. fide 26.), sie keines Unterscheidungszeichens bedurften, da sie durch ihre Lage schon getrennt waren von den anderen Völkern. Wer jedoch aus Verachtung die Beschneidung unterließ, sündigte durch Ungehorsam, nach Augustin (QQ. in Jos. 6.). Es scheint jedoch, daß kein unbeschnittener in der Wüste gestorben ist; denn „es war in ihren Stämmen kein kranker“ (Ps. 104). Jene allein scheinen gestorben zu sein, welche in Ägypten beschnitten worden waren. Wären aber einige gestorben, so gilt von ihnen und von den Kindern das in II. eben Gesagte; sie standen auf derselben Stufe wie die Altväter vor der Beschneidung. IV. In der Beschneidung ward die Erbsünde hinweggenommen mit Rücksicht auf die Person. Es blieb das Hindernis für den Eintritt in den Himmel von seiten der ganzen Natur. Dasselbe ward erst fortgenommen durch das Leiden Christi. Deshalb führte vor demselben auch die Taufe nicht in den Himmel. Und bestände die Beschneidung noch nach dem Leiden Christi, so würde sie unmittelbar in den Himmel führen. V. Die erwachsenen erhielten durch die Beschneidung auch den Nachlaß der aktuellen, persönlichen Sünden; jedoch nicht so wie in der Taufe mit Ausschluß aller Strafe, denn die Gnade der Taufe ist reichlicher.
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