Erster Artikel. Die läßliche Sünde wird nicht nachgelassen ohne die Buße.
a) Das wird sie wohl. Denn: I. Zum Charakter der wahren Buße gehört der Schmerz über die vergangene Sünde und der Vorsatz, sie für die Zukunft zu meiden. Ohne solchen Vorsatz aber werden die läßlichen Sünden nachgelassen, da ja ohne solche läßliche Sünden der Mensch sein irdisches Leben nicht zubringen kann. Also ohne Buße werden die läßlichen Sünden nachgelassen. II. Die Buße besteht nicht ohne das thatsächliche Mißfallen an den Sünden. Die läßlichen Sünden aber können nachgelassen werden ohne solches thatsächliches, aktuelles Mißfallen; wie jener, der im Schlafe für Christum getötet würde, sogleich in den Himmel käme, was bei bestehenden läßlichen Sünden nicht statthat. Also ohne Buße können die läßlichen Sünden nachgelassen werden. III. Die läßlichen Sünden stehen entgegen der Glut der Liebe (II., II. Kap. 24, Art. 10.). Also die Glut der Liebe allein, ohne thatsächliches Mißfallen und sonach ohne Buße, nimmt die läßlichen Sünden fort. Auf der anderen Seite „giebt es eine gewisse Buße, welche alle Tage in der Kirche sich vollzieht wegen der läßlichen Sünden“ l. c.).
b) Ich antworte, der Nachlaß der Sünden geschehe durch die Verbindung der Seele mit Gott, von dem die Schuld trennt: die Todsünde ganz und gar, weil sie als gegen die Liebe gerichtet von Gott abwendet; die läßliche Sünde in etwa, soweit sie nämlich aufhält den Willen in seiner Richtung aus Gott hin. Beide Arten Sünde also läßt die Buße nach, weil in beiden der Wille ungeordneterweise hingewendet ist zum geschaffenen Gute. Jedoch ist zum Nachlasse der Todsünde eine vollendetere Buße erfordert wie zu dem der läßlichen Sünde. Denn bei der Todsünde muß der Mensch der Thatsächlichkeit nach jede einzelne schwere Sünde sich ins Gedächtnis zurückführen, um sie zu verabscheuen und so die Tugend der Buße auf sie anzuwenden; denn jede einzelne trennt von Gott. Dies ist bei den läßlichen nicht erfordert. Jedoch genügt auch nicht das Mißfallen rein dem Zustande nach, welches enthalten ist im Zustande der heiligen Liebe oder der Tugend der Buße; da ja ein solcher Zustand eben mit sich bestehen läßt die läßlichen Sünden. Vielmehr ist erfordert ein Mißfallen, welches aus der Kraft einer vorhergehenden Thätigkeit fließt, eine displicentia virtualis; wie wenn jemand mit solcher Glut einen Liebesakt zu Gott macht, daß darin ausgedrückt ist, es würde ihm mißfallen Alles, was ihm begegnete und seine Bewegung zu Gott hin aushielte, und es würde ihn schmerzen, es begangen zu haben, wenn er auch thatsächlich nicht an solches Mißfallen dächte. Dies aber genügt nicht für die Todsünden; man müßte denn trotz sorgfältiger Gewissenserforschung einzelne vergessen haben.
c) I. Im Stande der Gnade kann der Mensch vermeiden alle und jede Todsünde. Er kann auch jede einzelne läßliche Sünde vermeiden, aber nicht alle zusammen (I., II. Kap. 74, Art. 3 ad II.; Kap. 109, Art. 8.). Deshalb wird bei Todsünden erfordert, daß der Mensch den Vorsatz habe, alle und jede Todsünde zu vermeiden. Bei den läßlichen Sünden aber wird zur Buße erfordert, daß er den Vorsatz habe, jede einzelne zu vermeiden, nicht aber alle im Ganzen, weil die Schwäche des gegenwärtigen Lebens dies nicht zuläßt. Er muß jedoch dazu bereit sein, die läßlichen Sünden zu vermindern; sonst würde er sich der Gefahr aussetzen, zurückzugehen, wenn er den Willen beiseite ließe, immer fortzuschreiten oder die Hindemisse des geistigen Fortschrittes zu entfernen, die da sind die läßlichen Sünden. II. Der Martertod für Christum hat die Kraft der Taufe. Er reinigt also von aller Tod- und läßlichen Sünde, wenn er nicht den Willen vorfindet als einen thatsächlich, im Akte also, der Sünde anhängenden. III. Die Glut der Liebe enthält der Kraft nach in sich das Mißfallen an läßlichen Sünden.
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