1.
S. 103Obwohl Isaak von Antiochien oder Isaak der Große einen ganz hervorragenden Platz in der syrischen Literatur einnimmt, sind wir doch über sein Leben noch weniger unterrichtet als über die Lebensverhältnisse der beiden im Vorausgehenden behandelten Dichter, die ihm sowohl an Bedeutung wie an Umfang der schriftstellerischen Tätigkeit bedeutend nachstehen. Bickell, der erste Herausgeber 1 und Übersetzer 2, glaubte noch die einzelnen Angaben der alten Schriftsteller über sein Leben zu einer einigermaßen anschaulichen Biographie verarbeiten zu können, wie er auch den Versuch machte, seine Orthodoxie zu erweisen gegenüber einer Reihe von inneren und äußeren Zeugnissen, die darauf hinweisen, daß Isaak der monophysitischen Irrlehre zugetan gewesen sei. Beide Probleme sind durch den neuesten Herausgeber der Werke unseres Dichters, P. Bedjan 3, auf Grund eines umfangreicheren Materials von neuem behandelt worden mit Ergebnissen, die denen Bickells diametral entgegengesetzt sind. Sowohl die Einheitlichkeit der Person des Autors, dem die unter dem Namen Isaaks überlieferten Werke zugeschrieben werden, schwindet bei näherem Zusehen, indem mindestens zwei Verfasser angenommen werden müssen, als auch der orthodoxe Ursprung wenigstens eines großen Teiles der Gedichte scheint ausgeschlossen zu sein, da der eine der beiden Verfasser, dem allem Anschein nach der S. 104 Löwenanteil an den überlieferten Schriften zuzuweisen ist, höchst wahrscheinlich Monophysit war 4. Endgültig gelöst ist das Problem freilich noch nicht; wir müssen darum den Tatbestand kurz darlegen und halten uns dabei in der Hauptsache an die Ausführungen Bedjans in der Einleitung zu seiner Ausgabe.
Bestimmte Angaben über das Leben unseres Autors fehlen in der alten Literatur. Das Jahr der Geburt und des Todes sind darum unbekannt. Gewöhnlich 5 nimmt man auf Grund weiter unten noch zu besprechender Angaben an, daß er zu Amida geboren wurde, zu Edessa unter Zenobius, einem Schüler des hl. Ephräm, studierte und dann sich nach Antiochia begab, wo er Priester wurde und in einem Kloster der Stadt ein strenges asketisches Leben führte. Nach einer Angabe des Zacharias Rhetor 6 machte er eine Reise nach Rom, bei welcher Gelegenheit er jedenfalls das Gedicht über die Säkularspiele im Jahre 404 gedichtet hat 7. Ebenso soll er ein Gedicht geschrieben haben über die Einnahme Roms durch Alarich im Jahre 410. Nach Gennadius 8 hat er aber auch nach dem Vorgange des hl. Ephräm die Zerstörung Antiochiens durch ein Erdbeben in einem Gedichte beklagt. Da dieses Ereignis im Jahre 459 stattgefunden hat, muß er dieses Jahr überlebt haben. Der gleiche Gennadius setzt seinen Tod unter die Regierung der Kaiser Leo und Majorian an. Da letzterer, der den Westen regierte, bereits 461 starb, kann der Tod Isaaks nur 460 oder 461 fallen. S. 105
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S. Isaaci Antiocheni, Doctoris Syrorum, opp. omnia, Pars I et II., Gissae 1873 und 1877. ↩
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In der 1. Auflage vorliegender Sammlung. ↩
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Homiliae S. Isaaci Syri Antiocheni, t. I., Parisiis 1903. ↩
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Daß dieser Streit über die Rechtgläubigkeit Isaaks sich erheben werde, hat übrigens Bickell selbst richtig vorausgesehen in der Einleitung zu seiner Uebersetzung. Die Gründe, mit welchen er im voraus die Orthodoxie Isaaks sicherstellen will, werden durch die Untersuchungen Bedjans, die im folgenden kurz wiedergegeben werden, von selbst hinfällig. ↩
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Vergl. Bedjan a. a. O. ↩
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in seiner Kirchengeschichte, die uns in einer syrischen Ueberarbeitung erhalten ist, vergl. Land, Anecdota Syriaca, III. b. 84. ↩
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Vergl. Tullberg, Dionysia Telmahrensis Chronici liber primus, S. 82. ↩
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De viris ill. Migne PL LVIII S. 1098. ↩