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Viele und mannigfache Lehren gab uns der heilige Sänger David unter dem Walten des Geistes. Bald erzählt uns der Prophet von seinen eigenen Leiden und von der Geduld, mit der er die Prüfungen getragen, und hinterläßt uns so mit seinem Beispiele die nachdrücklichste Unterweisung in der Geduld, wenn er zum Beispiel sagt: „Herr, warum haben sich die gemehrt, die mich bedrängen1?“ Bald zeigt er uns auch Gottes Güte S. 373 und die schnelle Hilfe, die Gott denen gewährt, die ihn aufrichtig suchen, und sagt: „Da ich rief, erhörte mich der Gott meiner Gerechtigkeit2.“ Dasselbe drückt der Prophet in folgenden Worten aus: „Während du noch redest, wird er sagen: Siehe, da bin ich3. Das heißt: Noch hatte ich nicht aufgehört zu rufen, als mich Gott schon erhörte. — Wenn er sodann vor Gott seine Bitt- und Hilferufe bringt, lehrt er uns, wie die, die in Sünden wandeln, Gott versöhnen müssen. „Herr, strafe mich nicht in deinem Gewinne und züchtige mich nicht in deinem Zorne4!“ Im zwölften Psalme aber, wo er auf eine länger währende Versuchung anspielt, sagt er: „Wie lange, Herr, wirst du meiner so ganz vergessen5?“ Dann belehrt er uns den ganzen Psalm hindurch, daß wir in den Trübsalen den Mut nicht sinken lassen dürfen, sondern auf die Güte Gottes vertrauen und nicht vergessen sollen, daß er uns in weiser Vorsehung Drangsalen überläßt und einem jeden nach dem Maße seines Glaubens auch das Maß der Versuchungen bestimmt. Nachdem er nämlich gesagt hat: „Wie lange, Herr, wirst du meiner so ganz vergessen?“ und „wie lange wendest du dein Antlitz von mir6?“geht er sofort auf die Bosheit der Gottlosen über, die im Leben nur ein wenig Unglück haben dürfen und dann, gleich ungehalten über die mißlichen Verhältnisse, zu zweifeln beginnen, ob ein Gott sei, der sich um diese Welt bekümmere, der auf die Verhältnisse eines jeden sehe und einem jeden nach Verdienst austeile. Wenn sie dann sehen, daß sie längere Zeit in unerquicklichen Verhältnissen leben müssen, so bestärken sie bei sich die böse Meinung und sagen in ihrem Herzen: „Es ist kein Gott.“ „Der Tor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott7.“ Hat er einmal diesem Gedanken Raum gegeben, dann schreitet er ohne Scheu von Sünde zu Sünde. Denn wenn niemand da ist, der zuschaut, niemand ist, der jedem nach Verdienst vergilt, was hindert dann, den Armen zu unterdrücken, die Waisen zu ermorden, Witwe und S. 374 Fremdling zu töten, jede Schandtat zu wagen, mit unreinen, abscheulichen Lastern und viehischen Gelüsten sich zu beflecken? Daher fügt der Psalmist den Worten „Es ist kein Gott“ als eine Folge daraus hinzu: „Verderbt sind sie und abscheulich geworden in ihrem Treiben8.“ Es ist ja unmöglich, daß die vom rechten Wege abirren, die Gott in ihrem Herzen nicht vergessen.
