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Ist aber Gott nicht schuld am Bösen und an den Übeln, mit welchem Rechte ist dann gesagt worden: „Ich, der ich das Licht bereitet und die Finsternis geschaffen habe“, „der ich Frieden gebe und Übel schaffe1“? Und ferner heißt es: Unglück kam herab vom Herrn über die Tore Jerusalems2.“ Sodann: „Es kommt kein S. 377 Unglück über eine Stadt, das nicht der Herr bewirkt hat3.“ Und im großen Lobgesange des Moses heißt es: „Seht, seht, daß ich es bin, und daß kein anderer Gott ist außer mir; ich töte, und ich mache lebendig; ich schlage, und ich heile4.“ Aber keine dieser Stellen enthält nach dem Urteile des Schriftverständigen eine Anklage gegen Gott, als wäre er der Urheber und Schöpfer der Übel.
Derjenige, der da sagte: „Ich, der ich das Licht bereite und die Finsternis schaffe“, gibt sich damit als den Meister der Schöpfung zu erkennen, nicht aber als den Urheber von etwas Schlimmem. Nein, damit du nicht glaubest, ein anderer sei der Schöpfer des Lichtes, ein anderer der der Finsternis, hat er sich den Schöpfer und Meister der Dinge genannt, die im Reiche der Natur einander entgegengesetzt zu sein scheinen; du solltest so keinen andern Schöpfer für das Feuer, keinen andern für das Wasser, keinen andern für die Luft, keinen andern für die Erde suchen, weil etwa diese verschiedenen Elemente gegensätzliche Eigenschaften haben. Manche haben es allerdings schon so gemacht und verfielen in die Vielgötterei.
„Gott gibt Frieden und schafft Übel.“ Besonders dann gibt er dir den Frieden, wenn er durch gute Lehren dein Gemüt beruhigt und die gegen die Seele anstürmenden Leidenschaften stillt. — „Er schafft aber Übel“ heißt: er wandelt sie um und lenkt sie zum Bessern, so daß sie nicht mehr böse sind und die Natur des Guten annehmen. „Ein reines Herz erschaff in mir, o Gott5!“ Das heißt: Schaff es nicht erst jetzt, sondern mach’ es neu, da es in der Bosheit alt geworden! Ferner: „Damit er die zwei zu einem neuen Menschen schaffe6“, soll nicht heißen, die Zwei aus nichts hervorbringen, sondern die umgestalten, die bereits da sind. Ferner heißt es: „Wenn jemand ein neues Geschöpf in Christus geworden7.“ Und Moses spricht: „Ist er nicht dein Vater, der dich erworben, gebildet und erschaffen hat8?“ Das Wort „erschaffen“, das hier dem Ausdruck S. 378 „gebildet“ folgt, lehrt uns doch deutlich, daß der Ausdruck „Schöpfung“, wie sehr oft, für „Besserung“ gebraucht wird. Wenn er also Frieden gibt, so gibt er den Frieden dadurch, daß er das „Böse schafft“, d. h. das Böse umwandelt und zur Besserung führt. Verstehst du dann unter Friede die Ruhe nach den Kriegen, und nennst du Übel die Leiden, die den Kriegführenden folgen, wie Feldzüge in ferne Länder, Strapazen, Wachen, Schrecken, Schweiß, Wunden, Morde, Einnahme von Städten, Sklaverei, Verbannung, klägliches Los der Gefangenen und überhaupt alle Drangsale, die der Krieg im Gefolge hat, dann sagen wir, das geschehe nach dem gerechten Urteile Gottes, der über die Strafwürdigen durch den Krieg die Strafe verhängt. Oder wolltest du wohl, es wäre Sodoma nach seinen greulichen Missetaten nicht verbrannt worden? Oder Jerusalem wäre nicht zerstört, der Tempel nicht verwüstet worden nach jener schrecklichen am Herrn verübten Wahnsinnstat der Juden? Wie hätte aber das anders mit Recht geschehen können als durch die Hände der Römer, denen die Juden, Feinde ihres eigenen Lebens, unsern Herrn übergeben haben?
Auch den andern Ausspruch: „Ich will töten und lebendig machen9“, kannst du, wenn du willst, im obigen Sinne verstehen. Denn die Furcht erbaut die Einfältigen10. „Ich will schlagen, und ich will heilen.“ Auch dies Wort ist, für sich gefaßt, heilsam, da ja der Schlag Furcht einflößt und die Heilung zur Liebe ermahnt. Indes kannst du letztere Worte auch in einem höheren Sinne fassen: „Ich will töten“ — für die Sünde, und „lebendig machen“ — für die Gerechtigkeit. „Denn in dem Maße, in dem unser äußerer Mensch aufgerieben wird, wird der innere erneuert11.“ Er tötet also nicht einen andern und macht (wieder) einen andern lebendig, sondern er macht einen und denselben eben durch das, womit er ihn tötet, lebendig und heilt durch das, wodurch er schlägt, laut dem Spruche: „Du wirst ihn zwar mit der Rute schlagen, aber seine Seele vom Tode S. 379 befreien12.“ Das Fleisch wird also geschlagen, damit die Seele geheilt werde, und die Sünde wird getötet, damit die Gerechtigkeit lebe.
Der Ausspruch aber: „Unglück kam herab vom Herrn über die Tore Jerusalems“, erklärt sich von selbst. Was für ein Unglück? Das Getöse der Wagen und Reiter. — Wenn du dann hörst: „Es kommt kein Unglück über eine Stadt, das der Herr nicht bewirkt hat“, so wisse, daß mit dem Worte „Unglück“ von der Schrift eine Drangsal gemeint ist, die über die Sünder kommt, um ihre Missetaten zu sühnen. „Denn ich habe dich geplagt“, spricht der Herr, „und mit Mangel gedemütigt13“, um dir wohlzutun, d. h. er tut der Ungerechtigkeit Einhalt, bevor sie ins Uferlose geht, wie man einem Strome durch starke Dämme und Wehren Einhalt gebietet.
