5.
Deshalb also die Krankheiten in Stadt und Volk, die Trockenheit der Luft und die Unfruchtbarkeit des Bodens, sowie die anderen noch härteren Unfälle im Leben eines jeden einzelnen, die alle das Umsichgreifen der Bosheit verhindern. Solche Übel werden von Gott verhängt, um die eigentlichen Übel nicht aufkommen zu lassen. Die körperlichen Krankheiten und die äußerlichen Drangsale sind zur Hintanhaltung der Sünde erdacht worden. Gott beseitigt also das Böse; nicht aber kommt das Böse von Gott, wie denn auch der Arzt die Krankheit behebt, nicht aber die Krankheit am Körper verschuldet. Zerstörung von Städten, Erdbeben, Überschwemmungen, Niederlagen von Heeren, Schiffbrüche sowie alle Unfälle, die viel Menschenleben kosten, mögen diese Unfälle von der Erde, vom Meere, von der Luft oder vom Feuer oder sonstwie verursacht sein, ereignen sich, um die Überlebenden zur Besinnung zu bringen, indem nämlich Gott die allgemeine Verdorbenheit mit öffentlichen Geißeln züchtigt. Das eigentliche Übel also, die Sünde, die vorab die Bezeichnung „Übel” verdient, hängt von unserem freien Willen ab; es steht bei uns, von der Bosheit uns freizuhalten oder das Böse zu tun. Von S. 380 den übrigen Übeln kommen einige gleichsam als Versuchungen zur Erprobung unseres Starkmutes über uns. wie z.B. über Job der Verlust seiner Kinder, die urplötzliche Einbuße seines ganzen Reichtums, die Plage des Geschwüres1; andere Übel werden verhängt als Heilmittel der Sünde, wie z.B. über David die Schande seines Hauses, mit der er seine schändliche Lust büßte2. Auch kennen wir noch eine andere Art schrecklicher Übel, die vom gerechten Gerichte Gottes verhängt wird, um Gewohnheitssünder zur Vernunft zu bringen: So sind Dathan und Abiron von der Erde verschlungen worden, indem die Tiefen und Klüfte vor ihnen sich auftaten3. Denn hier sind durch eine solche Art von Bestrafung die Betreffenden nicht selbst gebessert worden - wie denn auch, wo sie doch zur Hölle hinabfuhren? -, wohl aber sind die übrigen durch ihr Beispiel klüger geworden.
So ging auch Pharao mit seinem ganzen Heere unter4. So wurden die früheren Bewohner Palästinas vernichtet. Wenn nun aber auch einmal der Apostel von „Gefäßen des Zornes, bereitet zur Verdammnis5” redet, so dürfen wir doch nicht in Pharao ein böses Werk sehen - denn so fiele mit mehr Recht die Schuld auf den Schöpfer -, vielmehr denke daran, wenn du von „Gefäßen” hörst, daß jeder aus uns zu etwas Nützlichem geschaffen ist. Und wie in dem großen Hause (der Kirche) das eine Gefäß golden, das andere silbern, das andere irden, das andere hölzern ist6 - es hat nämlich der freie Wille eines jeden Ähnlichkeit mit einem dieser Stoffe: ein goldenes Gefäß ist der, welcher rein in seinem Wandel und ohne Arglist ist, ein silbernes, der an Verdienst dem ersteren nachsteht, ein irdenes, der irdisch gesinnt ist und leicht zerbrechlich ist, und ein hölzernes, der sich leicht mit Sünden befleckt und ein Stoff fürs ewige Feuer wird -,so ist auch der ein „Gefäß des Zornes”, der wie ein Gefäß alle Eingebungen des Teufels aufnimmt und wegen des Modergeruches, der ihm anhaftet, zu nichts anderem brauchbar ist, sondern nur S. 381 noch wert ist, vernichtet zu werden und unterzugehen. Weil also Pharao vernichtet werden mußte, so hat der kluge und weise Seelenführer es so eingerichtet, daß er berüchtigt und allgemein bekannt wurde, damit er wenigstens andern durch sein Unglück nützlich würde, indes er selbst bei seiner übergroßen Bosheit unheilbar war. Gott verhärtete ihn, indem er durch Langmut und Aufschub der Strafe dessen Bosheit vergrößerte, damit die Gerechtigkeit des göttlichen Gerichtes an ihm sichtbar würde, wenn seine Gottlosigkeit den höchsten Grad erreicht hätte. Deshalb begann Gott mit kleineren Plagen, versuchte es dann mit immer peinlicheren Geißeln, ohne aber seine Hartnäckigkeit zu brechen. Vielmehr mußte er sehen, daß Pharao ihn und seine Langmut verachtete und sich an die über ihn verhängten Schrecknisse gewöhnte. Gleichwohl überantwortete er ihn nicht dem Tode, bis er sich selbst sein Grab schuf, als er im Übermut seines Herzens auf den Weg der Gerechten sich wagte - im Wahne, das Rote Meer werde ihm, wie dem Volke Gottes, den Durchgang gestatten.
Da du nun dies von Gott weißt und die verschiedenen Arten des Bösen an dir selbst kennen gelernt hast, da du weißt, daß das wirklich Böse allein die Sünde ist, „deren Ende das Verderben7”, daß anderseits das, was sich schmerzlich anfühlt, wohl als Übel erscheint, aber zum Guten Kraft gibt, wie die Trübsale, die verhängt werden, um von der Sünde abzuhalten, deren Früchte das ewige Heil der Seelen sind, so höre auf, über die göttlichen Verfügungen zu murren! Kurz, wähne Gott nicht verantwortlich für das Dasein des Bösen, noch träume von einer Substanz des Bösen! Denn die Bosheit existiert nicht für sich wie irgendein Lebewesen, noch können wir sie als selbstständiges Wesen darstellen; vielmehr ist das Böse Mangel des Guten8. Das Auge ward geschaffen; Blindheit aber entstand erst durch den Verlust der Augen. Wäre demnach das Auge S. 382 nicht von hinfälliger Natur, dann hätte die Blindheit nicht eintreten können. So hat auch das Böse kein eigenes Dasein, sondern ist eine Folgeerscheinung von Wunden der Seele. Auch ist das Böse nicht „ungeschaffen”, wie die Gottlosen behaupten9, welche die böse Natur der guten gleichstellen, als wären beide ohne Anfang und älter als die Schöpfung, noch ist es „geschaffen”. Denn wenn alle Dinge von Gott sind, wie ist dann das Böse vom Guten? Entsteht doch auch das Häßliche nicht aus dem Schönen, noch das Laster aus der Tugend. Lies über die Weltschöpfung nach, und du wirst finden, daß „alles gut und sehr gut war10”. Folglich ist das Böse nicht zugleich mit dem Guten geschaffen worden. Aber auch die geistige Schöpfung ist vom Schöpfer ohne Beimischung von Bosheit ins Dasein gerufen worden. Denn wenn schon in den körperlichen Wesen das Böse nicht zugleich miterschaffen wurde, wie hätte dann die geistige Kreatur, die durch Reinheit und Heiligkeit so sehr sich auszeichnet, irgendeine Gemeinschaft mit dem Bösen haben können? - Aber das Böse existiert doch (sagen sie) und zeigt seine starke Auswirkung im ganzen Leben. Woher hat es nun sein Dasein, wenn es weder anfangslos ist noch geschaffen wurde?
Job 1,2ff ↩
vgl. 2 Kön 16,22 ↩
Num 16,31 ↩
Ex 14,28 ↩
Röm 9,22 ↩
vgl. 2 Tim 2,20 ↩
vgl. Phil 3,15 ↩
στέϱησις ἀγαϑο τὀ κακόν - eigentlich „Aufhebung” oder „Beraubung” des Guten ist das Böse, nicht bloß ein schlechthiniges Fehlen. ↩
Gemeint sind wohl die Manichäer mit ihrer Annahme von einem guten und bösen Prinzip. ↩
Gen 1,31 ↩
