1.
S. 9 1 Basilius der Große lebte und wirkte in einer Zeit (329—379), da der Schwerpunkt nicht bloß des politischen Geschehens, sondern namentlich der kirchlichen Geschichte im Orient lag, nicht im Okzident, in einer Zeit, da der Sieg des Christentums und der Kirche, der 313 eingesetzt hat, sich vervollständigen und ausreifen sollte, da das große Konzil von Nizäa (325) den Fundamentallehren des Christentums den offiziellen Ausdruck gegeben hatte, aber seine Gegner noch keineswegs zum Schweigen gebracht waren, zu einer Zeit, da Rom einen immer mehr untergeordneten Rang einer Provinzialstadt einnahm und dem allmählichen Zerfall entgegenging. Jedenfalls lag der Brennpunkt kirchlicher und religiöser Interessen für eine Zeitlang mehr im Osten als im Westen. Begreiflich, wenn daher gerade im Osten der Kirche große Männer erstanden, die nicht bloß eine kirchenpolitisch bedeutsame Rolle spielten, sondern darüber hinaus fast weltgeschichtliche Größen wurden. Die zwei größten sind zweifellos der hl. Athanasius von Alexandrien, die „Säule der Kirche2“ und der Orthodoxie im S. 10 Orient im gewaltigen Kampfe gegen den Arianismus, und eben der hl. Basilius, Bischof von Cäsarea, die ideale Verkörperung und der treueste Hüter des kirchlich-religiösen Lebens3 und der Schirmherr des nizänischen Glaubens in Kleinasien. Mitten im Meere äußerer Kämpfe und innerer Gärungen blieb er der Fels, an dem Häresie und selbst brutale kaiserliche Gewalt scheiterten, Schiffbrüchige aber oder Gefährdete landen konnten4. So wirksam griff er in die Zeitverhältnisse ein und bestimmte namentlich die innere Gestaltung der orientalischen Kirche mit, daß man ihn sehr frühe und mit noch mehr Erfolg als den alexandrinischen Patriarchen mit dem Beinamen eines „Großen“ beehrte5.
Basilius stammte aus einer angesehenen, wohlbegüterten Familie des kappadozischen Cäsarea6, die auch über die Zeit grausamer Christenverfolgung ein ansehnliches Vermögen und weitausgedehnte Besitzungen im Pontus sich hinübergerettet hatte. Der Christenhaß eines Maximinus Daza7 hatte nämlich den Großvater mit dessen Gattin Makrina in die pontischen Wälder vertrieben und sie dort sieben Jahre lang (etwa 306—313) in der Verbannung festgehalten8. Von den Kindern dieses Elternpaares sind uns nur zwei Namen überkommen. Gregor und Basilius. Ersterer wurde Bischof irgendeiner Stadt von Kappadozien. Letzterer wurde ein weithin gerühmter Rechtsanwalt und Lehrer der Rhetorik, und nicht weniger leuchtete er „für den ganzen S. 11 Pontus9“ als rechtschaffener und religiöser Charakter, war „Wegweiser zur Tugend10“. Seine Gemahlin Emmelia, aus Kappadozien gebürtig, war die früh verwaiste Tochter eines Märtyrers, eine liebreizende und feingebildete Frau11, deren Frömmigkeit so tief war, wie vorbildlich ihre tätige Nächstenliebe12. Dieser Ehe entsproßten zehn Kinder, fünf Knaben und fünf Mädchen. Ein Knabe scheint in zartester Kindheit gestorben zu sein13. Das älteste der Geschwister war Makrina, nach der Großmutter so benannt, die eine mütterlich besorgte Schwester und ein Vorbild des asketischen Lebens wurde. Während ein Bruder des Basilius, Naukratius mit Namen, als Eremit im Alter von ca. 27 Jahren starb14, gelangten seine beiden jüngeren Brüder Gregor und Petrus, denen der ältere Bruder „Vater und Lehrer“ wurde15, später zur bischöflichen Würde, ersterer zu Nyssa, letzterer, allerdings erst nach dem Tode des Basilius, zu Sebaste (in Armenien) .16
Basilius selbst ward als drittes Kind der gesegneten Ehe geboren im Jahre 329 oder 330 und genoß S. 12 von frühester Kindheit an die sorgsamste Geistespflege und Herzensbildung. „Die ersten Jahre seines Lebens stehen unter der Obhut des großen Vaters . . . und nehmen den besten, reinsten Verlauf. Unter dessen erzieherischem Einflusse gedeiht des Wunderkindes Leben und Wissen in schönster Harmonie.“ So beglückwünscht der Nazianzener17 Vater und Kind. Hört man aber Basilius selbst18, so scheint noch stärker auf das kindliche Gemüt die „selige Mutter“ eingewirkt zu haben und am stärksten die Großmutter, die hl. Makrina. In der ländlichen Stille der Pontischen Berge, unweit der Stadt Neocäsarea, besaß die Familie ein Landhaus19. Hier, wo Basilius die Jahre seiner Kindheit verbrachte, kannte die Großmutter kein größeres Ziel und Glück, als das Enkelkind zu einem Heiligen heranzubilden. Eine glaubenstreue Schülerin des großen Bischofs von Neocäsarea, Gregors des Wundertäters, „hatte sie dessen Lehre in treuem Gedächtnis bewahrt und stets beobachtet“, um sie jetzt unverfälscht und wirksam „dem noch Unmündigen“ beizubringen20. Noch wirksamer mag solche Unterweisung geworden sein durch Mitteilung eigener Erlebnisse aus den Tagen der Verfolgungszeit und durch die Schilderung heroischer Glaubenskämpfe und Märtyrergestalten. Kein Wunder, daß bei solcher Erziehung schon im Kinde sich die Ansätze zu sinnigem Ernste, zu Glaubensinnigkeit, zur Gottes- und Nächstenliebe und zu heldenmütiger Weltverachtung zeigten, daß „die künftige Schönheit seines Tugendwandels im Umrisse jetzt schon zu erkennen war21“.
Von seinem Vater in die Anfangsgründe der Profanwissenschaft (und wohl auch in die Rhetorik) eingeführt, von einer Heiligen zur Frömmigkeit erzogen, „kurz, zur künftigen Vollkommenheit durch den ersten S. 13 Unterricht angeleitet22, sollte Basilius seine weitere geistige Ausbildung wie auch seine sittlich-religiöse Erstarkung und Reife erlangen in den Städten Cäsarea, Konstantinopel und Athen.
Zu Cäsarea in Kappadozien, der „Metropole der Wissenschaften23“, hörte Basilius einige Semester einleitende Vorlesungen über die Rhetorik. Sie war ihm nicht Selbstzweck, nur Mittel zum Zwecke theologischer Ertüchtigung24. Ungewöhnlich groß und vielseitig war sein Wissen, mit dem er alle seine Studiengenossen überragte; doch nicht weniger angestaunt von Lehrern und Schülern war seine Charakterfestigkeit. Die ihn näher kannten, gewahrten in ihm schon in dieser Zeit den starken Zug zur Askese25. Starken Eindruck muß auf ihn gemacht haben der Erzbischof der Stadt, Dianius, zu dem er mit kindlicher Verehrung und Bewunderung aufblickte26. Zu Cäsarea war es auch, wo er mit dem nachmaligen Metropoliten von Sebaste, mit Eustathius27, und mit einem gewissen Hesychius28 engere Fühlung nahm, und wo er erstmals seinen intimen Freund Gregor (von Nazianz) kennen lernte29.
Von Cäsarea begab er sich nach Byzanz, der Hauptstadt des Orients, damals berühmt durch seine tüchtigen Philosophen und Lehrer der Rhetorik. Deren angesehenster war der Sophist Libanius, den Basilius zweifellos gehört hat. Sein Aufenthalt zu Konstantinopel währte nur kurz. — „Von da führten ihn Gott und die schöne Unersättlichkeit nach Bildung in das Eldorado der Wissenschaft, nach Athen30.“ Übrigens S. 14 gehörte es auch damals noch wie vordem in der großen klassischen Zeit zum guten Ton unter den Gebildeten, die Universität Athen besucht zu haben31. Mochte auch Alexandrien als Handels- und Bildungsstätte Athen überflügelt haben, mochten im Laufe der Zeit Cäsarea, Antiochien und andere Städte wetteifernd aufgestanden sein, Athen war immer noch die Hochburg der alten Philosophenschulen, der Akademiker und Peripatetiker, die Heimstätte der Rhetorik, „die goldene Stadt und Spenderin von so viel Gutem und Schönem32“, die im Abendrote entschwundener Herrlichkeit und mit der Fülle ihrer gewaltigen Erinnerungen einen noch erhöhten Reiz ausübte und ihre Anziehungskraft behielt.
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Die Quellen für die Biographie des Heiligen fließen in seinen eigenen Schriften, besonders in seinen zahlreichen Briefen mit den überall verstreuten biographischen Notizen, sodann in „Reden“ seines Freundes Gregor von Nazianz (or. IX. X. XI. XVIII; Migne, Patr. Graec. XXXV), zumal in dessen ausführlicher Gedächtnisrede vom Jahre 381 oder 382 (or. XLIII in Migne, P. G. XXXVI, 493—606), auch in dessen Gedicht „de vita sua“ (Migne, P. G. XXXVII, 1029—1166). Weitere Züge zu seinem Lebensbilde danken wir Gregor von Nyssa, der gleichfalls eine „Lobrede“ hielt auf den älteren Bruder (or. in Bas., Migne P. G. XLVI, 787—818) und eine Lebensbeschreibung seiner ältesten Schwester schrieb in der "vita S. Macrinae“ (Migne, P. G. XLVI, 959—1000), u. Ephräm bzw. Pseudo-Ephräm dem Syrer (Assemani, Opp. S. Ephr. graece et latine II, Romae 1748, 289—296). ↩
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Gregor v. Nazianz in or. XXI c. 26. ↩
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Hierzu vgl. besonders die lehrreiche Studie von J. Wittig, Leben, Lebensweisheit und Lebenskunde des hl. Metropoliten Basilius d. Gr. v. Cäsarea. Freiburg 1920. ↩
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Vgl. Bas. ep. 203 c. 1. ↩
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Vgl. Gregor v. Nazianz, or. 43 c. 1. 16; ep. 53; Gregor von Nyssa, or. in Basil (Migne, P. G. XLVI, 800, 813) und contra Eunomium I (MPG. XLV, 272. 273). ↩
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In ep. 74 nennt er Cäsarea seine „Heimatstadt“ und in ep. 76 und 97 Kappadozien seine „Heimat“. ↩
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Als Cäsar des Galerius hat er letzteren an blindwütiger Grausamkeit noch überboten, bis er am 30. April 313 von Licinius bei Adrianopel entscheidend geschlagen wurde. ↩
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Gregor von Nazians, or. 43 c. 6. ↩
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Der Vater Basilius hatte seinen ständigen Wohnsitz zu Neocäsarea in Pontus. ↩
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Or. 43 c. 12. ↩
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Vgl. Gregor v. Nyssa, vita Macrinae. ↩
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Or. 43, c. 9. ↩
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Gregor v. Nyssa, vita Makrinae. Die sterbende Emmelia redet von „zehn Kindern“, denen sie das Leben gegeben, während an anderer Stelle derselben Biographie nur von der Muttersorge für „vier Söhne und fünf Töchter“ die Rede ist. ↩
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Gregor v. Nyssa in der vita Macrinae. ↩
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Gregor v. Nyssa, ep. 13 (Migne, P. G. XLVI, 1040). ↩
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Familie des Basilius: ? verh. mit Makrina d. Ä. Kinder d. Makrina d. Ä.: Gregor, Bischof und Basilius verh. mit Emmelia Kinder des Basilius u. Emmelia: Makrina d. J.; Ein Sohn als Kind gest.; S. Basilius; Naukratius (27jährig gest.); Gregor (v. Nyssa); 4 Töchter; Petrus (v. Sebaste). ↩
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Or. 43 c. 12. ↩
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Ep. 204 c. 6; ep. 210 c. 1; ep. 223 c. 3. ↩
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Im Dorfe Annesi (oder in dessen Nähe) am Irisflusse, woselbst Emmelia, die Mutter, später zu Ehren der 40 Märtyrer von Sebaste eine Kapelle erbaute, in die sie deren Reliquien übertragen ließ. ↩
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Ep. 223 c. 3. ↩
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Or. 43 c. 12. ↩
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Or. 43 c. 12. ↩
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Or. 43 c. 13. Gregor v. N. nennt sie auch seiner „Studien Führerin und Lehrerin“. ↩
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Ebd. ↩
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Ebd. äußert Gregor: „Sein Studium war die Betrachtung, die Losschälung von der Welt und die Vereinigung mit Gott, indem er das Irdische gegen das Himmlische, das Unbeständige und Vergängliche gegen das Beständige und Bleibende eintauschte.“ ↩
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Ep. 51 c. 1. ↩
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Ep. 244 c. 1. ↩
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Ep. 64. ↩
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Or. 43 c. 14. ↩
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Ebd. C. 14. ↩
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Vgl. Eggersdorfer F. X., Die großen Kirchenväter des 4. Jahrhunderts auf den heidnischen Hochschulen ihrer Zeit, in theol.-prakt. Monatsschrift XIII, 1903, S. 335 ff. ↩
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Or. 43 c. 14. ↩