3.
Immer lebhafter empfand er das Ungenügen der Welt — nicht ohne Einwirken seiner frommen Schwester Makrina1 —, immer stärker wurde in ihm der Entschluß, Gott und seinem Dienst sich ganz zu weihen und seinen zu weltlichen Beruf mit einem Leben mönchischer Entsagung und Askese zu vertauschen. Den Seelenzustand, in dem er sich jetzt befand, schildert er selbst in einem Briefe (ep. 223 c. 2) in fast rührender Bescheidenheit: „Nachdem ich viele Zeit auf Torheit verwendet und fast meine ganze Jugend mit eitler Arbeit vergeudet hatte, indem ich mich auf die Erlernung der vor Gott eitlen Wissenschaft und Weisheit verlegte, da erwachte ich endlich wie aus einem tiefen Schlafe. Voll Staunen richtete ich da meinen Blick auf das wunderbare Licht der Wahrheit des Evangeliums. Ich erkannte das Unnütze der Weisheit der Großen dieser Welt, die zu Staub werden. Ich beweinte meine elende Vergangenheit und wünschte mir eine Anleitung und Einführung in das wirklich religiöse Leben. Vor allem lag mir daran, mein Leben zu bessern, das durch den langen Umgang mit schlechten Menschen verderbt worden2. Ich las nun das Evangelium und fand darin als trefflichstes Mittel zur Vervollkommnung angegeben den Verkauf der Güter, das Mitteilen an dürftige Brüder, aller unnötigen Sorgen für das irdische Leben sich zu entschlagen und von keinem leidenschaftlichen Hang zu den zeitlichen Dingen sich einnehmen zu lassen. So nahm ich mir denn vor, einen Bruder zu suchen, der diesen Lebensweg gewählt hatte, um mit ihm den kurzen Strom S. 19 des Lebens hinabzufahren.“ Solche Gewissenserforschung war fast skrupulös, die Reue vollkommen, und mit dem Vorsatze machte er vollen Ernst.
Nachdem er von Dianius, dem Bischofe von Cäsarea, etwa im Jahre 357 die Taufe empfangen hatte, besuchte er die Klöster des Orients und Ägyptens, um die berühmtesten Mönche und deren Lebensregeln kennen zu lernen und um nach dem besten Vorbilde seine eigene Zukunft zu gestalten. „Und ich fand auch“, schreibt er im Briefe an Eustathius von Sebaste (ep. 223 c. 2), „wirklich viele in Alexandrien und im übrigen Ägypten, andere in Palästina, Cölesyrien und Mesopotamien, bewunderte ihre Abtötung in Speise und Trank, ihre Ausdauer in der Arbeit, ihr anhaltendes Beten, . . . bewunderte ihre erhabene Gesinnung und die Freiheit ihres Herzens . . . Ich pries das Leben dieser Männer selig, die in der Tat ‚das Todesleiden Jesu an ihrem Leibe herumtrugen‘, und ich verlangte darnach, soweit erreichbar, diese Männer nachzuahmen.“ Seine Erkrankung in Alexandrien3 mag diesen Vorsatz noch gefestigt haben. Jedenfalls verzichtete er jetzt auf sein Vermögen zugunsten der Armen und ließ sich in einer romantischen Einsamkeit am Irisflusse unfern Neocäsarea4 nieder. Ganz in der Nähe, nur auf dem jenseitigen Ufer des Flusses, auf dem einstigen Familiengute in oder bei dem Dorfe Annesi (s. o.) hatte die fromme Schwester Makrina für gottgeweihte Jungfrauen eine klösterliche Kolonie gegründet, in der auch Emmelia, die Mutter, den Rest ihres Lebens verbrachte. So konnte er hier an stiller, trauter Stätte neben seiner eigentlichen Aufgabe der Läuterung und Selbstheiligung durch Geistessammlung, durch Betrachtung und erbauliche Lektüre der Hl. S. 20 Schrift, durch Gebet5 und Feldarbeit6 einen regen Gedankenaustausch mit Mutter und Schwester pflegen7.
Doch bald belebte sich die Einsamkeit. Hatten doch schon vorher auch in Kleinarmenien, Paphlagonien und Pontus die Einöden namentlich durch die Werbetätigkeit Eustathius’, des Bischofs von Sebaste, des eigentlichen Begründers des Mönchtums, in genannten Provinzen, starken Zuzug erhalten8. Aber während Eustathius das Anachoretentum begünstigte, neben dem einsamen Leben das gemeinsame kaum aufkommen ließ, führte den Basilius der Gedanke an den Strom des gemeinsamen Lebens über das Anachoretentum hinaus zum Zönobitentum. Nicht als ob er den Wert der Einsamkeit verkannt hätte — er trug ihr auch Rechnung in der Einrichtung seiner Klöster —, sondern weil er auch die Gefahren und Schatten der einseitig beschaulichen Lebensweise fürchtete, suchte er das asketisch beschauliche Ideal mit dem sozialwerktätigen Leben zu verbinden. Gregor von Nazianz9 ist Zeuge für diese Auffassung und Praxis des Heiligen: „Da das einsame und gemeinsame Leben in der Regel sich widerstreiten und keines bloß Licht oder bloß Schatten hat, vielmehr ersteres mehr Ruhe und Friede verbürgt und inniger mit Gott verbindet, aber den Dünkel nährt und der Tugend keine Probe stellt, letzteres dagegen werktätig und nützlicher ist, aber nicht frei von Stürmen, so hat Basilius beide Lebensarten miteinander ausgeglichen und verbunden: Er gründete Mönchswohnungen und Einsiedeleien, aber nicht fern von den Gemeinschaftshäusern, schied und trennte sie auch nicht voneinander wie durch eine Mauer, sondern brachte sie in innige Beziehung zueinander, damit das beschauliche Leben nicht jeglicher Gemeinschaft bar und das praktische nicht ohne Beschaulichkeit sei.“ So sammelte denn Basilius Gleichgesinnte aus Pontus und Kappadozien um sich, S. 21 und bald stand an Stelle der Einsiedelei am Irisflusse ein Klösterchen, „ein Gegenstück zu dem kleinen Frauenstift, das von Annesi freundlich herübergrüßte10“. Bald — wohl im Jahre 358 — fand sich auch Gregor von Nazianz ein; die Einladung des Freundes in die „reizend schöne“ Einsamkeit hatte ihn gerufen.
Über das asketisch strenge wie glückselige Leben dieser klösterlichen Kolonie geben spätere Briefe Gregors Aufschluß. „Ich muß mich nur wundern über dein Pontus“, schrieb er scherzhaft an Basilius, „und den pontischen Nebel, über diese Stätte, zum Exil wie geschaffen, mit den dräuenden Felsen zu Häupten“, über diesen Winkel am Ende der Welt, dies Mausloch, das man mit glänzenden Namen wie ‚Kloster‘ und ‚Schule‘ beehrt, mit seinem Kranz von Bergen, von denen ihr mehr eingeschlossen als bekränzt werdet, mit seinem bißchen Luft und Sonne, die ihr nur wie durch ein Kamin bekommt. Loben muß ich mir den schmalen, gewundenen Zugang — man weiß nicht, führt er in ein Königreich oder in den Hades, deinetwegen natürlich in ein Königreich — . . . und den Fluß, der bei Tag und Nacht stört, der manchmal so schmutziges Wasser führt, daß es nicht trinkbar ist“ (ep. 4). „Und kommt man ins Innere: eine Hütte ohne Dach, ohne Türe, ein Herd ohne Feuer, ohne Rauch, feuchte Lehmwände; dazu eine hungrige Küche. Ich muß immer denken an das Brot, das einem die Zähne ausbricht, an den sogenannten Brei, in dem sie wie im Leime stecken bleiben. Wäre nicht deine Mutter, wirklich eine ‚Armenmutter‘, möglichst rasch hilfreich eingesprungen, wir wären längst nicht mehr am Leben . . . Und soll ich schweigen vom armseligen Garten, bar jeglichen Gemüses, den wir doch so reichlich gedüngt haben, und schließlich von dem Wagen, den wir gezogen, ich, der Gärtner, und Du, der feine Herr, gezogen mit unserem Hals und unseren Händen, die noch die Spuren von der einstigen Arbeit tragen, nur um das Terrain zu ebnen“ (ep. 5). „. . . Doch im Ernste: Wer bringt mir jene schönen Tage wieder, an denen ich die Entbehrungen an Deiner Seite als Lust S. 22 empfand? Wer gönnt mir wieder jenen Psalmengesang, jene Nachtwachen, die Erhebungen der Seele zu Gott im Gebete, jenes geistliche und vergeistigte Leben? Wer ersetzt mir die Herzensgemeinschaft mit den gottseligen Brüdern? Wer gibt mir den Ansporn zum Tugendleben, das wir mit geschriebenen Normen und Regeln sichergestellt haben? Wer gibt mir wieder den Eifer zum Studium der Hl. Schrift und jene leichte Offenbarung unter der Leitung des Hl. Geistes? . . . Und, um auch das weniger Wichtige und Vollkommene zu erwähnen, unsere gewöhnliche Tagesarbeit: Holz tragen, Bausteine herbeikarren, Bäume pflanzen, die Saaten begießen! Wer läßt mich jene goldene Platane wiedersehen, unter der . . . der Mönch selig ausruhte, die ich gepflanzt, dies Lebenszeichen unserer gemeinsamen Arbeit?“ (ep. 6) .
Außer den schriftlichen Satzungen für das Leben der Mönche, die laut Obigem Basilius im Verein mit Gregor in dieser klösterlichen Abgeschlossenheit ausgearbeitet hat, liegt auch in der Blumenlese aus den Werken des Origenes, in der „Philokalia“, ein Denkmal der gemeinschaftlichen Studien der beiden Freunde vor11.
Was Basilius als Mönch und später als Bischof für das Mönchtum praktisch geleistet und geschrieben, hat ihn in der Mönchsgeschichte des Orients unsterblich gemacht. Bis zur Stunde waren und sind die Basilianer der eine große Orden des Orients.
Ein zu hohes Selbstbewußtsein, einen gewissen Wissensdünkel hatte Basilius von der Hochschule heimgebracht; Makrina wußte ihn zu ernüchtern und zu heilen (Gregor v. Nyssa, vita Macrinae). ↩
Basilius verurteilt sich hier zu scharf. Nach dem Vorausgegangenen könnte man im Ernste höchstens gelten lassen, daß er durch weltlich Gesinnte etwas selbstgefällig und äußerlich geworden war. ↩
Bas. ep. 1. ↩
Vgl. die stimmungsvolle Schilderung dieser Örtlichkeit im Briefe des Basilius an Gregor (ep. 14 c. 2). Im gleichen Briefe (c. 2) lehnte Basilius eine Einladung des Freundes, statt am Irisflusse in ‚Tiberina‘ bei Nazianz seinen Aufenthalt zu nehmen, ab, da er, der Naturfreund, von der unwirtlichen Gegend, dieser „Heimat von Wölfen und Bären“, dieser „Kloake der Welt“, nichts wissen wollte. ↩
Vgl. Basilius in ep. 2 c. 2 ff. ↩
Gregor v. Naz. in ep. 4 und 5. ↩
Ep. 223 c. 5. ↩
Sozomenos, hist. eccl. 4, 12. ↩
Or. 43 c. 62. ↩
Vgl. Kirch K. a. a. O. S. 94. ↩
Vgl. Sokrates, hist. eccl. 4, 24, und Gregor v. Naz., ep. 115. ↩
