2.
Es war etwa im Jahre 350 oder 351, als Basilius — also schon über 20 Jahre alt — die Musenstadt betrat. Gregor von Nazianz war etwas früher eingetroffen1 und hatte einen würdigen Empfang für den neuen Studiengenossen, dessen „gesetztes Wesen und Reife er kannte“, vorbereitet2. Athen, das jetzt fast nur mehr als Universitätsstadt eine Rolle spielte, war stark beherrscht vom studentischen Verbindungswesen, das ähnliche Manieren und noch stärkere Auswüchse zeigte wie etwa das heutige3. Die Korporationen und Landsmannschaften, streng voneinander abgesondert und jeweils um bestimmte Professoren gruppiert, leisteten sich in der Kunst des Keilens das Menschenmögliche4 Jeder neue Ankömmling hatte einer Verbindung beizutreten und der peinlichen Prozedur der damals üblichen „Rezeption“ sich zu unterziehen5. Nur bei Basilius wurde S. 15 — sicher auf Verwenden des Nazianzeners hin — eine respektvolle Ausnahme gemacht6. Damit war der Grund gelegt für die beiderseitige Freundschaft; da entzündete sich der Funke ihrer liebenden Herzensgemeinschaft7. Bald bekam Gregor Gelegenheit zu neuen Freundschaftsdiensten, um damit die gegenseitigen Bande der Liebe zu festigen. Anläßlich einer öffentlichen Disputation mit der Landsmannschaft der „verschmitzten und unaufrichtigen“ Armenier, die letztere inszeniert hatten, um den ob seiner Redekunst berühmten und beneideten Basilius niederzuringen, ergriff er für seinen Freund Partei und verhalf ihm zum Siege. „Das war der zweite Zunder unserer Freundschaft, nicht mehr bloß ein Funke, sondern schon eine helle und starke Flamme8.“ — Trotz Fortschritt und auch äußerer Erfolge konnte aber Basilius in Athen sich nicht zurechtfinden und froh werden. Eine „Armseligkeit“ blieb ihm die Musenstadt. Wieder war es Gregor, der ihn tröstete und ermutigte und so ihn „noch enger an sich kettete9“. „Wie wir dann im Laufe der Zeit uns gegenseitig den Wunsch und das Verlangen nach asketischem Leben gestanden, da waren wir uns einander alles; wir wohnten und lebten zusammen und waren ein Herz und eine Seele; wir hatten nur das Eine im Auge, in uns gegenseitig dies Verlangen zu mehren und zu festigen10.“ „Wir waren eine Seele in zwei Leibern11“ mit der Aufgabe, die Tugend und das Wissen zu mehren und zu fördern. „Dabei waren wir einander Regel und Richtschnur. — In den Studien bevorzugten wir nicht die angenehmsten, sondern die besten Wissenszweige12.“ „Zwei Wege nur waren uns bekannt: der eine, der bessere und vorzüglichere, der zu unseren Gotteshäusern führte und zu unseren Priestern, der andere, weniger wichtige, der Weg zu den heidnischen S. 16 Lehrern. Das Übrige überließen wir gern denen, die daran Gefallen finden, die Feste, Theater, Versammlungen, Schmausereien . . . Unser Stolz und Reichtum war, Christen zu sein und zu heißen13.“ So hat Gregor selbst den schönen Freundschaftsbund mit seinen idealen Beweggründen und Zielen geschildert und verewigt.
Das „edle Paar“, wie die beiden Kappadozier im Munde der Professoren und Studenten hießen14, blieb jedoch nicht allein; sie suchten und fanden gleichgesinnte Kommilitonen. „Nicht die Ausgelassenen, sondern die Sittsamen wurden unsere Bundesbrüder, nicht die Kampfhähne, sondern die Friedfertigen und die, deren Freundschaft wahrhaft förderlich ist. Wir wußten ja wohl, daß man leichter die Schlechtigkeit erbt als die Tugend mitteilt15.“ „. . . Und so bildete sich um uns ein ansehnlicher Kreis Gleichgesinnter — mit Basilius als dem Führer16.“ Gregor erzählt hier vom Entstehen und Bestehen einer ersten „katholischen Studentenverbindung17“, die nicht nur bei Professoren und der übrigen Studentenwelt zu Ansehen kam, sondern in ganz Griechenland und darüber hinaus18. „Alle, die Athen kannten, kannten auch unsere Lehrer, und alle, die von unseren Lehrern hörten und redeten, hörten und sprachen auch von uns19.“
Nach einem etwa acht- bis zehnsemestrigen Studium der Rhetorik, der Philosophie — als berühmteste Sophisten von damals hörte er Himerios und Prohaeresios20 —, Astronomie, Geometrie, Grammatik, Dialektik, Geschichte und auch der Medizin nahm er etwa im Jahre 355 oder 356 Abschied von Athen, wobei die Anteilnahme eine fast allgemeine war. Besonders schmerzlich berührte das Scheiden Gregor, den zurückbleibenden Freund; er tröstete sich aber mit der Hoffnung baldigen S. 17 Wiedersehens21. Noch nach Jahrzehnten dachte er in stillem Heimweh zurück an diese schönen Jugendjahre und pries das selige Freundschaftsleben22 auf der Hochschule in den Versen:
„Oh, die Gespräche! O du gastlich Haus der Freundschaft, lieb’ Athen! Oh, das göttlich schöne Leben! Fern der Heimat doch ein Heim23!“
Die Heimreise führte Basilius über Konstantinopel24 nach Cäsarea25 und Neocäsarea, bzw. auf das Landgut in Pontus, wo die Mutter — die Großmutter war bereits gestorben, und sein Vater war ihr ins Grab gefolgt — mit ihrer ältesten Tochter Makrina (der Jüngeren) und dem jüngsten Sohne Petrus lebte26. Doch bald scheint er in Cäsarea auf den Wunsch seiner Freunde, die sich wohl von den Fortschritten des Basilius überzeugen wollten, einige Proben seiner Beredsamkeit abgelegt zu haben27. Jedenfalls wollte die Stadt Cäsarea — vielleicht infolge seines ersten Auftretens — ihn zurückhalten als „zweiten Gründer und Beschützer der Stadt28.“ Man kann daran denken, daß die Cäsareenser den hervorragenden Redner und Sohn ihrer Stadt gerne in der ehemaligen Stellung des verstorbenen Vaters gesehen hätten29. Doch sagte ihm solche Tätigkeit nicht zu30. Auch ein ehrenvollstes und vorteilhaftestes S. 18 Anerbieten des Magistrates von Neocäsarea, die Unterweisung der Jugend zu übernehmen, schlug er aus31.
Or. 43 c. 15. ↩
Or. 43 c. 16. ↩
Vgl. Eggersdorfer a. a. O. S. 337 ff. ↩
Or. 43 c. 15: „Man belagerte im voraus Städte, Wege, Häfen, Berghöhen, Täler, selbst abseits gelegene Stellen, jeden Zugang von Attika, ja von ganz Griechenland.“ ↩
Gregor schildert (or. 43 c. 16) anschaulich die studentischen Bräuche. ↩
Or. 43 c. 16 (Schluß). ↩
Or. 43 c. 17. ↩
Ebd. ↩
Or. 43 c. 18. ↩
Or. 43 c. 19. ↩
Or. 43 c. 20. ↩
Ebd. ↩
Or. 43 c. 21. ↩
Or. 43 c. 22: ξυνωϱὶς οὐκ ἀνώνυμος [xynōris ouk anōnymos]. ↩
Or. 43 c. 20. ↩
Or. 43 c. 22. ↩
Vgl. Eggersdorfer a. a. O. S. 340. ↩
Or. 43 c. 22. ↩
Ebd. ↩
Sozomenos, histor. eccl. VI, 16. ↩
Or. 43 c. 24. ↩
Einmal (or. 43 c. 14) sagt Gregor, ihre gegenseitige Freundschaft würde zutreffender als ein „Zusammenatmen und Zusammengewachsensein“ bezeichnet. ↩
Carmen 64 (Migne, Pat. Graec. XXXVIII p. 74): Ὦ λόγοι, ὦ ξενὸς ϕιλίας δόμος, ὦ ϕίλ̓ ̓Ἀϑῆναι, Ὦ ϑείου βιότου, τηλόϑι συνϑεσίαι. [ ō λογοι, ō xenos philias domos, ō phil’ Athēnai, ō theiou biotou, tēlothi synthesiai]. ↩
Bas. Ep. 1. ↩
Ebd. ↩
Gregor v. Nyssa, vita Macrinae. ↩
Gregor v. Nyssa, or. 43 c. 25. ↩
Ebd. ↩
Rufin, hist. eccl. IX, 9. Vgl. Kirch K., Helden des Christentums, I, 2. Basilius S. 83. ↩
Vgl. Gregor, or. 43 c. 25. ↩
Bas. Ep. 210 c. 2. ↩
