29.
Markion aus Pontus, noch viel verrückter als die Saturneilaner, stellte, ohne auf die allermeisten Dings einzugehen, mit noch größerer Schamlosigkeit zwei Prinzipien des Alls auf, ein gutes und ein böses. Er bildete sich ein, er hätte etwas Neues eingeführt und gründete eine Schule voll Widersinn und hündischen Lebens; er war ein Streithans. Er hoffte, die große Masse werde nicht merken, daß er nicht Christi, sondern des Empedokles Schüler sei; so lehrte er, wie jener, es gebe zwei Ursachen des Alls, Haß und Liebe. Wir haben nun schon einmal die Lehre des Empedokles besprochen, doch wollen wir sie auch jetzt der Häresie des Plagiators gegenüberstellen. Empedokles sagt, es gebe im ganzen sechs Elemente, aus denen die Welt entstanden sei und bestehe: zwei stoffliche, Erde und Wasser, zwei werkzeugliche, mittels derer der Stoff geordnet und umgestaltet werde, Feuer und Luft, zwei aber, die mittels dieser Werkzeuge den Stoff bearbeiteten und bildeten, Haß und Liebe; er äußert sich folgendermaßen:
„Nunmehr vernimm vorerst der Welten vierfache Wurzeln:
Zeus der Leuchtende, Here die Nahrung gibt, Aidoneus,
Nestis sodann, die mit Tränen die irdische Dürre befeuchtet“1.
Zeus ist das Feuer, die Nahrung spendende Here die Erde, welche die zum Leben notwendigen Früchte bringt, Aidoneus2 die Luft, weil wir, obwohl wir alles S. 213 durch sie sehen, sie allein nicht wahrnehmen, Nestis das Wasser; dies ist nämlich allein die Grundlage, welche die Nahrung für alle Nahrungsbedürftigen hervorbringt; das Wasser für sich allein kann ihnen keine Nahrung bieten. Wenn es Nährwert hätte, würden die Lebewesen nie dem Hunger anheimfallen, da es immer Wasser genug gibt. Deswegen nennt er das Wasser Nestis3, weil es, obwohl es die Nahrung hervorbringt, doch die Nahrungsbedürftigen nicht nähren kann. Das ist, um es im Umriß wiederzugeben, die ganze Grundlage der Welt: Wasser und Erde, aus denen alles stammt, Feuer und Lufthauch, Werkzeuge und Triebkräfte, Haß und Liebe, die planmäßig gestalten. Die Liebe ist Friede und Eintracht und Güte, die die Welt einig, vollkommen und vollendet machen will, der Haß aber zerteilt die einige Welt immerfort und macht aus dem Einen die Vielheit. Der Haß ist die Ursache der ganzen Schöpfung, er ist nach Markion „Ulomenos“, d. h, verderblich; es liegt dem Haß nämlich daran, daß die Welt durch alle Zeit so weiter bestehe; der Haß, der verderbliche, ist der Bildner und Schöpfer jeden Entstehens; die Liebe aber Ursache des Vergehens der Weltdinge, ihrer Veränderung und ihrer Zurückführung in das Eine; daß sie beide unsterblich und unerzeugt und ohne jeglichen Anfang sind, sagt Empedokles an einer anderen Stelle:
„Denn in der Tat sie bestanden, sie werden besteh'n und ich meine,
Niemals wird die unendliche Welt dieser beiden entraten“4 .
Welcher „beiden“ denn? Des Hasses und der Liebe; sie haben nämlich keinen Anfang genommen, sondern haben von jeher bestanden und werden immer bestehen, weil sie, nicht erzeugt, dem Untergang nicht unterliegen können. Feuer, Wasser, Erde, Luft vergehen und erstehen wieder. Wenn nämlich das durch den Haß Entstandene zugrunde geht, nimmt es die Liebe auf und vereinigt es mit dem All, auf daß das All eine Einheit bleibe, durch die Liebe gleichheitlich und gleichförmig S. 214 gestaltet. Wenn aber die Liebe aus dem Vielen das Eine gemacht und das Losgetrennte dem Einen verbunden hat, so reißt es der Haß wieder von der Einheit los und macht eine Vielheit daraus, d. i. Feuer, Wasser, Erde, Luft, und die aus ihnen entstehenden Lebewesen und Pflanzen und alle sichtbaren Bestandteile der Welt. Über die Erscheinungsform der Welt, wie sie von der Liebe erstellt wird, sagt Empedokles folgendes:
„Nimmer am Rücken entsteht aufschießend ein doppelt Geäste,
Füße nicht, und nicht eilende Knie, noch zeugende Teile,
Sondern es ist ringsum eine durchaus sich rundende Kugel“5.
Die Liebe arbeitet an dieser gar schönen und einheitlichen Weltgestaltung; der Haß aber, der Urheber der Teilung, reißt von diesem Einen los und arbeitet an der Vervielfältigung. Dies gilt nach Empedokles auch von seiner eigenen Entstehung:
„Ich auch bin vor Gott auf der Flucht und geh' in die Irre“6,
d. h. er nennt Gott das Eine und die Einheit, in der er sich befand, bevor er vom Haß losgerissen wurde und in die durch den Haß geschaffene Vielheit kam; „im Vertrau'n auf den rasenden Haß“7. Empedokles nennt nämlich den „rasenden Haß“, den verwirrten und unstäten, den Schöpfer dieser Welt. Über die Verdammung und den Zwang der Seelen, die der Haß von dem Einen losreißt und gestaltend bearbeitet, drückt sich Empedokles so aus:
„Der nach begangener Tat einen falschen Eid hat beschworen,
Und die Dämonen, die langen Lebens teilhaftig geworden“8.
Langlebige Dämonen nennt er die Seelen, weil sie unsterblich sind und lange Zeiträume durchleben:
S. 215 „Dreißigmal tausend Jahr von den Seligen ferne sie irren“9.
Selig nennt er die, die durch die Liebe aus der Vielheit in die Einheit der geistig erkennbaren Welt zurückgeführt wurden. Von den anderen sagt er, sie gingen in die Irre und:
„Und in der Zeit werden allerlei Menschengebilde geboren,
Die des Lebens schwierige Pfade im Wechsel beschreiten“10.
Schwierige Wege sind nach ihm die Verwandlungen und Umbildungen der Seelen im Körper. Das sagt er so: „Die des Lebens schwierige Pfade beschreiten“11. Es wechseln nämlich die Seelen Körper um Körper, der Haß gestaltet sie um, straft sie und läßt sie nicht in der Einheit bleiben. Es werden aber die Seelen, die Körper um Körper wechseln, mit allen Strafen durch den Haß gezüchtigt.
„Eine ätherische Kraft, die jagt die Seelen zum Meere,
Doch es wirft sie das Meer auf die Erde, es treibt sie die Erde
In die Strahlen der Sonne; die schleudert sie in den Äther;
Eines empfängt sie vom andern, doch alle von Haß sind erfüllet“12.
Dies ist die Strafe, mit welcher der Demiurg straft, gleichwie der Schmied das Eisen umgestaltet und aus dem Feuer ins Wasser eintaucht; der Äther ist nämlich Feuer, aus dem der Schöpfer die Seelen ins Meer taucht, die Erdscheibe ist Erde; deshalb sagt er: Aus dem Wasser auf die Erde, von der Erde in die Luft. Das bedeuten seine Worte: „es treibt sie die Erde in die Strahlen der Sonne; die schleudert sie in den Äther; eines empfängt sie vom andern, doch alle von Haß sind erfüllet.“ Die in dieser Welt gehaßten und gequälten und gestraften Seelen vereinigt nach Empedokles die Liebe; S. 216 denn sie ist gütig und fühlt Erbarmen wegen derenGestöhn und der ungeordneten und schlimmen Tätigkeit des „rasenden Hasses“ und trachtet, sie möglichst bald aus der Welt zu führen und dem Einen nahezubringen, damit alles unter ihrer Leitung zur Einheit komme. Empedokles befiehlt seinen Schülern, aller animalischen Kost sich zu enthalten wegen des Waltens des verderblichen Hasses. Er sagt nämlich, die Körper der eßbaren Tiere seien die Wohnstätten der gestraften Seelen; er lehrt weiter, daß seine Anhänger sich vom Verkehr mit dem weiblichen Geschlecht enthalten sollen, damit sie nicht Mitarbeiter und Mitschuldige an den Werken werden, die der Haß schafft, der das Werk der Liebe auflöst und zerreißt. Empedokles sagt, dies sei das größte Gesetz der Weltregierung und drückt dies so aus:
„Ding der Notwendigkeit ist es, uralte Satzung der Götter,
Ewig mit Eiden, mit unwandelbaren, verbrieft und gesiegelt“13.
Die „Notwendigkeit“ nennt er die Verwandlung des Einen in die Vielheit durch den Haß und die Verwandlung der Vielheit in das Eine; „Götter“ — wie ich schon sagte — die vier sterblichen Wesen und die zwei unsterblichen, ungezeugten, sich durchwegs feindlichen, Haß und Liebe; der Haß tue immer Unrecht, sei habsüchtig, reiße das, was der Liebe gehöre, los und teile es sich zu; die Liebe aber sei gütig und für die Einheit besorgt, rufe immer und überall das, was vom All losgerissen und vom Demiurgen in der Schöpfung gequält und gestraft werde, zu sich zurück, um es zur Einheit zu bringen. So beschreibt uns Empedokles das Entstehen und Vergehen der Welt und ihre Zusammensetzung aus Gutem und Bösem. Nach ihm gibt es aber noch eine dritte vernunftbegabte Kraft, die man aus diesen erkennen könne. Empedokles drückt sich folgendermaßen aus14:
„Wenn du sie mit reinen Gedanken wohlwollend beobachtest,
S. 217 so werden sie dir alle die Ewigkeit hindurch zur
Verfügung stehen; und viele andere kommen herab
von ihnen entstammt; sie wachsen von selbst,
ihrer eigenen Anlage nach, so wie die Natur
des einzelnen beschaffen ist. Wenn du aber
verschiedenartigen Dingen nachjagst, wie es
ja unter den Menschen unzählige, elende gibt,
die die Sorge des Geistes abstumpfen, so werden sie
dich im Wechsel der Zeit schnell verlassen, um zu
ihrem eigenen teuren Geschlechte zurückzukehren.
Alles nämlich, so wisse, ist weisheit- und vernunftbegabt.“
Fr. 6 D. ↩
Der Unsichtbare. ↩
Nestis == Hunger verursachend. ↩
Fr. 16 D. ↩
Fr. 29 D. ↩
Ebd. [Fr.] 115, 13. 14 D. ↩
Ebd. [Fr.] 115, 13. 14 D. ↩
Ebd. [Fr.] 115, 4. 5 D. ↩
Fr. 115, 6 D. ↩
Ebd. [Fr.] 115, 7. 8 D. ↩
Ebd. [Fr.] 115, 8 D. ↩
Ebd. [Fr.] 115, 9—12 D. ↩
Fr. 115, 1. 2 D. ↩
Die Übersetzung der dunkeln Verse folgt in der Hauptsache dem Diels'schen Text. ↩
