KAPITEL I.
Wie reicher Erfahrung der Lehrer für die Kämpfe im Interesse der Wahrheit bedarf, das habe ich hinreichend dargelegt. Ich habe aber im Anschluss daran noch von einer anderen Sache zu sprechen, die ebenfalls an zahllosen Gefahren schuld ist. Oder vielmehr, nicht ihr selbst darf ich die Schuld beimessen, sondern denen, welche damit nicht recht umzugehen wissen. Denn die Sache selber bringt reichlichen Segen und viel Gutes mit sich, wenn sich ihrer eifrige und tüchtige Männer bedienen. Doch, um was handelt es sich denn?
Um die große Arbeit, die aufzuwenden ist für die Predigten, die öffentlich vor dem Volke gehalten werden. Fürs erste wollen die meisten Untergebenen die Prediger nicht als Lehrer ansehen, sondern setzen sich über das Verhältnis von Schülern hinweg und benehmen sich wie die Zuschauer bei den weltlichen Wettkämpfen. Gleich wie dort die Menge sich spaltet und die einen diesem, die anderen jenem beitreten, der nämliche Vorgang ist auch hier zu beobachten. Die einen halten es mit diesem, die anderen mit jenem und hören die Predigten teils aus Zuneigung, teils aus Abneigung an. Und das ist nicht die einzige Schwierigkeit; es kommt noch eine andere, nicht geringere hinzu. Wenn es nämlich einmal zutrifft, daß einer der Redner ein Stück aus einer fremden Bearbeitung seinen Worten einflicht, so setzt er sich größeren Schmähungen aus als die Gelddiebe. Oftmals aber hatte er von niemanden etwas entlehnt, sondern er stand nur in solchem Verdacht und hatte trotzdem dasselbe zu leiden wie die wirklich Ertappten. Doch, was rede ich von fremden Bearbeitungen? Nicht einmal seine eigenen Erzeugnisse kann er immer mit Nutzen vorbringen. Denn die meisten pflegen nicht, um daraus Segen zu S. 210 schöpfen, sondern um der Kurzweil willen ihn anzuhören, als ob sie über Tragödiendichter oder Zitherspieler zu Gericht zu sitzen hätten. So ist hier die Art der Beredsamkeit, die ich im vorausgehenden verworfen habe1, in solchem Maße erwünscht, wie dies nicht einmal bei den Sophisten der Fall ist, wenn sie untereinander streiten.
Siehe Buch IV, 6. ↩
