1.
V. 4: „Freuet euch im Herrn allezeit; abermals sage ich, freuet euch!“
V. 5: „Eure Mäßigung werde kund allen Menschen; der Herr ist nahe.“
V. 6: „Seid nicht ängstlich besorgt, sondern in allem sollen durch Gebet und durch Danksagung eure Anliegen kund werden vor Gott“
V. 7: „Und der Friede Gottes, der alle Vernunft übersteigt, wird eure Herzen und eure Gesinnungen behüten in Christus Jesus.“
„Selig die Trauernden1!“ und: „Wehe den Lachenden2!' spricht Christus. Wie kann also Paulus S. 203 sagen: „Freuet euch im Herrn allezeit“? — Wehe nämlich denen, spricht Christus, die da lachen das Lachen dieser Welt, das Lachen über die Dinge dieser Erde! Und wenn er die Trauernden selig preist, so versteht er darunter nicht diejenigen, welche bloß über den Verlust ihres Eigentums trauern, sondern die wahrhaft Zerknirschten, jene, die ihre eigenen Sünden betrauern, die ihre eigenen Fehltritte oder auch die der andern sich zu Herzen nehmen. Mit dieser Trauer aber ist jene Freude nicht unvereinbar; sie geht vielmehr aus dieser Trauer hervor. Denn wer über seine Sünden trauert und sie bekennt, der freut sich. Oder anders gesprochen, man kann über die eigenen Sünden trauern und zugleich um Christi willen sich freuen. — Weil nun die Philipper durch die Leiden, die sie zu erdulden hatten, hart bedrängt wurden — „denn euch“, sagt er, „wurde die Gnade gewährt, nicht nur an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden3“—, deshalb sagt er: „Freuet euch im Herrn!“ Denn das hat nichts zu bedeuten, wenn ihr einen solchen Lebenswandel führt, daß ihr euch freuen könnt. Entweder: so lange euer Verhältnis zu Gott keine Störung erleidet, freuet euch! Oder die Präposition „in“ steht im Sinne von „mit“, gleich als hätte er sagen wollen: „Freuet euch mit dem Herrn allezeit!“ — „Allezeit; abermals sage ich euch, freuet euch!“ Damit will er sie ermutigen, da ein Mensch, der in und mit Gott lebt, immerwährend sich freut; mag er in Trübsal geraten, mag ihm was immer begegnen: immerwährend freut er sich. Höre nämlich, was Lukas von den Aposteln berichtet: „Sie gingen vom Angesichte des hohen Rates hinweg voll Freude, weil sie gewürdigt wurden, um seines Namens willen gegeißelt zu werden4.“ Wenn Geißelhiebe und Fesseln, die doch das Allerschmerzlichste zu sein scheinen, Freude erzeugen, was sollte außerdem noch imstande sein, uns Schmerz zu verursachen? — „Abermals sage ich, freuet euch!“ Sehr schön ist diese Wiederholung. Weil nämlich ihre Lage an und für sich darnach angetan war, Betrübnis zu erzeugen, so beweist S. 204 er ihnen durch diese Wiederholung, daß man unter allen Umständen sich freuen solle. — „Eure Mäßigung werde kund allen Menschen!“ Weiter oben sprach er von solchen, „deren Gott der Bauch ist und deren Ruhm in ihrer Schande besteht“, und daß sie „auf das Irdische sinnen5“. Es lag nun nahe, daß sie gegen die Schlechten eine feindselige Gesinnung hätten hegen können. Darum ermahnt er sie, mit diesen nichts gemein zu haben, sondern große Mäßigung im Verkehre mit ihnen an den Tag zu legen, nicht bloß gegen die Brüder, sondern auch gegen die Feinde und Gegner. — „Der Herr ist nahe. Seid nicht ängstlich besorgt!“ Denn wie, sage mir, können sie euch feindlich begegnen? Und wenn ihr sie ins Wohlleben versunken seht, weshalb wollt ihr euch beunruhigen? Schon steht das Gericht bevor; nicht lange mehr, und sie müssen Rechenschaft geben von ihrem Tun und Treiben. — Ihr lebt in Trübsal, während jene der Üppigkeit frönen? Dies wird gar bald ein Ende nehmen. — Aber sie stellen euch nach und bedrohen euch? „Seid nicht ängstlich besorgt“; schon steht das Gericht bevor, da sich das Verhältnis umkehren wird. „Seid nicht ängstlich besorgt“; wenn ihr auch einigermaßen in die Hände derer gegeben seid, die euch das Schlimmste zudenken, so wird es ihnen doch nicht bis zum Ende gelingen. Schon steht die Vergeltung bevor; sei es Armut, sei es Tod, sei es was für ein Übel immer gewesen. — „Sondern in allem sollen durch Gebet und durch Flehen mit Danksagung eure Anliegen kund werden vor Gott.“ Ein Trost liegt in jenem Ausspruche: „Der Herr ist nahe“ und in jener Verheißung: „Ich werde bei euch sein alle Tage bis ans Ende der Welt6.“ Sieh, es gibt noch einen anderen Trost, ein Heilmittel, das Leid und Not und jede Beschwerde lindert. Welches ist nun dieses? Das Gebet, die Danksagung in allem. Das Gebet soll also nach der Absicht des Apostels nicht bloß Bitte sein, sondern auch Danksagung für das, was wir haben. Denn wie kann man um das Zukünftige bitten, wenn man für das Frühere nicht dankbar ist? — S. 205 „Sondern in allem durch Gebet und durch Flehen.“ Also für alles muß man danken, selbst für das, was uns widerwärtig scheint; denn dadurch bewährt sich die wahre Dankbarkeit. Das Bitten wird ja schon durch die Natur der Dinge gefordert, das Danken aber kommt aus einer erkenntlichen und innig an Gott hängenden Seele. Solche Gebete finden bei Gott Anerkennung; von den andern will er nichts wissen. So müßt ihr beten, sollen eure Anliegen kund werden vor Gott. Denn er ordnet alles zu unserem Besten, auch wenn wir es nicht einsehen. Ja gerade der Umstand, daß wir es nicht einsehen, ist ein Beweis dafür, daß es uns sicher zum Besten gereicht. — „Und der Friede Gottes, der alle Vernunft übersteigt, wird eure Herzen und eure Gesinnungen behüten in Christus Jesus.“ Was heißt das? Der Friede Gottes, den er mit den Menschen geschlossen hat, übersteigt alle Vernunft. Denn wer hätte je ahnen, wer je hoffen können, daß (der Menschheit) so große Güter zuteil werden sollten? Es übersteigt jeden menschlichen Begriff, nicht nur jede Berechnung, daß er für seine Feinde, für diejenigen, die ihn haßten, für diejenigen, die von ihm nichts wissen wollten, — daß er es nicht verschmähte, für diese seinen eingeborenen Sohn hinzugeben, um mit uns Frieden zu machen. Dieser Friede nun, d. h. die Versöhnung, die Liebe Gottes „wird eure Herzen und eure Gesinnungen behüten“.
