1.
V. 1: „Übrigens, meine Brüder, freut euch im Herrn! Das nämliche euch zu schreiben, ist mir nicht lästig, euch aber dient es zur Befestigung.“
V. 2: „Hütet euch vor den Hunden, hütet euch vor den schlechten Arbeitern, hütet euch vor der Zerschneidung!“
V. 3: „Denn wir sind die Beschneidung, die wir im Geiste Gott dienen und uns rühmen in Christus Jesus und nicht auf das Fleisch vertrauen.“
Wenn Traurigkeit und Sorge die Seele übermäßig in Anspruch nehmen, so berauben sie dieselbe ihrer Kraft. Deshalb richtet auch Paulus die Philipper, welche tief bekümmert waren, auf. Sie waren aber bekümmert, weil sie nicht wußten, wie es um Paulus stehe; sie waren bekümmert, weil sie ihn bereits tot glaubten; sie waren bekümmert wegen der Predigt des Evangeliums; sie waren bekümmert wegen des Epaphroditus. Über alle diese Punkte nun verschafft er ihnen volle Beruhigung und Gewißheit, indem er fortfährt: „Übrigens, meine Brüder, freut euch!“ Ihr habt, will er sagen, fürder keine Ursache mehr zur Traurigkeit: Ihr habt den Epaphroditus, um dessentwillen ihr betrübt waret; ihr habt den Timotheus; auch ich komme; das Evangelium macht Fortschritte. Was fehlt euch noch? Freut euch! S. 153 — Die Galater nennt er „Kindlein1“, die Philipper dagegen „Brüder“. Wenn er nämlich entweder zurechtweisen oder seiner Zärtlichkeit Ausdruck verleihen will, gebraucht er die Anrede „Kindlein“, wenn er sich aber an solche wendet, die er mit größerer Auszeichnung behandelt, so bedient er sich der Anrede „Brüder“. — Er sagt: „Übrigens, meine Brüder, freut euch im Herrn!“ Treffend bemerkt er: „im Herrn“, nicht nach Art der Welt; denn dies wäre keine wahre Freude. Diese Trübsale, will er sagen, die uns um Christi willen treffen, sind mit Freude verbunden. — „Das nämliche euch zu schreiben, ist mir nicht lästig, euch aber dient es zur Befestigung. Hütet euch vor den Hunden!“ Du siehst, wie er seine Mahnung nicht gleich anfangs vorbringt; sondern erst nachdem er ihnen reichliches Lob gespendet, nachdem er ihnen seine Bewunderung ausgesprochen, erst dann tut er dies und lobt sie (sogleich) wieder. Denn die Sprache, die er hier führt, ist scheinbar etwas zu derb; darum sucht er sie von allen Seiten zu umschleiern. Welche Menschen aber nennt er „Hunde“? Es gab dort Leute, auf welche er in allen Briefen anspielt, gottlose und verabscheuungswürdige Juden, die, von schnöder Gewinnsucht und Herrschgier getrieben und von dem Wunsche beseelt, viele Gläubige auf ihre Seite zu ziehen, sowohl das Christentum als das Judentum predigten und so das Evangelium verfälschten. Weil dieselben nun schwer zu entlarven waren, darum sagt er: „Hütet euch vor den Hunden!“ Nicht mehr „Kindlein“ sind die Juden. Dereinst wurden die Heiden Hunde genannt, jetzt aber diese. Warum? Weil dieselben Gott und Christus jetzt ebenso entfremdet sind, wie es bisher die Heiden waren. Er bringt (mit dem Ausdruck Hunde) das Schamlose und Freche ihres Benehmens zum Ausdruck sowie den gewaltigen Unterschied, der zwischen ihnen und den „Kindlein“ besteht. Daß nämlich die Heiden einstmals Hunde genannt wurden, magst du aus den Worten des kananäischen Weibes entnehmen: „Ja Herr; denn auch die Hündlein essen von den Brosamen, S. 154 die von dem Tische ihrer Herren fallen2.“ — Damit sie aber nicht einmal das bekämen — weil es doch auch Hunde gibt, welche vom Tische ihrer Herren sich nähren — , so macht er einen Zusatz, durch den er sie auch davon ausgeschlossen wissen will, und sagt: „Hütet euch vor den schlechten Arbeitern!“ Wunderbar zutreffend sind diese Worte: „Hütet euch vor den schlechten Arbeitern!“ Sie arbeiten zwar, meint er, aber nur zum Schaden, und ihre Arbeit ist viel schlimmer als Müßiggang, da sie lediglich darauf ausgehen, den gut gefügten Bau abzubrechen. — „Hütet euch vor der Zerschneidung“, heißt es. Etwas Erhabenes war bei den Juden die Beschneidung, da ihr sogar das Gesetz weichen mußte, sogar der Sabbat an Bedeutung zurückstand. Denn um die Beschneidung vorzunehmen, war man von der Pflicht der Sabbatheiligung entbunden; um aber den Sabbat zu beobachten, durfte man niemals die Beschneidung unterlassen. Betrachte nun die weise Anordnung Gottes! Obwohl die Beschneidung ehrwürdiger war als der Sabbat, so lassen sich doch Zeiten finden, in denen sie nicht3 angewendet4 wurde. Wenn also die Beschneidung aufgehoben ist, umso mehr dann der Sabbat. Deshalb zerschneidet Paulus sogar den Namen derselben und sagt: „Hütet euch vor der Zerschneidung!“. Er bezeichnet die Beschneidung nicht als etwas Böses, erklärt sie nicht für etwas Überflüssiges, um jene Männer nicht vor den Kopf zu stoßen, sondern er faßt es geschickter an, indem er sie zwar von der Sache abzubringen sucht, mit dem Namen aber, ja auch mit der Sache selbst absichtlich schonend verfährt. Bei den Galatern ist die Art seines Vorgehens nicht die gleiche. Weil nämlich dort der Krebsschaden immer weiter um sich griff, mußte er letzten Endes mit dem ganzen Gewichte seiner Persönlichkeit kühn und rücksichtslos auftreten. Hier dagegen hatten die Gläubigen sich nichts Derartiges zuschulden kommen lassen; darum gönnt er ihnen die Freude, die S. 155 sie am Namen haben. Auch jene5 schließt er aus und sagt: „Hütet euch vor der Zerschneidung! Denn wir sind die Beschneidung!“ — Wieso? — „Die wir im Geiste Gott dienen und nicht auf das Fleisch vertrauen.“ Er sagt nicht: Wir wollen untersuchen, welche Beschneidung besser sei, die ihrige oder die unsrige; ja er erkennt ihr nicht einmal diesen Namen zu, sondern was sagt er? Jene Beschneidung ist eine „Zerschneidung“. Warum? Sie tun ja nichts anderes, als daß sie das Fleisch zerschneiden. Denn wenn bei diesem Akte die gesetzliche Vorschrift wegfällt, so bleibt nichts anderes übrig als ein Abschneiden und Zerschneiden des Fleisches. Entweder also aus diesem Grunde, oder weil jene die kirchliche Einheit zu zerschneiden versuchten. Auch wir wenden den Ausdruck „Zerschneidung“ an bei solchen, die planlos, aufs Geratewohl und ohne alles Geschick drauf losschneiden. Der Apostel will nämlich sagen: Wenn ihr nach der Beschneidung suchen wollt, so könnt ihr sie bei uns finden. — „Die wir im Geiste Gott dienen“, d. h. die wir geistig ihm dienen.
