1.
S. 7 Die Philipper sind die Bewohner einer Stadt in Mazedonien, einer Pflanzstadt, wie Lukas sagt1. Hier bekehrte sich die Purpurhändlerin, ein sehr frommes und aufmerksames Weib2; hier nahm der Synagogenvorsteher3 den Glauben an; hier wurden Paulus und Silas gegeißelt4; hier bat sie die Obrigkeit, (die Stadt) zu verlassen und geriet ihretwegen in Angst5; und (hier) nahm die Predigt des Evangeliums einen glänzenden Anfang. Paulus selbst stellt ihnen ein herrliches Zeugnis aus, indem er sie seine Krone nennt6 und erklärt, sie hätten vieles gelitten. „Denn euch“, sagt er, „wurde von Gott die Gnade gewährt, nicht nur an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden7.“ — Zu der Zeit aber, als er an sie schrieb, lag er gerade in Banden. Deshalb sagt er: „So daß meine Bande in Christo kund geworden sind im ganzen Hoflager8“, wobei er unter Hoflager den Palast des Nero meint. Er wurde jedoch aus dieser Kerkerhaft wieder entlassen, wie er im Briefe an Timotheus andeutet mit den Worten: „Bei meiner ersten Verantwortung ist mir niemand beigestanden, sondern alle haben mich verlassen; möge es ihnen nicht zugerechnet werden! Aber der Herr stand mir bei und stärkte mich9.“ Er redet mithin von den Banden, in welchen er vor jener Verantwortung schmachtete. Denn daß damals Timotheus nicht anwesend war, ist klar. „Bei meiner ersten Verantwortung“, sagt er, „ist mir S. 8 niemand beigestanden.“ Und diesen Umstand teilte er ihm brieflich mit. Wenn nun jener schon darum wußte, so hätte er ihm sicher nicht geschrieben. Als Paulus aber den vorliegenden Brief abfaßte, war Timotheus bei ihm. Dies erhellt aus den Worten: „Ich hoffe aber im Herrn Jesus, den Timotheus in Bälde euch schicken zu können10“, und wiederum; „Diesen nun hoffe ich euch sofort schicken zu können, sobald ich ersehe, wie es um mich steht11.“ Er wurde nämlich aus der Haft entlassen und wiederum in Haft gesetzt, seitdem er zu ihnen gekommen war. Wenn er aber schreibt: „Ich will selbst hingeopfert werden über dem Opfer und Dienste eures Glaubens12“, so spricht er nicht so, als ob dies unmittelbar bevorstände, sondern will sagen: Selbst wenn mir dies begegnen sollte, so freue ich mich, um sie von ihrer Mutlosigkeit wegen seiner Gefangenschaft aufzurichten. Denn daß der Tod ihm damals nicht drohte, ergibt sich aus seinen Worten: „Ich hoffe aber im Herrn, daß ich auch selber bald zu euch kommen werde13“, und wiederum: „Und dieses weiß ich zuversichtlich, daß ich bleiben und mit euch allen zusammenbleiben werde14,“
Es hatten aber die Philipper an ihn den Epaphroditus abgeschickt, damit er ihm Geldbeiträge überbringe und sich nach seiner Lage erkundige; denn sie waren ihm sehr in Liebe zugetan. Über diese Sendung höre ihn selber: „Ich bin mit allem versehen, und mehr als genug; ich habe in Hülle und Fülle, seitdem ich von Epaphroditus eure Geschenke erhalten15.“ Sie hatten zu eben diesem Behufe geschickt, um über seine Lage Erkundigungen einzuziehen. Denn daß sie auch in der Absicht geschickt hatten, etwas über seine Lage zu erfahren, ergibt sich daraus, daß er gleich am Anfange seines Briefes auf seine Verhältnisse zu sprechen kommt und schreibt: „Ich will euch aber in Kenntnis setzen, daß meine Lage vielmehr zur Förderung des Evangeliums gediehen ist16“, und wiederum: „Ich hoffe, den Timotheus in Bälde euch S. 9 schicken zu können, damit auch ich guten Mutes sei, wenn ich erfahre, wie es um euch steht17.“ Die Worte: „damit auch ich ...“ wollen (offenbar) besagen: So wie ihr, um volle Tröstung und Zuversicht zu erlangen, geschickt habet, euch zu erkundigen, so will auch ich tun, „damit ich guten Mutes sei, wenn ich erfahre, wie es um euch steht“, — Da sie nun längere Zeit nicht geschickt hatten — dies erhellt aus seinen Worten: „Endlich einmal seid ihr (wieder) aufgeblüht, für mich besorgt zu sein18“ — und jetzt über die Nachricht von seiner Einkerkerung mit Recht bestürzt sein mußten — denn wenn sie schon um Epaphroditus, der doch kein so ausgezeichneter Mann war wie Paulus, bangten, als sie die Kunde von seiner Erkrankung vernahmen, wieviel mehr dann um Paulus —: deswegen führt er im Eingange des Briefes zahlreiche Trostgründe bezüglich seiner Kerkerhaft an und zeigt, daß sie sich darüber nicht nur nicht betrüben, sondern sogar freuen sollen. Sodann rät er zu Eintracht und Demut, indem er sie belehrt, darin liege für sie der sicherste Schutz, und dadurch könnten sie die Feinde leicht besiegen. Denn nicht die Kerkerhaft, sagt er, ist für eure Lehrer betrübend, sondern die Uneinigkeit der Schüler. Jene bewirkt ja mit die Förderung des Evangeliums, diese dagegen dessen Zerstörung.
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Apg. 16, 12. Die Vorrechte einer römischen Kolonie bekam Philippi vom Kaiser Oktavian. ↩
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Apg. 16, 14. 15. ↩
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ὁ ἀρχισυνάγωγος. Ein Gedächtnisfehler unseres Heiligen; in Wirklichkeit war es „der Kerkermeister” (ὁ δεσμοφύλαξ). Vgl. Apg. 16, 23 ff. ↩
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Apg. 16, 22. ↩
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Ebd. 16, 38. 39. ↩
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Phil. 4, 1. ↩
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Phil. 1, 29. ↩
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Ebd. 1, 13. ↩
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2 Tim. 4, 16. 17. ↩
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Phil. 2, 19. ↩
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Ebd. 2, 23. ↩
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Ebd. 2, 17. ↩
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Ebd. 2, 24. ↩
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Phil. 1, 25. ↩
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Ebd. 4, 18. ↩
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Ebd. 1, 12. ↩
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Phil. 2, 19. ↩
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Ebd. 4, 10. ↩