1. In keinem Falle ist die Wiederverheiratung an einen Heiden zu entschuldigen. Solche Ehen verbietet schon der Apostel Paulus.
Vor kurzem habe ich Dir, geliebteste Mitdienerin im Herrn, so gut ich es vermochte, dargelegt, was ein christliches Weib, wenn es etwa Witwe geworden sein sollte, zu beobachten habe. Im Hinblick auf die menschliche Gebrechlichkeit wende ich mich jetzt zu einer zweiten Art von Ratschlägen. Dazu fordern mich die Beispiele einiger Frauen auf, welche bei dem ihnen durch Scheidung oder Tod des Mannes gebotenen Anlass zur Enthaltsamkeit nicht nur die günstige Gelegenheit zu einer so schönen Handlungsweise unbenutzt ließen, sondern bei ihrer Wiederverheiratung auch nicht einmal der Weisung eingedenk zu sein für gut fanden, vor allen Dingen „nur im Herrn„ zu heiraten1. Und so bin ich etwas im unklaren darüber, ob ich, nachdem ich Dich neulich zur Einheit in der Ehe und zum Verharren im Witwenstande aufgefordert habe, Dir nicht etwa jetzt durch das Eingehen auf die Verheiratung eine Gelegenheit zum Abfall von höhern Dingen bereite. Wenn Deine Einsicht aber eine vollkommene ist, so wirst Du sicherlich wissen, dass man sich das zu bewahren habe, was größeren Nutzen bringt. Weil solches aber schwierig, weil es voller Ungelegenheiten und weil es gerade das höchste Lebensziel ist, so habe ich mich noch einmal zum Schreiben niedergesetzt.
Ich hätte keinen Anlass gehabt, Dir auch noch über diesen Punkt Vortrag zu halten, wenn sich meiner nicht bereits eine schwerere Besorgnis bemächtigt hätte. Eine je erhabenere Sache nämlich die Enthaltsamkeit des Fleisches ist, welche der Witwenstand erfordert, um so verzeihlicher kann es erscheinen, wenn man sie nicht über sich nimmt. Denn bei schwierigen Dingen findet man leicht Nachsicht. Je leichter es aber zu ermöglichen ist, „nur im Herrn“ zu heiraten, weil das ja in unserer Gewalt steht, um so schuldvoller ist es, etwas so leichtes nicht zu halten.
S. 74Dazu kommt noch, dass der Apostel in Betreff der Witwen und der Unverehelichten bloß einen Rat gibt, indem er sagt: „Ich wünschte, dass alle nach meinem Beispiele verharreten„2, dass er dagegen, wenn er in Betreff des Heiratens im Herrn beifügt: „aber nur im Herrn“, nicht mehr rät, sondern in bestimmter Weise befiehlt. Also kommen wir gerade in diesem Punkte durch Versagung des Gehorsams in Gefahr, weil man etwas bloß Geratenes ungestraft unterlassen kann, nicht aber etwas Gebotenes. Denn ersteres beruht auf einem bloßen Rate und wird dem guten Willen vorgelegt, letzteres aber hat aus der Machtfülle seinen Ursprung und verpflichtet notwendig. Dort scheint der Fehler nur in Ungebundenheit, hier in Widersetzlichkeit zu liegen.
