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Es hat auch die Nacht ihre Lieder, mit denen sie die Nachtwachen des Menschen zu versüßen pflegt. Es hat selbst die Nachteule ihre Weisen. Was soll ich aber erst von der Nachtigall sagen, der stets wachen S. 229 Wächterin, die, während sie mit des Leibes Busen und Schoß über den Eiern brütet, über das schlaflose Mühen der langen Nacht mit ihrem lieblichen Sange sich tröstet? Es scheint mir ihre Hauptabsicht hierbei gerade die zu sein, die Bruteier womöglich nicht weniger mit ihren süßen Weisen denn mit ihrer Lebenswärme zu beseelen. Ihr hat es jene zarte, aber züchtige Frau abgelauscht, die mit ihrem Arm den geschärften Mühlstein dreht, daß es ihren Kleinen nicht an der Nahrung des Brotes gebrechen könne: mit nächtlichem Singen heitert sie sich die trübselige Stimmung über ihre Armut auf; und vermag sie es auch der Nachtigall nicht an lieblichen Sang gleichzutun, so doch an unermüdlicher Mutterliebe.
