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Lieblich ist auch der Hahnenruf in der Nacht nicht bloß lieblich, sondern auch nützlich. Ein guter Hausgenosse weckt er den Schlummernden, mahnt den Wachenden, tröstet den Wandernden, indem er mit hellklingendem Signale es binausruft: die Nacht ist vorgeschritten. Auf seinen Ruf läßt der Räuber von seinen Nachstellungen: durch ihn läßt selbst der Morgenstern sich wecken und geht auf und erhellt den Himmel. Auf seinen Ruf vergißt der zagende Schiffer der Niedergeschlagenheit, und legt sich aller Wind und Sturm, den sie Abendlüfte häufig anfachen. Auf seinen Ruf erhebt der Frommsinn sich hurtig zum Gebet und geht von S. 231 neuem an die Übung der [Schrift]Lesung. Auf seinen letzten Ruf wusch selbst der Fels der Kirche [Petrus] seine Schuld ab, die er begangen, ehe der Hahn krähte. Auf seinen Ruf schöpft alles von neuem Hoffnung, des Kranken Schmerz läßt nach, sein Wundweh lindert sich, die Fieberhitze geht zurück, Gefallenen kehrt der Glaube wieder, Strauchelnde trifft Jesu Blick, Irrende führt er auf rechten Pfad. So traf sein Blick den Petrus, und sogleich wich die Verirrung, ward abgetan die Verleugnung, folgte das Bekenntnis. Daß dies nicht zufällig so kam, sondern gemäß dem Ausspruche des Herrn, lehrt die Schriftlesung; denn also, steht geschrieben, sprach Jesus zu Simon: „Es wird der Hahn nicht krähen, bevor du mich dreimal verleugnest“. Richtig: bei Tag ist Petrus standhaft, in der Nacht läßt er sich einschüchtern und fällt vor dem Hahnenruf und fällt schon zum dritten Mal. Man sieht daraus, daß sein Fall nicht in einer unüberlegten Äußerung beim Reden bestand, sondern daß seine Einschüchterung ihren Grund auch im Schwanken des Geistes hatte. Derselbe Petrus indes erstarkt nach dem Hahnenruf, nunmehr würdig, daß der Herr ihn anblickte; denn „die Augen des Herrn ruhen auf den Gerechten“. Er erkannte, da0 das Heil nahte, das ein fernes Irren ausschloß, wandte sich vom Irrtum der Tugend zu und fing „bitterlich zu weinen “ an, um mit seinen Tränen den Irrtum abzuwaschen.
