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Jesus dagegen blieb seinem Vorsatze getreu und führte, ohne zu zagen, die Anordnungen seines Vaters aus. So brachte er das Alte Testament zum Abschluß und gründete er ein neues Ostern: Als nämlich die Jünger mit ihm zu Tische saßen, um das geheimnisvolle Mahl zu genießen, setzte Christus, wähend man sich im Vorhofe des Kaiphas über die Möglichkeit seines Todes beriet, das Sakrament seines Leibes und Blutes ein und lehrte uns, was für ein Opfer Gott dargebracht werden solle. Von diesem Geheimnisse schloß er nicht einmal seinen Verräter aus,um zu zeigen, daß Judas, dessen aus ihm selbst entspringende gottlose Tat er im voraus kannte, durch S. 300keinerlei Kränkung dazu gereizt worden war. Sein eigenes Herz brachte diesen zu Fall und verleitete ihn zum Treubruch, da er sich dem Satan anschloß und nicht Christus zum Führer haben wollte. Mit den Worten: „Wahrlich, ich sage euch, einer von euch wird mich verraten“1 bewies also der Herr, daß er um die böse Absicht seines Verräters wußte. Nicht durch harten und offenen Tadel bringt er den gottvergessenen Jünger in Verwirrung, nein, mit sanftem und stillem Mahnen naht er sich ihm,um den um so leichter durch Reue zu bessern, dem die Schmach einer Ausstoßung erspart geblieben war. Warum machst du dir, unseliger Judas, eine solche Güte nicht zunutze? Siehe, in schonender Weise spricht der Herr von deinem Vorhaben, und Christus verrät dich keinem, außer dir selbst! Weder dein Name noch deine Person wird bloßgestellt. Nur auf deine geheimen Gedanken spielt er mit wahrheitsgetreuen und mitleidigen Worten an. Weder die Ehre des apostolischen Ranges noch die Teilnahme an den Sakramenten wird dir versagt. Kehre wieder auf den rechten Weg zurück, laß ab von deinem wahnsinnigen Beginnen und besinne dich auf dich selbst! Gottes Milde ladet dich dazu ein, dein Retter klopft an dein Herz, und er, der das Leben selbst ist2 , ruft dich zum Leben zurück. Siehe, die anderen Jünger, die rein und schuldlos sind, erschrecken bei der Andeutung dieser Missetat und fürchten insgesamt für sich selbst,da sie nicht den Namen des Frevlers hören! Sie sind traurig geworden3 , nicht etwa weil sie sich schuldig fühlen, sondern weil sie wissen, wie unbeständig und wankelmütig der Mensch ist. Sie sind in Sorge, es möchte ihre Kenntnis des eigenen Ichs weniger zuverlässig sein als das, was die Wahrheit selbst vorhersah. Sie, die sich keiner Schuld bewußt sind, zittern, und du mißbrauchst die Langmut des Herrn und hältst dich, dreist wie du bist, für unentdeckt. So fügst du zu deinem Verbrechen auch noch Vermessenheit S. 301und läßt du dich nicht einmal durch eine bestimmtere Andeutung abschrecken. Während nämlich die anderen Jünger nicht von der Speise kosteten, auf die der Herr als Erkennungszeichen hingewiesen hatte, ziehst du die Hand nicht von der Schüssel zurück4 , weil sich auch dein Herz nicht von dem geplanten Verbrechen abwendet.
