3.
Diese Gebote würden uns sicherlich nicht lästig fallen, sondern uns vielmehr aus allen Gefahren erretten, wenn wir nichts anderes liebten, als was uns zu lieben befohlen wird. Gibt es doch eine doppelte Liebe, aus der alle Willensäußerungen hervorgehen, die ebensosehr nach ihrer Beschaffenheit wie nach ihrem Ursprung verschieden sind. Unsere vernunftbegabte Seele, die nicht ohne Liebe sein kann, liebt entweder Gott oder die Welt. Wenn sie Gott liebt, ist nichts zu viel, wenn sie dagegen in der „Weltliebe“ aufgeht, ist alles von Übel. Darum darf man sich von den ewigen Gütern niemals trennen, während man die zeitlichen nur als vorübergehend betrachten soll! Alles, was uns diese Welt auf unserer Pilgerfahrt bis zur Rückkehr in die Heimat an Reichtümern bietet, das sollen wir nur als Wegzehrung ansehen, nicht als einen köstlichen Besitz, weshalb wir bleiben möchten! In diesem Sinne richtet der selige Apostel an uns die Worte: „Die Zeit ist kurz, Es erübrigt, daß auch die, welche Frauen haben, seien, als hätten sie keine, und die, welche weinen, als weinten sie nicht, und die, welche sich freuen,als freuten sie sich nicht, und die, welche kaufen, als besäßen sie nichts, und die, welche diese Welt genießen, als genössen sie diese nicht; denn die Gestalt dieser Welt vergeht“1 . Allein wir können die Dinge, die uns wegen S. 464ihrer Anmut, Fülle oder Mannigfaltigkeit bezaubern, nicht leicht von uns weisen, wenn wir nicht in der Schönheit dieser Welt mehr den Schöpfer als das Geschöpf lieben. Wenn dieser sagt: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben aus deinem ganzem Herzen, aus deiner ganzen Seele und aus allen deinen Kräften“2 , so will er, daß wir bei allem die Fesseln seiner Liebe tragen. Und wenn er zu diesem Gebote noch die Nächstenliebe hinzufügt, so verlangt er damit nur, daß wir uns seine Güte zum Vorbild nehmen, daß wir also lieben, was er liebt, und tun, was er tut: „Obwohl wir Gottes Feld und Gottes Bau sind“3 .„und weder der etwas ist, welcher pflanzt, noch der, welcher begießt, sondern Gott, der das Gedeihen gibt“4 , so verlangt er doch auch, daß wir überall mitarbeiten. Gerade wir sollen seine Gaben austeilen, so daß die, welche sein Bild an sich tragen, auch seinen Willen ausführen! Darum sprechen wir ja auch im Gebete des Herrn die hochheiligen Worte: „Zu uns komme dein Reich, dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden!“5 . Was begehren wir damit anderes, als daß Gott die zu sich heranziehen möge, die er noch nicht herangezogen hat, daß er die Menschen auf Erden ebenso zu Dienern seines Willens mache,wie dies die Engel im Himmel sind? Wenn wir dies in unseren Bitten erflehen, dann lieben wir Gott und die Nächsten.Und wenn wir wollen, daß der Herr gebietet und seine Knechte ihm dienen, dann ist unsere Liebe nicht mehr geteilt, sondern nur eine.
