Dritter Artikel. Der Sitz der Leidenschaft ist vielmehr das sinnliche Begehrungsvermögen wie das vernünftige, welches „Wille“ heißt.
a) Das Gegenteil geht hervor: I. Aus Dionysius (2. de div. nom.): „Hierotheus ist belehrt worden vermittelst einer gewissen höheren und mehr Gott nahe stehenden Eingebung; indem er nicht nur lernte, sondern auch litt das Göttliche.“ „Göttliches leiden“ aber kann sich nur auf das geistige Begehrungsvermögen beziehen, da sein Gegenstand kein sinnlich wahrnehmbarer, sondern em geistiger ist. II. Je mächtiger das wirksam thätige Princip ist, desto stärker ist der von ihm ausgehende Eindruck. Der Gegenstand des vernünftigen Wollens aber, das Gute im allgemeinen, ist ein mächtigeres wirksames Princip wie der Gegenstand des sinnlichen Begehrungsvermögens, der nur ein beschränktes Gute ist. Also der Wille ist Sitz von Leidenschaften vielmehr wie der Sinn. III. Freude und Liebe werden als Leidenschaften bezeichnet, jedoch auch im geistigen Willen gefunden und nicht bloß im sinnlichen Begehren. Denn sie werden von Gott und den Engeln ausgesagt. Auf der anderen Seite schreibt Damascenus (2. de orth. fide 22.): „Leidenschaft besagt eine Bewegung der sinnlichen Begehrkraft in der Einbildung des Guten und des Bösen“; oder anders: „Leidenschaft besagt eine Bewegung der vernunftlosen Seele dadurch daß sie mutmaßt, es sei etwas gut oder böse.“
b) Ich antworte, Leidenschaft werde im eigentlichen Sinne da gefunden, wo körperliches Anderswerden sich findet; und zwar nicht nur gemäß geistigem Eindrucke, einem sinnlichen Bilde nämlich nach, wie bei der auffassenden Sinneskraft, sondern gemäß stofflicher Veränderung, von warm zu kalt, von hart zu weich, und ähnlich. In der Thätigkeit des vernünftigen Begehrens aber ist irgend welches körperliches Anderswerden nicht erfordert; denn derartiges Begehren ist seinem Wesennach an kein stoffliches Organ gebunden. Also trägt den Charakter der Leidenschaft weit mehr in eigentlicher Weise der sinnliche begehrende Teil wie der vernünftige.
c) I. „Göttliches leiden“ heißt da nichts Anderes wie Hinneigung zu Göttlichem; Verbindung mit Göttlichem durch Liebe. Dies findet aber statt ohne körperliches Anderswerden. II. Die Größe des leidenschaftlichen Eindrucks hängt nicht allein ab von der höheren Kraft des wirksam thätigen Elementes, sondern auch von dem Grade der Empfänglichkeit des leidenden Elementes. Denn was sehr dafür empfänglich ist, das leidet auch viel von weniger kräftigen wirkenden Ursachen. III. Freude, Liebe etc. bezeichnen in Gott und den Engeln nur den einfachen Willensakt mit Ähnlichkeit in der Wirkung, ohne Leidenschaft. Deshalb sagt Augustin (9. de civ. Dei 5.): „Die heiligen Engel strafen ohne Zorn und stehen bei ohne Mitgefühl unseres Elendes; und trotzdem wendet man gewohnheitsmäßig unter den Menschen die Namen dieser Leidenschaften auch auf sie an, weil das Gewirkte ähnlich ist, nicht wegen der Schwächlichkeit in den Hinneigungen.“
