Zweiter Artikel. Auch die Kenntnis nimmt teil am Verursachen der Liebe.
a) Die Kenntnis scheint gar nicht Ursache der Liebe zu sein. Denn: I. Daß etwas gesucht wird, ist die Folge davon, daß man liebt. Manches aber wird gesucht, was man nicht weiß, wie z. B. die Wissenschaften selbst. Denn da bei denselben es „ganz das Nämliche ist sie besitzen und sie kennen“, wie Augustin sagt (83. Qq. 35.),so würden sie nicht besessen, wenn sie nicht gekannt würden und folgerichtig sind sie insoweit nicht mehr gesucht als sie gekannt sind. II. Ganz dasselbe scheint es zu sein, daß etwas Ungekanntes geliebt wird, wie daß etwas mehr geliebt wird als es gekannt ist. Manches aber wird mehr geliebt als es gekannt ist; wie Gott z. B., der in diesem Leben, wie Er ist, geliebt, und trotzdem nicht, wie Er ist, gekannt werden kann. III. In allen Dingen ist Liebe nach Dionysius. (4. de div. nom.) Nicht in allen ist aber Kenntnis. Also ist die Kenntnis nicht Ursache der Liebe. Auf der anderen Seite schreibt Augustin (10. de Trin. 1.): „Niemand kann lieben, was er nicht kennt.“
b) Ich antworte, das Gute sei Ursache der Liebe als Gegenstand. Das Gute aber ist Gegenstand des Begehrens, nur als etwas Aufgefaßtes; weshalb Aristoteles sagt (9 Ethic. 5. et 12.): „Das körperliche Schauen ist das Princip der sinnlichen Liebe.“ Und ähnlich ist das geistige Schauen der Schönheit oder der Güte das Princip der geistigen Liebe. So also ist in selbem Grade die Kenntnis Ursache der Liebe wie das Gute, denn letzteres kann nur als gekanntes geliebt werden.
c) I. Wer nach einer Wissenschaft strebt, ist nicht ganz und gar in Unkenntnis betreffs derselben. Vielmehr erkennt er sie nach einer gewissen Seite hin vorher, entweder im allgemeinen oder in einer ihrer Wirkungen oder weil er sie loben hört, wie Augustin l. c. auseinandersetzt. Sie besitzen aber will besagen: sie vollkommen haben. II. Es wird etwas erfordert zur Vollendung der Kenntnis, was nicht erfordert wird zur Vollendung der Liebe. Denn die Kenntnis steht in Beziehung zur Vernunft, der es zugehört zu unterscheiden in dem, was dem Wirklichen Sein nach zur Einheit verbunden; zusammenzusetzen, also zu verbinden, was an sich in Wirklichkeit geschieden ist, indem sie das eine mit dem anderen vergleicht. Und deshalb wird zur Vollendung der Kenntnis erfordert, daß der Mensch ganz und gar im einzelnen erkennt, was alles in der vorliegenden Sache enthalten ist; wie z. B. die Teile, die verschiedenen Kräfte und die Eigentümlichkeiten. Die Liebe aber ist im begehrenden Vermögen, das da auf die Sache sich richtet, wie sie thatsächlich in Wirklichkeit an sich ist. Sonach genügt esfür die Vollendung der Liebe, daß die betreffende Sache, insoweit sie im ganzen als an sich bestehend aufgefaßt wird, Gegenstand der Liebe ist. Auf Grund dessen trifft es sich, daß etwas in höherem Grade geliebt als gekannt wird. Denn es kann vollkommen geliebt werden und trotzdem ist es nicht vollkommen gekannt. Das erscheint am meisten betreffs der Wissenschaften selber offenbar. Denn viele lieben dieselben wegen einer summarischen Kenntnis, die sie von denselben haben; sie wissen z. B., daß die Beredsamkeit eine Wissenschaft sei, vermittelst deren der Mensch überzeugen kann; und das lieben sie in der Beredsamkeit. Und ähnlich verhält es sich mit der Liebe Gottes. III. Auch die rein naturgemäße Liebe, wie sie in allen Dingen sich findet, wird verursacht von ener Kenntnis; nur daß diese Kenntnis nicht in den Dingen der Natur selbst sich findet, sondern in dem, der die Natur gegründet hat. (Kap. 26, Art. 1.)
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