Dritter Artikel. Auch die Ähnlichkeit ist Ursache der Liebe.
a) Dies scheint nicht der Fall zu sein. Denn: I. Das Nämliche kann nicht Ursache zweier einander entgegengesetzten Dinge sein. Die Ähnlichkeit aber ist Ursache des Hasses nach Prov. 13.: „Unter den Hochmütigen giebt es immer Streit und Zank“; und Aristoteles (8 Ethic. 1.) schreibt: „Die Töpfer streiten sich miteinander herum.“ II. Augustin schreibt (4. Conf. 4.): „Es liebt jemand im anderen das, was er selbst nicht sein möchte“; wie z. B. der Mensch einen Schauspieler gern hat, trotzdem er selber nicht Schauspieler sein möchte. Dies aber könnte nicht sein, wenn Ähnlichkeit eine besondere Ursache der Liebe wäre; da in diesem Falle der Mensch im anderen lieben würde das, was er selbst hätte oder haben wollte. III. Jeder Mensch liebt das, wessen er bedarf, obgleich er es nicht hat; wie der Kranke die Gesundheit liebt und der Arme den Reichtum. Insoweit er jedoch bedarf und dessen, was er bedarf, entbehrt, hat er Unähnlichkeit damit. Also Unähnlichkeit gerade ist die Ursache der Liebe. IV. Aristoteles (2 Rhet. 4.) sagt: „Wir lieben jene, die wohlthätig sind im Geldgeben oder im Dienste der Kranken; und ebenso jene, welche den Toten gegenüber die Freundschaft bewahren, werden von allen geliebt.“ Nicht alle aber haben diese guten Eigenschaften. Also ist nicht die Ähnlichkeit Ursache der Liebe. Auf der anderen Seite heißt es Ekkli. 13.: „Jedes Wesen liebt das ihm ähnliche.“
b) Ich antworte; die Ähnlichkeit ist, im eigentlichen Sinne genommen, Ursache der Liebe. Jedoch muß man erwägen, daß zwischen den verschiedenen Dingen in zweifacher Weise Ähnlichkeit berücksichtigt werden kann: Einmal infolge dessen daß beide Dinge, die einander ähnlich sind, die nämliche Eigentümlichkeit thatsächlich besitzen, wie z.B. wenn zwei Dinge thatsächlich weiß sind. Dann infolge dessen daß eine gewisse Hinneigung oder ein Vermögen das eine Ding besitzt, um Jenes zu haben, was dem anderen bereits thatsächlich innewohnt; wie wenn wir sagen, ein schwerer Korper, der außerhalbseines Ortes sich findet, hat Ähnlichkeit mit dem schweren Körper, der in dem ihm gebührenden Orte ist; oder auch gemäß dem daß ein Vermögen Ähnlichkeit hat mit der entsprechenden Thätigkeit selber, da innerhalb des Vermögens gewissermaßen die Thätigkeit, der Akt bereits der Möglichkeit nach vorhanden ist. Die erste Art Ähnlichkeit nun ist die Ursache für die Liebe der Freundschaft oder des Wohlwollens. Denn darum weil zwei thatsächlich sich ähnlich sind, als ob sie gewissermaßen eine einige Form hätten, sind sie einander ähnlich in betreff dieser Form; wie z. B. zwei Menschen eins sind rücksichtlich der Wesensgattung des Menschen und wie zwei weiße eins sind in der Weiße. Demgemäß richtet sich die Neigung des einen auf den anderen wie auf etwas, was mit ihm eins ist; und er will ihm das nämliche Gute wie sich selber. Die zweite Art Ähnlichkeit ist die Ursache für die Liebe der Begierlichkeit und für die nützliche oder ergötzliche Freundschaft. Denn einem jeden Wesen, welches im Zustande des Vermögens ist, wohnt insoweit das Begehren nach seiner geeigneten Thätigkeit inne; und es ergötzt sich, hat es dieselbe erreicht, sobald es empfindet und erkennt. Oben aber ist bereits gesagt worden, daß in der Liebe der Begierlichkeit der Liebende eigentlich sich selbst liebt, da er jenes Gute will, welches er begehrt. In höherem Grade nun liebt jemand sich selbst wie einen anderen; denn mit sich selbst ist er eins in der Substanz, mit dem anderen aber ist er nur eins mit Rücksicht auf irgend eine Form. Und deshalb wenn daraus daß der andere ihm ähnlich ist in der Teilnahme an einer Form, ein Hindernis ersteht für ihn selbst, daß er nicht das Gute erreicht, was er will, wird ihm dieser andere verhaßt; nicht insoweit er ihm ähnlich ist, sondern soweit er ihn hindert in der Besitzergreifung des eigenen Guten. Und aus diesem Grunde streiten sich gegenseitig die Töpfer, weil sie sich gegenseitig hindern im erwünschten Gewinne; und „unter den Hochmütigen ist Streit und Zank“, weil sie sich gegenseitig hindern im Glanze und in der Anerkennung der eigenen Person, welche sie so sehr begehren.
c) I. Ist bereits beantwortet. II. Darin auch daß jemand im anderen liebt, was in sich selber er nicht liebt, wird als Grund die Ähnlichkeit gefunden gemäß einem gewissen Verhältnisse. Denn wie sich der andere zu dem verhält, was in ihm geliebt wird, so verhält er sich selbst zu dem, was er in sich liebt. So z. B. wenn ein guter Sänger einen guten Zeichner liebt, so findet da Berücksichtigung die Ähnlichkeit des Verhältnisses, je nachdem ein jeder von beiden hat, was gemäß seiner Kunst ihm zukommt. IIl. Jener, der das liebt, wessen er bedarf, hat Ähnlichkeit mit dem, was er liebt; insoweit sein Vermögen ähnlich ist der ihm entsprechenden Thätigkeit, wie gesagt worden. IV. In der gleichen Weise liebt jener, der nicht freigebig ist, den Freigebigen; insofern er von ihm erwartet das, wonach er begehrt. Und dasselbe gilt vom Verhältnisse dessen, der in der Freundschaft verharrt, zu jenem, der nicht verharrt. Denn auf beiden Seiten scheint dann nur eine Freundschaft des Nutzens wegen zu bestehen. Oder man kann sagen: Alle Menschen haben derartige Tugenden, zwar nicht gemäß einem vollendeten Zustande in ihnen, jedoch gemäß einer gewissen Anlage in ihrer Natur. Und danach liebt auch der Nicht-Tugendhafte den Tugendhaften, weil dieser der natürlichen, durch die Vernunft selbst angezeigten Vollkommenheit entspricht.
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