Vierter Artikel. Keine andere Leidenschaft ist Ursache der Liebe.
a) Dementgegen sagt: I. Aristoteles (8 Ethic. 3.): „Man liebt Manches um der Ergötzlichkeit willen.“ Solches Ergötzen aber ist eine Leidenschaft. II. Wir lieben manche auf Grund des Verlangens oder Begehrens nach dem, was wir von ihnen erwarten. Das Verlangen oder Begehren aber ist eine Leidenschaft. III. Augustin schreibt (10. de Trin. 1.): „Wer keine Hoffnung nährt auf die Erreichung dieses Gutes, der liebt entweder lau oder gar nicht; mag er auch erkennen, wie schön dasselbe sei.“ Also ist auch die Hoffnung eine Ursache der Liebe. Auf der anderen Seite „werden“ nach Augustin (14. de civ. Dei 7. et 9.) „alle anderen Affekte oder Hinneigungen der Seele von der Liebe aus verursacht.“
b) Ich antworte, es bestehe keine Leidenschaft, von der nicht irgendwelche Liebe vorausgesetzt würde. Denn jede andere Leidenschaft schließt in sich ein die Bewegung zu etwas hin oder die Ruhe in etwas. Jede Bewegung aber nach etwas hin und jede Ruhe in etwas entspringt aus irgend einer Verwandtschaft oder Anpassung in der Natur der betreffenden Dinge; und dies kommt aus der Liebe. Also unmöglich kann irgend eine Leidenschaft der Seele die allgemeine Ursache jeder Liebe oder der Liebe im ganzen sein. Dem steht aber nicht entgegen, daß eine Leidenschaft die besondere Ursache einer bestimmten Art Liebe sein kann; wie ja auch ein Gut im besonderen die Ursache eines anderen sein kann.
c) I. Liebt jemand etwas um der Ergötzlichkeit willen, so wird solch besondere Liebe wohl von der Ergötzlichkeit verursacht; aber diese Ergötzlichkeit wieder selbst entspringt einer anderen Liebe, da ja keiner sich ergötzt in einer Sache, die er nicht liebt. II. Das Verlangen nach einer Sache setzt immer voraus, daß diese Sache geliebt sei. Und so kann das Verlangen nach einer Sache die Ursache sein, daß eine andere geliebt werde; wie wer nach Geld trachtet, deshalb denjenigen liebt, von dem er Geld empfängt. III. Die Hoffnung verursacht oder vermehrt die Liebe und zwar auf Grund des Ergötzens, weil sie Ergötzen, Freude verursacht; und ebenso auf Grund des Verlangens, weil die Hoffnung das Verlangen kräftigt. Jedoch auch die Hoffnung kann sich nur auf ein Gut unter der Voraussetzung richten, daß dasselbe geliebt werde.
