Zweiter Artikel. Der Zorn verursacht große Herzensglut.
a) Dem widerspricht das Kap. 37, Art. 2 Gesagte. Denn: I. Die Glut ist eine Wirkung der Liebe. Die Liebe aber ist Quelle und Wurzel aller Leidenschaften. Da also die Ursache stärker ist wie die Wirkung, scheint, daß Herzensglut keine Wirkung des Zornes sei. II. Was von sich aus Glut erweckt, wächst mit der Länge der verfließenden Zeit; wie ja die Liebe mit der Zeit wächst. Der Zorn aber wird mit der Zeit schwächer. „Die Zeit beruhigt den Zorn,“ heißt es 2 Rhet. 2. III. Glut zur Glut hinzugefügt vermehrt die Glut. „Ein größerer Zorn aber (so l. c.) hinzutretend zum Zorne mildert den Zorn.“ Auf der anderen Seite sagt Damascenus (2. de orth. fide 12.): „Der Zorn ist die Glut des Blutes um das Herz herum und geht von der Ausdünstung der Galle aus.“
b) Ich antworte; die körperliche Veränderung bei den Leidenschaften der Seele steht im Verhältnisse zur bestimmenden, maßgebenden Bewegung im begehrenden Teile. Nun strebt offenbar jedes Begehren, auch das natürliche, mit mehr Kraft zu dem ihm Entgegengesetzten hin, wenn dieses gegenwärtig ist; weshalb wir sehen, daß erwärmtes Wasser stärker gefriert, als ob die Kälte heftiger in selbiges einwirkte. Die Bewegung aber im Begehren des Zornes wird durch ein angethanes Unrecht hervorgebracht wie aus dem Entgegengesetzten, was gegenwärtig ist. Also strebt das Begehren an erster Stelle danach, das Unrecht von sich abzutreiben vermittelst dessen daß es auf die Rache sich richtet; und daraus folgt die große Heftigkeit und das Ungestüme in der Zornesbewegung. Da nun die Bewegung des Zornes nicht wie die der Furcht ein Zurückziehen, Zusammenziehen ist, dem Kälte entspricht, sondern vielmehr ein Drauflosgehen, dem Wärme entspricht; so verursacht folgerichtig die Zornesbewegung eine gewisse Glut des Blutes und der Geister um das Herz herum, welches ja das Werkzeug der Leidenschaften der Seele ist. Und daher rührt es, daß wegen der großen Verwirrung des Herzens, die im Zorne stattfindet, bei den Zornigen im höchsten Grade erscheinen einige Anzeichen in den äußeren Gliedern. Deshalb sagt Gregor der Große (moral. 5, 30.): „Durch die Triebe des Zornes entflammt schlägt heftig das Herz, zittert der Körper, die Zunge überstürzt sich, das Antlitz wird wie von Feuer durchströmt, die Augen rollen erbittert, Bekannte selber werden nicht erkannt, der Mund öffnet sich und bildet ein Schreien, der Sinn aber weiß nicht was gesprochen wird.“
c) I. „Die Liebe selber wird“ nach Augustin (10. de Trin. ult. c.) „nicht so tief gefühlt, wenn nicht das Bedürfnis sie offenbart.“ Wenn also der Mensch einen Verlust mit Rücksicht auf die geliebte Sache erleidet, hier beim Zorne einen Verlust des geliebten Hervorragens wegen des erlittenen Unrechts, so wird das Herz um so heftiger hinbewegt zur geliebten Sache, um das Hindernis zu heben; und so wächst die Glut der Liebe selbst durch den Zorn. Trotzdem gehört die Glut, welche der Wärme folgt, in anderer Weise der Liebe an und in anderer Weise dem Zorne. Die Glut der Liebe nämlich ist begleitet von einer gewissen Süßigkeit, denn sie richtet sich direkt auf das geliebte Gut; und darum ist sie ähnlich der Wärme der Luft und des Blutes, weshalb die Sanguiniker mehr geneigt sind zur sinnlichen Liebe, und weshalb man von der Leber, wo in gewisser Weise das Blut erzeugt wird, sagt, „sie zwinge dazu, zu lieben.“ Die Glut des Zornes aber ist begleitet von einer gewissen Bitterkeit zum Verbrennen, denn sie zielt auf die Bestrafung des Gegenparts. Deshalb wird sie als ähnlich bezeichnet der Wärme des Feuers und des cholerischen humor. Deshalb sagt Damascenus: „Der Zorn geht aus von der Ausdünstung der Galle und wird gallig genannt.“ II. Alles das, dessen Ursache mit der Zeit sich mindert, wird durch die Zeit geschwächt. Offenbar nun wird das Gedächtnis mit der Zeit minder; denn was vor langer Zeit geschehen ist, fällt aus der Erinnerung heraus. Der Zorn aber wird verursacht durch die Erinnerung an das erlittene Unrecht; und deshalb wird die Ursache des Zornes mit der Zeit minder, bis sie entfernt ist. Größer erscheint auch die Beleidigung gleich im Anfange, wenn sie zuerst gefühlt wird. Nach und nach verliert sich jedoch das Gefühl davon, daß sie so tief gewesen ist; je mehr man nämlich sich entfernt von da, wo sie gegenwärtig war und thatsächlich innewohnte. So ist es ja auch bei der Liebe, wenn deren Ursache in der Erinnerung allein bleibt; weshalb Aristoteles (8 Ethic. 3.) sagt: „Wenn die Abwesenheit des Freundes lange dauert, scheint sie zu bewirken, daß man der Freundschaft vergißt.“ Wenn freilich die Ursache des Zornes durch die Gegenwart des Unrechts immer vervielfältigt würde, so würde auch der Zorn selbst immer stärker werden. Dieser Umstand aber daß der Zorn schnell sich aufzehrt, bezeugt die heftige Glut desselben. Wie ein gewaltiges Feuer nämlich den brennbaren Stoff schneller verzehrt und deshalb schneller verlöscht, so fällt der Zorn gerade wegen seiner Heftigkeit bald zusammen. III. Jede Kraft, die geteilt wird, mindert sich dadurch. Wenn deshalb jemand jetzt dem einen zürnt und nachher dem anderen, so wird der erste Zorn minder; und zumal wenn der Zorn gegen den zweiten größer ist. Denn das Unrecht, welches den ersten Zorn erweckte, erscheint dann klein oder wie nichts im Vergleiche zum zweiten Unrecht.
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