Vierter Artikel. Der Zorn im höchsten Grade verursacht Schweigen.
a) Dagegen: I. Das Anwachsen des Zornes ist das Mittel, um zum Sprechen zu gelangen; wie das aus dem, was der Herr Matth. 5, 22. sagt, hervorgeht. Also ist es dem Zorne nicht eigen, daß er Schweigen verbreite. II. Wo die Vernunft nicht wacht, bricht der Mensch in ungeregelte Worte aus, wie Prov. 25. gesagt wird: „Wie eine offene Stadt, die nicht von Mauern umgeben ist, so der Mann, der beim Sprechen seinen Geist nicht zusammenhalten kann.“ Der Zorn aber hindert im höchsten Grade das Urteil der Vernunft. Also stießen im Zorne am meisten ungeregelte Worte. III. Matth. 12. heißt es: „Wovon das Herz voll ist, dessen läuft der Mund über.“ Der Zorn aber füllt in höchstem Grade das Herz mit Wärme und Lebensgeistern an. Also verursacht er am meisten das Sprechen und nicht das Stillschweigen. Auf der anderen Seite sagt Gregor der Große (moral. 5, 30.): „Der Zorn, eingeschlossen durch Stillschweigen innerhalb des Geistes, brennt um so mächtiger.“
b) Ich antworte, der Zorn sei mit der Vernunft sowohl als auch hindere er die Vernunft; und von beiden Seiten kann er Stillschweigen verursachen: 1. Von seiten der begleitenden Vernunft, wenn das Urteil der Vernunft so viel Kraft hat, daß, obgleich es nicht das Begehren hindert, ungeregelt nach Rache zu streben, doch die Zunge bindet, damit sie nicht Ungeordnetes spreche; wie Gregor der Große sagt (l. c.): „Bisweilen legt der Zorn, obgleich der Geist verwirrt ist, gleichsam infolge des vernünftigen Urteils Stillschweigen auf der Zunge.“ 2. Von seiten der Behinderung der Vernunft; denn die Verwirrung, welche der Zorn verursacht, dringt durch bis zu den äußerlichen Gliedern und zumal bis zu denen, in welchen ausdrücklicher die Spur des Herzens durchleuchtet, wie in den Augen, dem Antlitze und in der Zunge. Die Verwirrung kann also in dem Maße groß sein, daß die Zunge durchaus den Gebrauch des Sprechens verliert; und das ist dann Stillschweigen.
c) I. Die Erhöhung des Zornes geht zuweilen soweit, daß er die Vernunft abhält, die Zunge zu binden; — bisweilen aber noch weiter, so daß er jede Bewegung der Zunge und der anderen äußeren Glieder hindert. II. Ist damit beantwortet. III. Die Verwirrung des Herzens kann so übervoll werden, daß durch diese ungeordnete Bewegung die der äußeren Glieder gehindert wird; und dann wird verursacht Stillschweigen und Unbeweglichkeit der äußeren Glieder und bisweilen der Tod. Ist die Verwirrung nicht so groß, so folgt aus der Fülle des Herzens die (ungeordnete) Rede.
