Erster Artikel. Die Natur als Ursache für die Erzeugung von Zuständen.
a) Es scheint, daß kein Zustand von der Natur des Dinges selber herkommt. Denn: I. Was von Natur aus im betreffenden Dinge vorhanden ist, unterliegt nicht der freien Willensbestimmung. „Eines Zustandes aber bedient man sich“ nach 3. de anima „wenn man will.“ Also. II. Die Natur macht das nicht vermittelst zweier Ursachen, was sie vermittelst einer einzigen machen kann. Die Vermögen der Seele aber sind mit der Natur gegeben. Wären also Zustände in diesen Vermögen von Natur, so wäre Zustand und Vermögen ein und dasselbe. III. Die Natur ermangelt nicht des Notwendigen. Die Zustände aber sind notwendig, um gut zu wirken. Also müßte die Natur alle Zustände verursachen, wenn sie überhaupt deren verursachte; was offenbar falsch ist. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (6 Ethic. 6.): „Das Verständnis der allgemeinen Grundprincipien ist von Natur.“ Dies ist aber ein Zustand.
d) Ich antworte, es könne etwas in doppelter Weise einem Wesen von Natur aus zukommen: einmal gemäß der Natur der Gattung, wie es dem Menschen natürlich ist, lachen zu können und dem Feuer, nach oben zu steigen; — dann gemäß der Natur des Einzelwesens, wie es dem Sokrates oder Plato natürlich ist, kränklich oder gesund zu sein, je nach der ihnen eigenen Körperkomplexion. Und wiederum kann in beiderseitiger Auffassung der Natur etwas in doppelter Weise natürlich sein: einmal, weil etwas ganz und gar von Natur ist; und dann, weil etwas von Natur und zugleich von einem außenstehenden Einflusse herrührt. So ist, wenn jemand von selbst wieder gesund wird, die ganze Gesundheit von Natur; wird er aber geheilt mit Hilfe der Medizin, so ist die Gesundheit teils von der Natur teils von äußerem Einflusse. Sprechen wir nun also vom Zustande, soweit er eine Verfassung des betreffenden Subjektes ist mit Beziehung auf die Wesensform oder die Natur selber, so trifft es sich in jeder von beiden der oben genannten Art und Weisen, daß ein Zustand natürlich sei. Es giebt nämlich eine natürliche Verfassung, welche der menschlichen Gattung geschuldet wird, außerhalb deren also kein Mensch sich findet; und diese ist eine der Natur eigene gemäß der Natur der Gattung. Weil aber eine solche Verfassung eine gewisse bestimmte Art und Weise besitzt, so trifft es sich, daß verschieden geartete Grade oder Stufen einer derartigen Verfassung den verschiedenen Menschen zukommen gemäß der Natur, wie sie im einzelnen Menschen sich findet. Und eine derartige Verfassung kann sein von der Natur entweder ganz oder teilweise, wie eben gesagt worden. Was nun jene Zustände betrifft, welche zum Thätigsein hin Beziehung haben und nicht direkt zur Wesensform oder zur Natur, so kann auch hier es nach beiden Seiten, nach der allgemeinen Gattung und der Natur im einzelnen hin, einen natürlichen Zustand geben; und zwar nach der Gattung hin, insofern der Zustand sich auf seiten der Seele hält, die da, als Wesensform des Körpers, das bestimmende Princip für die Gattung ist; nach der Natur im Einzelnen, soweit der Körper als bestimmbares (Material-)Pnncip in Betracht kommt. Jedoch in keinem von beiden Fällen trifft es sich beim Menschen, daß Zustände ganz von Natur sind. Dies trifft aber wohl bei den Engeln zu, deren Erkenntnisformen oder Ideen ihnen von Natur eingeprägt sind; was bei den Menschen nicht der Fall ist. Bei letzteren giebt es also natürliche Zustände, welche teilweise von der Natur und teilweise von äußerlichem Einflüsse her existieren. Dies verhält sich nun anders bei den auffassenden Kräften und anders bei den begehrenden. In den auffassenden Kräften nämlich kann ein Zustand natürlich sein, wenn der Anfang desselben in Betracht kommt, sowohl gemäß der Natur der Gattung als auch gemäß der Natur im Einzelnen. Gemäß der Natur der Gattung trifft dies ein zuvörderst auf seiten der Seele selbst; und so wird das Verständnis der allgemeinsten Grundprincipien als ein natürlicher Zustand bezeichnet. Denn infolge der Natur der vernünftigen Seele kommt es dem Menschen zu, daß er, sobald er weiß, was unter den Ausdrücken das „Ganze“ und der „Teil“ verstanden wird, sogleich auch erkennt, jedes Ganze sei größer wie sein Teil und ähnlich bei anderen solcher Principien. Was aber das „Ganze“ sei und was ein „Teil“, das kann der Mensch nur erkennen vermittelst der vernünftigen Erkenntnisformen, die er von den Phantasiebildern aus empfängt. Und deshalb zeigt Aristoteles (in fine posterior.), die Kenntnis der Principien komme zu uns von dem Sinne aus; d. h. ihr Anfang ist in den Sinnen. Gemäß der Natur im Einzelnen aber ist ein Zustand, soweit sein Anfang in Betracht kommt, natürlich, insofern der eine Mensch der Lage seiner körperlichen Organe zufolge geeigneter ist, um gut zu erkennen wie der andere; bedürfen wir doch, um den Gegenstand unserer vernünftigen Erkenntnis vor uns zu haben, der sinnlichen Kräfte. In den begehrenden Kräften jedoch ist kein Anfang eines Zustandes mit der Natur gegeben auf seiten der Seele, soweit der Zustand seiner Substanz nach in Betracht kommt; sondern höchstens können von Natur da einige vorbereitende Principien vorhanden sein, wie z. B. die Principien des gemeinen Rechtes als „Samenkörner von Tugenden“ bezeichnet werden. Und dies kommt daher, weil die Hinneigung zu einem jeden begehrenden Vermögen eigenen Gegenstande nicht Sache eines Zustandes ist, sondern zur Natur selber der betreffenden Vermögen gehört. Auf seiten des Körpers aber sind gemäß der Natur im Einzelnen die Anfänge einiger Zustände mit der Natur gegeben; insoweit einige infolge ihrer Körperkomplexion zur Keuschheit oder zur Sanftmut und Ähnlichem hinneigen.
c) I. Jener Einwurf nimmt den Ausdruck „Natur“, insoweit „Natur“ gegenübersteht der Vernunft und dem Willen; während doch Wille und Vernunft auch zur Natur des Menschen gehören. II. Es kann, auch von Natur, zum Vermögen etwas hinzugefügt werden, was jedoch zum inneren Wesen des Vermögens selber nicht gehöret. So kann es dem Vernunftvermögen der Engel nicht zugehören, daß es kraft seiner Natur als Vermögen alles Erkennbare thatsächlich erkennt; denn es wäre dann für alle Dinge das rein Thatsächliche und somit der Grund dafür, daß und insoweit alle Dinge thatsächlich sind; was nur Gott zukommt. Das nämlich, wodurch etwas erkannt wird, muß der Thatsächlichkeit nach die Ähnlichkeit dessen sein, was erkannt wird; wie, wenn ich den Stein erkenne, das was im Steine nur Vermögen ist, um demselben es zu verleihen, daß er erkennbar ist oder erkannt werden kann, in mir Thatsächlichkeit gewinnt dadurch daß ich ihn erkenne; — das innere Wesen des Steines, welches außen nur allgemeines Vermögen ist, wird dann in mir der Thatsächlichkeit nach allgemeine Idee und danach kann ich den Stein selber, soweit dieses sein Wesen es zuläßt, leiten und lenken. Würde also das Vernunftvermögen des Engels ohne weiteres von sich aus schlechthin Alles erkennen, so wäre es dadurch selber nicht mehr Vermögen, sondern der Thatsächlichkeit nach die Ähnlichkeit von Allem und somit der thatsächlich wirkende Grund alles Seins; es wäre das Thatsächliche aller Dinge, wie das Feuer das thatsächlich Warme ist für Alles, was warm ist. Es müssen deshalb zum Vernunftvermögen des Engels hinzugefügt werden einige Erkenntnisformen als Ähnlichkeit der erkannten Gegenstände. Denn nur kraft Mitteilung von seiten der göttlichen Weisheit und nicht kraft eigenen Wesens können die Vernunftkräfte derselben dem thatsächlichen Erkennen nach das sein, was sie erkennen. Und so ist klar, daß nicht Alles, was zu einem natürlichen Zustande gehört, zugleich mit der Natur des Vermögens gegeben ist. III. Die Natur verhält sich nicht gleichmäßig dazu, daß sie Zustände verursacht. Denn einige können von der Natur verursacht werden und andere nicht. Also sind deshalb nicht alle Zustände von Natur gegeben, wenn auch bei einigen in dieser Weise der Fall ist.
