Vierter Artikel. Manche Zustände sind den Menschen von Gott eingegossen.
a) Dagegen spricht: I. Gott ist der gleiche für alle. Prägt Er also einigen Menschen gewisse Zustände ein, so wird Er sie allen einprägen, was falsch ist. II. Gott wirkt in allen Dingen gemäß der Art und Weise wie es ihrer Natur zukommt; denn „der göttlichen Vorsehung geziemt es,“ wie Dionysius (de div. nom. 4.) sagt, „die Natur in jedem Dinge zu bewahren.“ Der Natur nach aber werden die Zustände im Menschen durch die Akte verursacht. Nur also vermittelst solcher menschlicher Akte verursacht Gott in uns Zustände. III. Gießt Gott einen Zustand ein, so kann der Mensch vermittelst desselben viele Akte verrichten. Dadurch aber wird nun ein ähnlicher Zustand erzeugt. Es existierten also in dem einen selben Menschen unter der gemachten Voraussetzung zwei Zustände von ein und derselben Gattung, von denen der eine durch eigene Thätigkeit erworben, der andere emgegossen wäre. Das aber ist unmöglich; denn in ein und demselben Subjekte können nicht zwei Wesensformen von der nämlichen Gattung sein. Auf der anderen Seite heißt es Ekkli. 15.: „Gott füllte ihn an mit dem Geiste der Weisheit und des Verständnisses.“ Die Weisheit und das Verständnis sind aber zwei Zustände. Also werden Zustände von Gott eingegossen.
b) Ich antworte; aus doppeltem Grunde werden Zustände von Gott dem Menschen eingegossen. Denn: 1. giebt es Zustände, welche den Menschen in das richtige Verhältnis bringen zum letzten Endzwecke, der da übersteigt das Vermögen der menschlichen Natur; und dieser Endzweck ist die letzte und vollendete Seligkeit des Menschen. Da nun Zustände dem angemessen sein müssen, wozu der Mensch durch dieselben geführt werden soll, so ist es erfordert, daß auch die Zustände, welche den Menschen in das richtige Verhältnis zu diesem Zwecke bringen, das Vermögen der menschlichen Natur überragen müssen. Solche Zustände können sonach niemals dem Menschen innewohnen außer infolge Eingießens von seiten Gottes; wie dies der Fall ist bei allen auf Grund keinerlei Verdienstes verliehenen Tugenden. Gott kann 2. alle Wirkungen, welche von den geschöpflichen Ursachen ausgehen, aus Sich allein hervorbringen, ohne daß diese geschöpflichen Ursachen mitwirken. Wie Er also manchmal, um seine Macht zu offenbaren, die Gesundheit wirkt ohne das Mitwirken der natürlichen Ursache, während sie doch von dieser gewirkt werden könnte, so auch gießt Er bisweilen den Menschen, damit Er seine Macht offenbare, solche Zustände ein, die der Mensch durch natürliche Thätigkeit ebenfalls erwerben könnte. In dieser Weise verlieh Er den Aposteln die Wissenschaft der Schrifterklärung und die Kenntnis aller Sprachen, was sonst, wenn auch nicht so vollkommen, die Menschen auch aus eigenem Bemühen erwerben können.
c) I. Mit Rücksicht auf seine Natur verhält sich Gott allen gegenüber in gleichmäßiger Weise. Gemäß der Anordnung seiner Weisheit aber teilt Er den einen Manches zu, was Er nicht den anderen giebt. II. Daß Gott in allen Dingen gemäß der Art und Weise eines jeden wirkt; das schließt nicht aus, daß Gott Manches wirkt, was die Natur nicht wirken kann. Vielmehr folgt daraus nur, daß Gott nichts thut, was gegen die Ordnung ist, welche der Natur zukommt. III. Die Akte und Thätigkeiten, welche von einem eingegossenen Zustande herrühren, bringen keinen Zustand hervor. Sie kräftigen jedoch den bestehenden Zustand; wie auch Heilmittel, welche dem gesunden Menschen gegeben werden, nicht durch ihre Natur eine neue Gesundheit verursachen, wohl aber die bereits bestehende kräftigen.
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