Dritter Artikel. Zukömmlicherweise zählt der Apostel die Früchte auf.
a) Das Gegenteil scheint wahr. Denn: I. Hier, Gal. 5., zählt der Apostel zwölf Früchte auf; und anderswo, Röm. 6., giebt er nur eine Frucht des gegenwärtigen Lebens an: „Ihr habt euere Frucht in der Heiligung;“ und Isai. 27.: „Das ist die ganze Frucht, daß die Sünde entfernt wird.“ II. Die Frucht entsteht aus geistigem Samen. Da stellt aber der Herr selbst Matth. 13. eine dreifache Frucht auf, die dem guten Boden entspringt: „Die dreißigfältige, sechzigfältige, hundertfältige.“ Also giebt es nicht zwölf. III. „Letztes“ und ergötzlich zu sein, ist der Wesenscharakter der Frucht. Dies kommt aber den vom Apostel hergezählten Früchten nicht zu. Denn Langmut und Geduld beziehen sich mehr auf traurige Dinge; der Glaube zudem hat vielmehr den Charakter des Fundamentes, wie des „Letzten“. IV. Auf der anderen Seite sind zu wenige Früchte aufgezählt. Denn alle Seligkeiten sind Früchte. Die fehlen aber hier zum großen Teile.
b) Ich antworte, die Zwölfzahl, unter welcher der Apostel hier die Früchte aufzählt, sei zukömmlich; und entspreche dem Texte der Apokalypse ult. 2.: „Von beiden Seiten des Flusses der Lebensbaum, welcher zwölf Früchte bringt.“ Weil nun die Frucht von jemandem ausgeht wie aus der Wurzel und dem Samen, deshalb müssen wir unterscheiden diese Früchte gemäß dem verschiedenen Vorgehen oder Ausgehen des heiligen Geistes in uns. Zuerst nun wird der menschliche Geist in sich selbst geordnet; sodann mit Bezug auf das, was mit ihm auf gleicher Stufe steht; endlich mit Bezug auf das, was unter ihm ist. In sich selbst ist der Menschengeist gut geordnet, wenn er sich in gebührender Weise verhält im Guten und im Bösen. Die erste Verfassung im Menschen nun rücksichtlich des Guten ist die Liebe; und so steht an erster Stelle in den Früchten die heilige Liebe, caritas, in welcher vorzugsweise der heilige Geist verliehen wird wie in der Ihm entsprechenden Ähnlichkeit, da Er die Liebe ist; weshalb Röm. 5. gesagt wird: „Die heilige Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben worden.“ Der heiligen Liebe folgt mit Notwendigkeit die Freude. Denn der Liebende freut sich über die Verbindung mit dem Geliebten, die heilige Liebe aber hat immer sich gegenwärtig den Gott, den sie liebt, nach 1. Joh. 4.: „Wer in der heiligen Liebe bleibt, der bleibt in Gott.“ Die Vollendung der Freude nun ist der Friede mit Rücksicht auf zweierlei: 1. Mit Rücksicht auf die Ruhe von seiten äußerer Störungen. Denn nicht kann vollkommen über den Geliebten sich freuen, wer in diesem Genusse von anderen gestört wird; und wer zudem sein Herz vollkommen befriedigt an Einem in sich hat, der kann von Anderem her nicht belästigt werden, da er Anderes für nichts hält nach Ps. 118.: „Reicher Friede wohnt in denen, die Dich lieben; für sie besteht kein Ärgernis.“ — 2. Mit Rücksicht auf das auf und niederwogende Verlangen; denn nicht vollkommen freut sich jemand an einem Gute, dem dieses Gut nicht genügt. Das aber schließt der Friede ein, daß man von außen her nicht gestört werde und daß alles Verlangen in einem Gute seine Ruhe Finde. In den Übeln nun verhält sich der Mensch in gebührender Weise: 1. „Wenn er durch drohende Übel nicht verwirrt wird; und dafür steht die Geduld da; — 2. wenn er durch den Aufschub des Guten nicht gestört wird; und dafür ist die Langmut, denn des Guten entbehren ist ein Übel. (5 Ethic. 3.) Gegenüber dem Mitmenschen ist der Geist in guter Verfassung: 1. Mit Rücksicht auf den Willen, Gutes zu thun; und das gehört zur Güte; — 2. mit Rücksicht auf die Ausführung der guten Absicht; und dafür ist das Wohlwollen; — 3. mit Rücksicht darauf, daß man gleichmütig die Übel erträgt, welche von Anderen angethan werden; da steht die Sanftmut, welche die Zornausbrüche verhindert; — 4. mit Rücksicht darauf, daß wir nicht nur nicht durch den Zorn, sondern auch nicht durch Trug und List den Nächsten schaden; und das besorgt der Glaube als Treue“ aufgefaßt; — wird er aber als die theologische Tugend aufgefaßt, so steht er für die Regelung der Beziehungen zu dem, was über uns ist, daß der Mensch seine Vernunft Gott unterwerfe und somit auch Alles, was ihm gehört. Gegenüber dem, was unter ihm ist, steht der Mensch in gutem Verhältnisse: 1. Durch die Bescheidenheit, welche die äußerlichen Thätigkeiten regelt, daß man in allen Worten und Werken Maß halte; — 2. durch die Enthaltsamkeit und Keuschheit, welche die inneren Begierden regelt, insoweit der Keusche sich des Unerlaubten enthält, der Enthaltsame aber des Erlaubten; oder insoweit der Enthaltsame Begierlichkeiten erleidet, aber nicht verführt wird, der Keusche aber sie weder erleidet noch verführt wird.
c) I. Die Heiligung vollzieht sich vermittelst aller Tugenden, durch welche ja auch die Sünden hinweggenommen werden. „Frucht“ also steht hier für die Einheit der „Art“, welche in viele Gattungen zerfällt, gemäß denen von „Früchten“ gesprochen wird. II. Das „Dreißigfältige, Sechzigfältige, Hundertfältige“ bezeichnet die verschiedenen Grade der Vollendung ein und derselben Tugend, wie die eheliche Keuschheit „das Dreißigfältige“, die Keuschheit des Witwenstandes „das Sechzigfältige“, die jungfräuliche Keuschheit „das Hundertfältige“ vorstellt. Drei Grade werden in jeder Tugend angesetzt gemäß dem Beginne, der Mitte und der Vollendung. III. In Traurigem nicht verwirrt werden, das ist an sich selber ergötzlich. Und der Glaube hat ebenso den Charakter des „Letzten“ und Ergötzlichen, obgleich er als Fundament betrachtet wird; weil er nämlich Gewißheit einschließt, so daß die Glosse sagt: „Glaube, d. i. Gewißheit rücksichtlich des Unsichtbaren.“ IV. Augustinus sagt dazu (sup. ep. ad Galat.): „Der Apostel wollte hier nicht lehren, wie viele der Werke des Fleisches sind oder der Früchte des Geistes; sondern zeigen, in welcher Art jene zu vermeiden, diese zu erstreben seien.“ Er hätte also mehrere oder wenigere aufzählen können. Und doch können alle Thätigkeiten der Tugenden und Gaben auf diese zwölf Früchte zurückgeführt werden, je nachdem sie den Menschen regeln in einer von den eben beschriebenen Weisen. Die Weisheit z. B. und dergleichen Gaben, welche zum Guten hinordnen, lassen sich zurückführen auf die Liebe, die Freude und den Frieden. Der Apostel zählte aber diese auf und keine anderen, weil sie vorzugsweise das Genießen des Guten einschließen und die Zurückweisung des Schlechten, was zumal dem Charakter der Frucht entspricht.
