Dritter Artikel. Über das Aufhören der Ceremonien des Alten Gesetzes, resp. ihrer verbindlichen Kraft.
a) Es scheint, die verbindende Kraft der Ceremonien des Alten Bundes habe nicht aufgehört mit der Ankunft Christi. Denn: I. Baruch 4. heißt es: „Das ist das Buch der Gebote Gottes, das Gesetz, das da ist in Ewigkeit.“ Zum Gesetze aber gehörten die Ceremonien. II. Christus selbst sandte die Aussätzigen, die Er geheilt, zum Priester; erkannte also das Gesetz der Ceremonien an. III. Die Ceremonien hatten zum Zwecke auch den Kult Gottes. Dieser Zweck aber bleibt, selbst nach der Ankunft Christi. IV. Der Grund der Beschneidung war, ein Zeichen des Glaubens zu sein, welchen Abraham bekannte. Die Sabbathsruhe war eingesetzt als Erinnerung an die Wohlthat der Erschaffung; und andere Festlichkeiten als Erinnerung an andere Wohlthaten Gottes. Diese Gründe aber bleiben alle noch heute bestehen; also auch die von ihnen abgeleitete Wirkung. Auf der anderen Seite steht Kol. 2. geschrieben: „Niemandes Urteile sollt ihr unterliegen in der Auswahl der Speise, des Trankes oder was die Festtage betrifft, die Neumondstage, die Sabbathe; dies Alles war der Schatten des Zukünftigen;“ — und Hebr. 8.: „Da Er sagt: Das Neue Testament, ist das frühere veraltet; was aber alt und schwach wird, das ist beinahe untergegangen.“
b) Ich antworte, alle Ceremonialvorschriften haben zum Zwecke den Kult Gottes. Der äußere Kult aber muß gleichförmig sein dem inneren, der sich in Glaube, Hoffnung und Liebe vollendet. Nach Maßgabe des inneren Kultus also mußte eine Änderung eintreten im äußeren. Nun kann der innere Kult 1. sich richten auf die himmlischen Güter, mit Rücksicht auf welche wir Glaube und Hoffnung haben, und somit auf das, wodurch wir zu Himmlischem geführt werden. Auf Beides richtete sich als auf etwas Zukünftiges das Alte Gesetz mit seinem Glauben und Hoffen. Es kann 2. der innere Kult sich zwar richten auf die himmlischen Güter wie auf etwas Zukünftiges; auf das aber, wodurch wir in den Himmel gelangen, wie auf etwas Gegenwärtiges oder Vergangenes; — und das ist im Neuen Bunde der Fall. Es kann 3. der innere Kult sich richten auf Beides wie auf etwas Gegenwärtiges; wo nichts geglaubt wird, was abwesend wäre; nichts gehofft, was zukünftig wäre. Das ist der Stand der Seligen. In diesem Stande wird nichts Figürliches zum Kulte Gottes gehören; sondern nur „Danksagung und Lobpreisung“; und deshalb heißt es Apok. 21.: „Einen Tempel sah ich da nicht; denn der Herr selber ist ihr Tempel und das Lamm.“ Aus demselben Grunde nun müssen die Ceremonien des ersten Standes weichen, welche die Figur des zweiten waren, sobald dieser gegenwärtig ist; wie die des zweiten weichen müssen, welche die Figur des dritten sind, wenn dieser, die Seligkeit nämlich, gegenwärtig ist. Die Ceremonien also des Alten Gesetzes müssen notwendig aufhören und andere kommen, wo das durch sie als zukünftig Vorgestellte, die Geheimnisse Christi nämlich, die Wohlthaten Gottes, durch die wir zu Himmlischem geführt werden, gegenwärtig geworden ist.
c) I. Mit Rücksicht auf die moralischen Vorschriften ist das Alte Gesetz in Ewigkeit schlechthin geltend; mit Rücksicht auf die Ceremonialvorschriften aber nur, soweit es auf jene Wahrheit ankommt, welche durch sie vorgebildet worden sind. II. Das Geheimnis der Erlösung des Menschengeschlechtes ward vollendet im Leiden Christi. Also mußten die Gesetzesfiguren weichen, als Christus sprach: „Es ist vollbracht.“ Deshalb riß im Leiden Christi der Tempelvorhang, Vor dem Leiden Christi sonach, während Er predigte und Wunder wirkte, liefen gemeinsam das Gesetz und das Evangelium; denn das Geheimnis Christi war angefangen; aber noch nicht vollendet. Deshalb gebot Er den Aussätzigen, dem Gesetze nachzukommen. III. Der ganze Kult Gottes im Alten Testamente war im Glauben an den zukünftigen Erlöser. So wie aber die Wortgründe sich auf den Kult Gottes beziehen, so mußte, da der Erlöser wirklich kam, der ganze Kult mit allen Gründen für selbige weichen. IV. Der Glaube Abrahams bestand darin, daß er glaubte der göttlichen Verheißung betreffs des zukünftigen Samens, „in dem gesegnet sein sollen alle Geschlechter der Erde.“ Da also der bezeichnete zukünftig war, bedürfte es als Zeichens des Glaubens an Ihn der Beschneidüng. Da Er aber schon gegenwärtig war, mußte der betreffende Glaube durch ein anderes Zeichen offenbar werden; nämlich durch die Taufe, die nach Kol. 2. nach dieser Seite hin der Beschneidung gefolgt ist: „Ihr seid beschnitten, nicht in der Beschneidung, die Fleisch fortnimmt, sondern in der Beschneidung unseres Herrn Jesu Christi, mitbegraben mit Ihm in der Taufe.“ Der Sabbath, der an die erste Erschaffung erinnerte, geht über in den Sonntag, der an die neue Kreatur mahnt, die da begann in der Auferstehung Christi. Weil nun im allgemeinen jene Festlichkeiten im Alten Bunde an die Wohlthaten Gottes erinnern, welche die Figur waren für jene, die uns Christus verliehen, treten neue Feste an ihre Stelle. Dem Paschafeste entspricht das Fest der Auferstehung Christi; dem fünfzigsten Tage, wo das Alte Gesetz gegeben worden, entspricht das Pfingstfest, wo das Gesetz des Geistes des Lebens gegeben warb. Dem Neumondsfeste entspricht die festliche Verehrung der Mutter Gottes, in welcher zuerst erschien das Leuchten der Sonne, die da Christus ist, vermittelst der Fülle der Gnade. Dem Posaunenfeste entsprechen die Apostelfeste. Dem Sühnfeste die Feste der Märtyrer und Bekenner. Dem Laubhüttenfeste folgt nach das Kirchweihfest; dem Einsammlungsfeste das Fest der Engel oder auch Allerheiligen.
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