Vierter Artikel. Das Gesetz des Neuen Bundes ist nicht schwerer wie das Alte Gesetz.
a) Das Gegenteil wird dargethan. Denn: I. Chrysostomus sagt (Hom. 10. in op. imp.): „Die Gebote Mosis sind was den Akt anbetrifft, leicht, wie: Du sollst nicht töten, nicht ehebrechen; — die Gebote Christi aber, wie: Du sollst nicht zürnen, sind schwerer thatsächlich zu beobachten.“ II. Leichter ist es, irdisches Glück zu genießen wie Trübsale zu erleiden. Dem aber, der das Alte Gesetz beobachtete, folgte nach Deut. 28. zeitliches Glück; im Neuen Testamente jedoch folgt Trübsal, nach 2. Kor. 6.: „Bieten wir uns selbst dar wie Gottes Knechte in vieler Geduld, in Trübsalen, in Bedürfnissen, in Ängsten etc.“ Also ist das Gesetz des Neuen Bundes schwerer. III. Das Gesetz des Evangeliums fügt noch hinzu zum Alten. Denn das letztere verbot den Meineid, das Evangelium auch das Schwören; das Alte Gesetz verbot das Entlassen der Frau ohne Scheidebrief, das Evangelium ganz und gar; wie Augustin hervorhebt. (1. de serm. Dom. c. 14.) Also ist das Neue Gesetz schwerer wie das Alte. Auf der anderen Seite sagt der Herr (Matth. 14.): „Kommt zu mir alle, die ihr beladen seid;“ wozu Hilarius (11. in Matth.) bemerkt: „die ihr arbeitet unter den Schwierigkeiten des Gesetzes; Er ruft zu Sich die mit den Sünden dieser Zeit beschwerten.“ Und gleich darauf sagt der Herr: „Mein Joch ist süß und meine Bürde leicht.“
b) Ich antworte; werden die äußeren Werke beachtet, so war wegen der vielfachen Ceremonien das Alte Gesetz bei weitem schwerer wie das Neue. Denn letzteres hat außer den Geboten der Natur äußerst wenige Vorschriften, soweit es auf die Lehre Christi und der Apostel ankommt. Mögen dann später infolge der Anordnung der heiligen Väter auch manche Vorschriften hinzugetreten sein, so sagt doch Augustin (ep. 55. ad Januarium), wie auch hier in hohem Grade Maß zu halten sei, damit das Leben der Gläubigen nicht zu beschwert und lästig werde. „Unsere Religion,“ schreibt er, „die gemäß der göttlichen Barmherzigkeit in der Feier einiger sehr offenbarer und äußerst weniger Sakramente frei sein sollte, drücken sie mit sklavischen Werken, so daß erträglicher ist die Lage der Juden, die den Gesetzeslasten Unterthan sind und nicht menschlichen Erfindungen.“ Werden aber die inneren Tugendakte berücksichtigt, daß nämlich jemand gern und bereitwillig thut, was die Tugend verlangt, so ist dies an sich mit mehr Schwierigkeiten verbunden wie im Alten Bunde; wird jedoch leicht gemacht eben durch die Tugend. Wer also die Tugend nicht hat, dem sind diese inneren Tugendakte schwer; „denn,“ sagt Aristoteles, „so zu wirken, wie der Gerechte wirkt, ist schwer für den, der nicht die Tugend der Gerechtigkeit besitzt.“ (5 Ethic. 9.) Und so sagt Johannes (1, 5.), daß „seine Gebote nicht schwer sind;“ denn, bemerkt Augustin (de natura et gratia cap. 69.) „sie sind nicht schwer für den liebenden, für den nicht liebenden find sie schwer.“
c) I. Da ist die Rede vom Zügeln der inneren Bewegungen. II. Nicht das Neue Gesetz selber legt die Trübsale auf; wegen der Liebe aber, in welcher das Gesetz besteht, werden sie leicht getragen. Denn „alles Grausame und Beschwerliche macht leicht und sanft, wie wenn es nichts wäre, die Liebe.“ (Aug. de verb. Dom. serm. 9.) III. Jene Zusätze machen, daß das leichter beobachtet wird, was das Alte Gesetz vorschrieb. Deshalb also ist das Neue Gesetz vielmehr leichter wie schwerer.
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