Einziger Artikel. Zulässigerweise werden drei Teile der Klugheit angegeben.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Cicero (Rhet.) setzt drei Teile an: das Gedächtnis, das Verständnis, die Fürsorge.“ Makrobius (1. de som. Scip. 8.) nach Plotin nennt sechs Teile der Klugheit: „Die Kraft von Einem auf das Andere zu schließen, das Verständnis oder Einsehen, die Umsicht, die Fürsorge, die Gelehrigkeit und die Vorsicht.“ Aristoteles spricht von drei Teilen: „Das gute Beraten, die Auffassung, das Urteil (6 Ethic. 10, 11.); erwähnt dabei aber die glückliche Mutmaßung, die Besorgtheit, den Sinn und die Vernunft. Andronikus zählt gar zehn Teile auf: „Das gute Beraten, die Besorgtheit, die Fürsorge, die politische, die militärische, die gesellschaftliche oder ökonomische, die Herrscherklugheit, die Dialektik, Rhetorik, Physik.“ Also ist in allen diesen Annahmen entweder etwas Überflüssiges oder etwas Mangelhaftes. II. Die Klugheit wird der reinen Wissenschaft gegenübergestellt. Die Politik aber, die Ökonomie, die Dialektik, Rhetorik, Physik, sind Wissenschaften. Also sind sie keine Teile der Klugheit. III. Die Teile dürfen nicht umfassender sein wie das Ganze. Das günstige Gedächtnis, die Gelehrigkeit etc., gehören aber zu allen Tugenden. IV. Beraten, urteilen, vorschreiben sind nicht die einzigen Thätigkeiten der praktisch thätigen Vernunft; dazu gehört auch das Gebrauchen oder verwenden. Mit Bezug darauf aber ist kein Teil angegeben. V. Die Sorge ist zur Klugheit gehörig. Also mußte sie auch unter den Teilen stehen.
b) Ich antworte; drei Arten von Teilen gebe es: 1. solche, welche das ganze zusammensetzen, integrale, wie die Wand, das Dach, das Fundament etc. eines Hauses sind; — 2. solche, welche sich auf das beziehen, wo das Ganze seinen Sitz hat; also subjektive, wie der Ochse und der Löwe etc., Unterabteilungen sind im Bereiche der tierischen „Art;“ denn Löwe Ochse sind gleichermaßen Tiere; nur was das Tiersein trägt, nämlich der Sitz ist verschieden; — 3. solche, welche wie Kräfte oder Vermögen das Ganze, zusammen verbunden ausreichend, je nach dem inneren Inhalte offenbaren, potentiale; wie das Nährvermögen und der sinnliche Teil Teile d. h. Vermögen der Seele sind. So können wir demgemäß für eine Tugend in dreifacher Weise die Teile angeben. Nehmen wir also die erstgenannte Art Teile, die integralen, so sind acht Teile zu nennen, die nämlich alle insgesamt den vollkommenen Tugendakt der Klugheit herstellen, wo also ein jeder von denselben etwas beiträgt. Es sind dies die sechs Teile des Makrobius, wozu das „Gedächtnis“ (Cicero) tritt und die „Besorgtheit“ (Aristoteles). Der „Sinn“ bei Aristoteles ist dasselbe wie die „Vernunft“; das „glückliche Mutmaßen“ dasselbe wie die „Besorgtheit“. Fünf von diesen Teilen gehören zum rein erkennenden Charakter der Vernunft; nämlich das Gedächtnis, die Kraft zu schließen, die Vernunft, die Gelehrigkeit, die Besorgtheit; drei gehören zu ihr, insoweit sie vorschreibt und somit die Kenntnis auf das Thätigsein anwendet: die Fürsorge, die Umsicht, die Vorsicht. Denn mit Rücksicht auf die Kenntnis ist dreierlei zu beachten:
a) die Kenntnis selbst, die, wenn das Vergangene ihr Gegenstand ist, Gedächtnis heißt; wenn sie auf das Gegenwärtige sich richtet, sei dies Notwendiges oder Zufälliges, Verständnis; —
b) die Erlangung der Kenntnis, die entweder durch Unterricht erworben wird, wofür die Gelehrigkeit steht, oder durch eigenes Forschen und Finden, wofür das glückliche Mutmaßen gesetzt ist, dessen Teil dann die Besorgtheit ist d. h. das eifrige Suchen nach einem Mittel; —
c) der Gebrauch der Kenntnis, insoweit jemand von etwas Erkanntem ausgeht, um Anderes zu erkennen; dafür steht die Kraft zu schließen. Damit nun recht vorgeschrieben werde, muß die Vernunft zweckentsprechend die Mittel ordnen, was Fürsorge heißt; sie muß auf die Umstände der Wirksamkeit achtgeben, was in der Umsicht ausgedrückt ist; sie muß die Hindernisse vermeiden, was zur Vorsicht gehört. Subjektive Teile einer Tugend werden ihre verschiedenen Gattungen genannt; wo nämlich nur der Träger selber oder die Art und Weise, in welcher die Tugend ihren Sitz da hat, verschieden ist, immer aber in jedem dieser Teile der ganze Wesenscharakter der Klugheit gewahrt bleibt. Und danach ist die eine Gattung oder Unterabteilung der Klugheit jene, kraft deren jemand sich selbst leitet; und die andere jene, kraft deren jemand ein Gemeinwesen leitet; — wo also im Sitze der Tugend, in der Kenntnis nämlich einerseits; und andererseits im Zwecke, dem Gegenstande des Begehrens, der Unterschied ist. Die Klugheit nun, welche auf das Gemeinbeste geht, läßt dann wieder Unterscheidungen zu je nach der Gattung des Gemeinwesens. Denn es giebt da eine Gemeinschaft, die nur zu einer ganz bestimmten Thätigkeit vereint ist, wie z. B. ein Heer zum Kämpfen; danach ist die militärische Klugheit. Eine andere Gemeinschaft ist in sich verbunden für das ganze Leben, wie die der Familie; danach ist die ökonomische oder gesellschaftliche Klugheit. Oder es ist die Staatsgemeinschaft; danach ist speciell im Fürsten die Herrscherklugheit, im allgemeinen aber (die Unterthanen miteinbegriffen) besteht da die politische oder Staatsklugheit. Wird jedoch „Klugheit“ im weiten Sinne genommen, wonach sie einschließt die beschaulich betrachtende Wissenschaft (vgl. Kap. 47, Art. 2 ad II.), so werden als ihre Teile bezeichnet die Dialektik oder die Wissenschaft zu disputieren; die Rhetorik oder die Rednerkunst; und die Physik oder Naturwissenschaft. Und zwar geschieht dies nach der dreifachen Art und Weise, wissenschaftlich vorzugehen; nämlich
a) vermittelst des Beweises, um wirklich Wissen zu verursachen; und das wird im weiteren Sinne unter Physik verstanden, also überhaupt die beweisende Wissenschaft; 2. vermittelst von Wahrscheinlichkeitsgründen, um eine Meinung zu erwerben; und danach steht die Dialektik; — 3. vermittelst von Mutmaßungen, um jemandem etwas zu überreden; und danach steht die Rednerkunst. Diese drei Dinge kann man aber auch zur Klugheit im eigentlichen Sinne rechnen, welche bisweilen von innerlich notwendigen Sätzen ausgeht, bisweilen von Wahrscheinlichkeiten und bisweilen nur von Mutmaßungen. Potentiale Teile einer Tugend werden hinzutretende Tugenden genannt, welche von der betreffenden Tugend selber ihre Kraft haben und auf einzelne besondere oder untergeordnete Thätigkeiten, die in das Bereich der besagten Tugend fallen, Bezug haben. Jede von diesen hinzutretenden Tugenden stellt nur einen Teil der Kraft vor, welche der Haupttugend innewohnt. Danach nun sind Teile der Klugheit das gute Beraten; die Auffassung (synesis) oder Beurteilung dessen, was nach den allgemeinen Regeln zu geschehen hat; und das Urteil (Gnome) darüber, wo man von den gewöhnlichen Regeln abweichen muß. Die Klugheit selber richtet sich dann auf das Vorschreiben.
c) I. Die Teile werden da je nach ihrer verschiedenen Art verschieden angegeben. Cicero schließt zudem ein unter der Fürsorge die Umsicht und Vorsicht; unter dem Verständnisse die Kraft zu schließen, die Gelehrigkeit, die Besorgtheit oder Betriebsamkeit. II. Die „Ökonomie“ und „Politik“ stehen da nicht als Wissenschaften verzeichnet, sondern als Teile der Klugheit. III. Nicht insoweit sie Vielem gemeinsam sind, stehen alle diese Angaben da; sondern insoweit sie sich auf die Klugheit beziehen. IV. Richtig vorschreiben und die Vernunft gebrauchen entspricht sich gegenseitig. Denn der Vorschrift der Vernunft folgen die niederen Kräfte; und das heißt: Gebrauchen. V. Sorge ist dasselbe wie Fürsorge.
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