Zweiter Artikel. Die Ironie ist eine kleinere Sünde wie die Prahlerei.
a) Das Gegenteil scheint wahr. Denn: I. Von dem Gleichmaße der Wahrheit weicht man ebensogut durch das „zuviel“ wie durch das „zuwenig“ ab. Also ist es ganz gleich, durch Ironie zu sündigen oder durch Prahlen. II. „Die Ironie ist manchmal Prahlen,“ nach 4 Ethic. 7. Das Umgekehrte ist aber nicht der Fall. Also ist die Ironie keine kleinere Sünde wie die Prahlerei. III. Prov. 26. heißt es: „Wann er im Flüstertone spricht, so glaube ihm nicht; denn sieben Bosheiten sind dann in seinem Herzen.“ Flüstern aber ist der Ironie eigen. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (I. c.): „Die zu wenig von sich sagen scheinen besser gesittet zu sein.“
b) Ich antworte, die eine Lüge sei schwerer wie die andere, bisweilen auf Grund des Inhaltes, wie die Lüge in Sachen der Glaubenslehre eine im höchsten Grade schwere ist; — bisweilen auf Grund des Beweggrundes, wie die schädliche Lüge schwerer ist als die Scherz- und Notlüge. Die Ironie und Prahlerei aber sind Lügen rücksichtlich des Nämlichen, nämlich rücksichtlich der Lage der Person. Also nach dieser Seite hin stehen sie auf gleicher Stufe. Meistenteils aber geht die Prahlerei aus einem unsittlicheren Beweggrunde hervor, nämlich aus Geld- oder Ehrgier; während die Ironie es scheut, wenn auch in ungeregelter Weise, anderen lästig zu fallen durch zu vieles Erheben der eigenen Person. Und danach sagt Aristoteles, die Ironie sei eine kleinere Sünde wie das Prahlen. Spricht jedoch jemand zu geringfügig über sich, um mit List zu täuschen, so ist diese Ironie eine schwerere Sünde wie das Prahlen.
c) I. Dieser Einwurf geht von der erstgenannten Auffassung aus. II. Es giebt einen doppelten Vorrang: in zeitlichen Dingen und in geistigen. Nun will jemand manchmal in äußeren Dingen, wie in Kleidern oder in der Nahrung mangelhaft erscheinen, damit so die geistigen Vorzüge der Tugenden recht hervortreten; wie der Herr sagt (Matth. 6.): „Sie verunstalten ihr Antlitz, damit sie den Menschen als fastende vorkommen.“ Diese Menschen also sündigen zugleich durch Ironie und durch Prahlerei. Deshalb liest man von Augustin, er hätte weder allzu kostbare noch allzu ärmliche Kleider getragen; denn in Beidem suchen die Menschen ihren Stolz. III. „Es giebt deren, die sich boshafterweise demütigen und ihr Herz ist voll List,“ heißt es Ekkli. 19. Und danach spricht Salomo von jenem, der aus listiger Demut seine Stimme zum Flüstertone ermäßigt.
