Vierter Artikel. Die Seele Christi war dem Leiden zugänglich.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. „Nichts kann leiden außer vom Stärkeren“ (Aug. 12. sup. Gen. ad litt. 16.). Keine Kreatur aber war stärker wie die Seele Christi. Also konnte sie von keiner Kreatur her leiden. II. Cicero nennt (3. de Tuscul.) die Leidenschaften Krankheiten der Seele; denn die Leidenschaft folgt der Sünde, weshalb der Psalmist fleht (Ps. 40.): „Heile meine Seele; denn ich habe vor Dir gesündigt.“ In der Seele Christi aber war keine Sünde und demgemäß kein Leiden. III. Die Leidenschaften der Seele scheinen zusammenzufallen mit dem Fleischesstachel; weshalb sie Röm. 7. genannt werden: „Die Leidenschaften der Sünden.“ In Christo aber war kein Fleischesstachel; also auch keine Leidenschaft. Auf der anderen Seite sagt der Herr selber beim Psalmisten (Ps. 87.): „Meine Seele ist voll von Übeln;“ nicht von Sünden, sondern „von Schmerzen“, wie die Glosse Augustins sagt.
b) Ich antworte, die Seele, soweit sie im Leibe ist, leide 1. durch körperlichen Schmerz; wenn der Körper verletzt wird. Da nämlich die Seele als die bestimmende Wesensform d. h. als die Thätigkeit, der actus, des Körpers dasteht; so folgt, daß ein einheitliches Sein haben Körper und Seele, und daß somit, wenn der Körper einmal durch eine Verletzung gestört worden ist, auch die Seele, freilich nicht in ihrem inneren Wesen, sondern auf Grund der Verbindung mit dem Körper, der an und für sich ihr äußerlich ist, also per acccidens gestört wird. Weil nun der Körper Christi leidensfähig war, so folgt, daß auch seine Seele litt, wenn dem Körper Schmerzliches zugefügt wurde. Die Seele leidet 2. gemäß den sinnlichen Eindrücken als eine thätigseiende. Denn mag man auch das vernünftige Verstehen und das sinnliche Auffassen ebenfalls als ein Leiden bezeichnen, insofern dabei etwas von der Seele empfangen wird; so werden doch so recht eigentlich Leidenschaften genannt die Hinneigungen des natürlichen sinnlichen Begehrens; — und diese waren in Christo wie Alles, was der menschlichen Natur zugehört. Deshalb sagt Augustin (14. de civ. Dei 9.): „Der Herr selber, da Er in Knechtsgestalt ein wahres menschliches Leben führen wollte, hat die Leidenschaften angewandt, wo Er dies für gut hielt; und es war nicht in Ihm, der einen wahren menschlichen Körper trug und in dem eine wahrhaft menschliche Seele wohnte, falsch und Verstellung die menschliche Hinneigung, wie sie sich in den Sinnen ausdrückt.“ Dabei ist jedoch zu erwägen, daß in Christo die Leidenschaften anders waren wie in uns: 1. Mit Rücksicht auf den Gegenstand; denn nichts Unerlaubtes war deren Gegenstand wie dies bei uns meistenteils der Fall ist; — 2. mit Rücksicht auf ihr Princip; denn in uns kommen dergleichen Leidenschaften häufig der Vernunft zuvor, in Christo nie, weshalb Augustin (l. c.) sagt: „Wenn der Herr diese Bewegungen um unseres zuverlässigen Heiles willen wollte, nahm Er sie in seinen menschlichen Sinnen an; wie Er, wann Er wollte, Mensch geworden ist;“ — 3. mit Rücksicht auf die Wirkung; denn sie hinderten im Herrn niemals, wie bei uns so oft, die Ruhe der Vernunft. Deshalb sagt Hieronymus zu Matth. 26. (coepit contristari): „Der Herr, damit Er zeige, wie Er wahrhaft die menschliche Natur angenommen, ist wahrhaft traurig geworden; damit aber gezeigt werde, wie eine solche Leidenschaft nie seinen Geist beherrschte, wird gesagt, gleichsam als Zeichen der Meisterschaft über die Leidenschaft: Er fing an, traurig zu werden.“ Denn unter der vollen Leidenschaft wird verstanden, wenn sie die Vernunft beherrscht; unter dem Beginnen derselben, daß sie wohl ausgeht vom sinnlichen Begehren, aber nicht weiter sich erstreckt, sondern von der Vernunft aufgenommen und geregelt wird.
c) I. Aus eigenem freien Willen unterwarf sich der Herr solchem Leiden und Schmerz der Seele; wenn sie auch, zumal durch die ihr innewohnende göttliche Kraft, hätte in allen Fällen Widerstand leisten können, daß sie gar nicht kämen. II. Cicero spricht da nach der Ansicht der Stoiker, welche alle Regungen des sinnlichen Begehrens Krankheiten nannten; und nicht allein die ungeregelten. Letztere waren offenbar in Christo nicht. III. „Leidenschaften der Sünden“ sind sinnliche Regungen zum Uneraubten hin. Das war in Christo nicht, da Er keinen fomes hatte.
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