Vierter Artikel. Das Kreuz Christi ist anzubeten.
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. Jedes gute Kind verabscheut das Marterwerkzeug, vermittelst dessen sein Vater gelitten oder Schmach erduldet hat; wie z. B. das Holz, an dem er aufgehängt ward, oder den Strick, mit dem man ihn schlug. Das Kreuz aber ist für Christum das Holz der Schmach, nach Sap. 2.: „Zum schmählichsten Tode wollen wir Ihn verurteilen.“ Niemand also soll das Kreuz verehren, sondern verabscheuen. II. Die menschliche Natur in Christo wird angebetet, weil sie persönlich vereint ist mit dem „Worte“, was beim Kreuze nicht der Fall ist. III. Wie das Kreuz; so waren die Nägel, die Dornenkrone, die Lanze für Jesum Marterwerkzeuge. Also müßten wir diesen auch göttliche Ehre erweisen, was nicht der Fall ist. Auf der anderen Seite erweisen wir Jenem göttliche Ehre und Anbetung, worauf wir die Hoffnung des Heiles setzen. Die Kirche aber singt in der Leidenswoche: „Kreuz, einz'ge Hoffnung, sei gegrüßt, In dieser heiligen Leidenszeit, Vermehre der gerechten Kraft, Tilg' aus des Sünders schwere Schuld.“
b) Ich antworte, der vernunftlosen Kreatur werde nur Ehre erzeugt mit Rücksicht auf die vernünftige Natur; und zwar 1. insoweit letztere dargestellt wird; und 2. insoweit die vernunftlose Kreatur mit der vernünftigen wie auch immer verbunden erscheint. In der ersten Weise verehren die Menschen das Bild des Königs, in der zweiten sein Kleid. Beides aber verehren sie mit der nämlichen Verehrung wie den König selbst. Das Kreuz selber also stellt uns 1. die Figur Christi dar, insoweit der Herr auf dem Kreuze ausgespannt wurde; 2. hat es die Glieder Christi berührt und ward mit dessen Blute durchtränkt. Und deshalb wird ihm nach beiden Seiten hin göttliche Anbetung erwiesen. Darum sprechen wir auch zum Kreuze und stehen zu ihm, wie zum Gekreuzigten selber. Handelt es sich aber um irgend welches Bild des Kreuzes in Holz, Stein, Gold, Silber etc., so gilt davon das über die Bilder Christi Gesagte.
c) I. Die ungläubigen sehen im Kreuze Christi die Schande. Wir aber erblicken in ihm die von der göttlichen Kraft hervorgebrachte Wirkung unseres Heiles, insoweit der Triumph über unsere Feinde auf demselben davongetragen worden ist, nach Koloss. 2.: „Das Schulddekret trug Er von dannen und heftete es an das Kreuz; Er entleerte die Fürstentümer und Gewalten und zog sie hinter Sich her in offenem Triumphe in Sich selber.“ Und 1. Kor. 1.: „Das Wort des Kreuzes ist für die untergehenden Thorheit; für die aber, welche gerettet werden, d. h. für uns, ist es Gottes Kraft.“ II. Das Kreuz Christi war immerhin in etwa mit Christo verbunden, indem es Ihn berührte und die Art seines Leidens und Todes darstellte. Deshalb nun wird ihm Ehre erwiesen. III. Mit Rücksicht auf die Berührung des Leibes Christi beten wiran nicht nur das Kreuz, sondern auch das Übrige. Deshalb sagt Damascenus (4. de orth. fide 12.): „Das kostbare Kreuzesholz als geheiligt durch die Berührung des heiligen Leibes und Blutes ist geziemend anzubeten; ebenso die Nägel, die Lanze, die Gewänder, die Krippe, die Grabeshöhle und Ähnliches.“ Diese Dinge aber stellen kein Bild Christi dar, wie dies die Figur des Kreuzes thut, welches genannt wird: das Zeichen des Menschensohnes, das da erscheinen wird am Himmel (Matth. 24.). Und deshalb sagte der Engel den Weibern: „Ihr suchet Jesum von Nazareth, den Gekreuzigten;“ er sagte nicht: den mit der Lanze durchstochenen, sondern den Gekreuzigten. Daher kommt es auch, daß wir in jedem Stoffe das Bild des Kreuzes Christi verehren; was beim Bilde der Nägel u. dgl. nicht der Fall ist.
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