Sechster Artikel. Die Verehrung der Reliquien der heiligen.
a) Solche Reliquien dürfen nicht verehrt werden. Denn: I. Es ist eine Gelegenheit des Irrtums, da die Heiden den verstorbenen Menschen Ehre erwiesen. II. Thöricht ist es, ein empfindungsloses Ding zu ehren. III. Der tote Leib ist der Wesensgattung nach nicht der nämliche wie der lebendige; und somit scheint er auch nicht der Zahl nach der nämliche zu sein. Also soll man nach dem Tode nicht den Leib eines heiligen verehren. Auf der anderen Seite wird im lib. de eccl. dogm. c. 73. gesagt: „Die Leiber der heiligen und zumal die Reliquien der seligen Märtyrer sind als (mystische) Glieder Christi aufrichtig zu verehren …; steht jemand gegen diesen Glauben auf, so soll man ihn für einen Eunomianer oder für einen Vigilantianer, nicht für einen Christen ansehen.“
b) Ich antworte mit Augustin (1. de civ. Dei 13.): „Wenn das Kleid oder der Ring des Vaters oder etwas Ähnliches um so teuerer ist den verbliebenen, je inniger ihre Liebe zu den Eltern war; so dürfen in keiner Weise verachtet werden die Körper selber, die wir tragen, welche in viel innigerer und vertraulicherer Beziehung zu uns stehen wie die Kleider; denn sie gehören zur Natur des Menschen selber.“ Danach verehrt man nicht nur den Leib oder die Glieder am Leibe derjenigen, die man im Leben geliebt hat; sondern auch äußerliche Dinge, die sie gebraucht haben, wie Kleider, Bücher etc. Nun müssen wir die heiligen Gottes verehren als Glieder Christi, Kinder Gottes, als unsere Freunde und Fürbitter. Und deshalb müssen wir auch deren Reliquien ehren, zumal die Leiber, welche Tempel und Werkzeuge des in ihnen wohnenden und wirkenden heiligen Geistes waren und dem Leibe Christi ähnlich sein werden in der glorreichen Auferstehung. Gott selbst aber ehrt sie, indem Er in deren Gegenwart Wunder wirkt.
c) I. Dies war der Einwurf des Vigilantius, gegen den Hieronymus (c. 2.) schreibt: „Du sagst: Beinahe sehen wir unter dem Vorwande der Religion die Gebräuche der Heiden bei uns eingeführt; etwas Staub, ich weiß nicht von woher, der eingeschlossen ist in einem kostbaren Gefäße und mit Linnen umhüllt, küssen sie und verehren sie; — nun so höre: Wir erweisen keine göttliche Verehrung weder den Reliquien der heiligen noch der Sonne oder dem Monde oder den Engeln; wir ehren die Reliquien der heiligen, um Jenen anzubeten, dessen Wahrheit sie bezeugt haben; wir ehren die Knechte, damit die Ehre der Knechte sich ergieße auf den Herrn“ (vgl. ep. 53.). Die Heiden beteten an die Leiber der toten. II. Wir ehren jenen Leib wegen der Seele, die in ihm gewohnt hat und die nun Gottes genießt; und zwar ehren wir sie, weil wir Gottes Diener sind und auf Ihn alle Ehre beziehen. III. Der tote Leib ist nicht der Zahl nach derselbe wie der lebende, wenn die Wesensform berücksichtigt wird, nämlich die Seele. Er ist jedoch der nämliche, wenn man auf den Stoff sieht, der wiederum mit seiner Form verbunden werden wird.
