Fünfter Artikel. Christus hat die heiligen Vorvater aus der Vorhölle befreit.
a) Dies hat Er bei seinem Hinabsteigen in die Hölle nicht gethan. Denn: I. Augustin sagt (ad Evod. ep. 164): „Was der Herr den gerechten gebracht hat, als Er in die Hölle stieg, die im Schoße Abrahams waren, weiß ich nicht; von denen Er doch gemäß der wohlthuenden Gegenwart seiner Gottheit sich nie getrennt hat.“ Er hätte ihnen aber viel zugebracht, wenn Er sie aus der Vorhölle befreit hätte. Er hat sie also nicht befreit. II. Nur wegen der Sünde ist jemand in der Hölle. Die heiligen Vorväter aber waren durch den Glauben gerechtfertigt von der Sünde, noch während ihres irdischen Lebens. Also bedurften sie keines Befreiers. III. Ist die Ursache geschwunden, so fällt die Wirkung fort. Die Sünde aber war fortgenommen durch das Leiden des Herrn. Also war auch die Wirkung der Sünde fortgefallen: das Verbleiben in der Vorhölle. Und somit hat das Hinabsteigen des Herrn in die Hölle niemanden befreit. Auf der anderen Seite sagt Augustin (de resur.): „AIs Christus in die Hölle hinabstieg, hat Er die eisernen Riegel gebrochen und alle gerechten, die durch die Erbsünde da festgehalten wurden, befreit.“
b) Ich antworte, Christus habe bei seinem Hinabsteigen in die Hölle gewirkt kraft seines Leidens. Sein Leiden aber hat das Menschengeschlecht von der Schuld sowohl wie von der Strafe befreit. Nun litten die Menschen Strafe für die persönlich begangenen Sünden und für die Erbsünde. Die Strafe der letzteren ist der körperliche Tod und der Mangel der seligen Anschauung; denn Gott hat nach der Sünde den Menschen aus dem Paradiese gejagt, dem Er zuvor den Tod angedroht hatte, wenn er sündigte. Christus also hat die heiligen Vorväter von dieser letzten Strafe befreit, der gemäß sie ausgeschlossen waren von der seligen Anschauung. Und da sie deshalb in der Hölle waren, weil ihnen wegen der Sünde Adams der Zutritt zum Himmel verwehrt war, so hat Christus zur Hölle hinabsteigend sie daraus befreit. Deshalb heißt es Zach. 9.: „Du aber hast sie im Blute des Bundes herausgeführt aus dem Sumpfe, wo kein Wasser war;“ und Koloss. 2.: „Er hat entleert die Fürstentümer und Gewalten und sie (die Vorväter Abraham, Isaak, Jakob etc.) hinübergeführt,“ nämlich vom Dunkel zum ewigen Lichte.
c) I. Augustin spricht gegen jene, die meinten, die alten gerechten hätten in der Hölle positiv Schmerzen gehabt. Deshalb hatte er vorausgeschickt: „Sie sagen, der Herr hätte beim Hinabsteigen in die Hölle den Altvätern diese Wohlthat noch erwiesen, daß Er sie von Schmerzen befreite. Wie aber Abraham, in dessen Schoß jener arme aufgenommen worden ist, in jenen Schmerzen gewesen sein soll; das sehe ich nicht.“ Und darauf sagt er, „er könne nicht finden, was Christus ihnen da zugebracht haben sollte,“ welche Befreiung nämlich von positiven, empfundenen Schmerzen. Er brachte ihnen aber die Herrlichkeit, welche ihnen bis dahin aufgeschoben worden war. Deshalb heißt es Joh. 8.: „Abraham, euer Vater, hat frohlockt, als er meinen Tag sah.“ Und Augustin fügt zur Bestätigung hinzu: „Von denen Er (Christus) auch während deren irdischer Lebenszeit nicht sich entfernthatte;“ indem vor seiner Ankunft Er in ihnen nämlich die Hoffnung nährte, so daß sie selig waren der Hoffnung nach; wenn auch noch nicht in der Wirklichkeit. II. Die heiligen Väter sind in ihrem irdischen Leben durch den Glauben befreit worden von der Schuld der Erbsünde und der persönlich, begangenen Sünden und ebenso von der Strafe für die letzteren; nicht aber von der Strafe der Erbsünde, die im Mangel der seligen Anschauung besteht, da der Lösepreis noch nicht bezahlt worden war. So werden jetzt bei der Taufe die gläubigen befreit von Schuld und Strafe der Erbsünde und der persönlich begangenen Sünden, soweit der Mangel der Anschauung Gottes in Betracht kommt. Sie bleiben aber noch schuldig jener Strafe der Erbsünde, die im körperlichen Tode besteht; denn sie werden erneuert gemäß dem Geiste, nicht gemäß dem Fleische, nach Röm. 8.: „Der Leib ist zwar tot wegen der Sünde, der Geist aber lebt wegen der Rechtfertigung.“ III. Christus verlieh sogleich nach seinem Tode die Frucht seines Leidens den heiligen Vorvätern. Aber diese blieben mit Christo noch in der Hölle; denn die Gegenwart Christi eben war die Vollendung der Herrlichkeit.
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