Dritter Artikel. Christus mußte nach der Auferstehung nicht beständig mit den Jüngern verkehren.
a) Das Gegenteil erhellt aus Folgendem: I. Der Herr erschien den Jüngern nach der Auferstehung, damit Er sie im Glauben an die Auferstehung festige und in ihrer Betrübnis ihnen Trost spende, nach Joh. 20.: „Die Jünger freuten sich, nachdem sie den Herrn gesehen.“ Dieser Zweck wäre aber noch besser erreicht worden, wenn Er beständig mit ihnen verkehrt hätte. II. Vierzig Tage noch blieb der Herr auf Erden. Da konnte Er aber zukömmlicherweise an keinem anderen Orte sein wie mit den Jüngern. III. Fünfmal erschien der Herr am Auferstehungstage selber (Aug. 3. de cons. Evgl. ult.): 1. Den Frauen am Grabe; 2. diesen selben, als sie vom Grabe zurückkehrten, auf dem Wege; 3. dem Petrus; 4. den zwei Jüngern, die nach Emmaus gingen; 5. mehreren in Jerusalem, unter denen nicht Thomas war. Also hätte Er auch an den anderen Tagen mindestens ebenso vielmal erscheinen müssen. IV. Vor dem Leiden hatte der Herr gesagt (Matth. 26.): „Nachdem ich auferstanden sein werde, werde ich euch vorhergehen nach Galiläa.“ Dasselbe wiederholte der Engel und Er selber nach der Auferstehung vor den Frauen. Trotzdem aber ward Er am Auferstehungstage selber und acht Tage darauf in Jerusalem von den Jüngern gesehen. Also ward in dem Verkehre mit den Jüngern nicht die gebührende Ordnung befolgt. Auf der anderen Seite heißt es Joh. 26.: „Nach acht Tagen erschien Christus den Jüngern.“ Also verkehrte Er nach der Auferstehung nicht beständig mit ihnen.
b) Ich antworte: Um die Wahrhaftigkeit der Auferstehung den Jüngern darzuthun, genügte es, daß der Herr ihnen mehrmals erschien, mit ihnen aß und trank, sich berühren ließ und im allgemeinen vertraulich verkehrte. Damit Er aber die Herrlichkeit der Auferstehung offenbare, wollte Er nicht mehr wie früher beständig mit ihnen sein, um nicht den Anschein zu erwecken, Er sei zu dem nämlichen Leben zurückgekehrt, das Er früher hatte. Deshalb sagte Er (Luk. ult.): „Das sind Worte, die ich zueuch gesprochen habe, als ich noch mit euch war.“ Denn vor der Auferstehung war Er mit ihnen kraft seiner körperlichen Gegenwart und kraft der Ähnlichkeit des sterblichen Leibes; nach .der Auferstehung aber nur kraft der körperlichen Gegenwart. Deshalb schreibt Beda (c. 97. in Luc.): „Er war zwar im nämlichen Fleische auferstanden; aber Er war nicht mehr mit ihnen in Anbetracht der Sterblichkeit, in der noch die Jünger waren.“
c) I. Die mehrmaligen Erscheinungen genügten, um die Wahrhaftigkeit des auferstandenen Leibes darzuthun. Der beständige Verkehr hätte sie betreffs der jetzigen Beschaffenheit seines Leibes in Irrtum führen können. Die ununterbrochene Tröstung durch seine Gegenwart verhieß Er für das künftige Leben: „Wiederum werde ich euch sehen und freuen wird sich euer Herz; und diese Freude wird niemand von euch nehmen.“ II. Er urteilte nicht, daß Er anderswo besser sei wie mit den Jüngern; aber Er vermied den beständigen Verkehr aus dem erwähnten Grunde. Wo Er sonst mit seinem Körper in der Zwischenzeit war, wissen wir nicht; da die Schrift nichts darüber enthält und in jedem Orte seine Herrschaft waltet. III. Am ersten Tage erschien der Heiland öfter, damit von Anfang an die Jünger festen Glauben an seine Auferstehung hätten. Später war das nicht mehr so notwendig. Wie Augustin (I. c.) zählt, erschien Er nach den ersten fünf Erscheinungen noch fünf Male: 1. An dem Tage, wo Thomas zugegen war; 2. am See Tiberias beim Fischfange; 3. auf einem Berge Galiliäas, nach Matthäus; 4. „als sie das letzte Mal speisten,“ wie Markus; 5. bei der Himmelfahrt selber. Das vorletzte Mal war Er noch mit ihnen auf Erden, das letzte Mal sahen sie Ihn in der Wolke gen Himmel emporgetragen. Doch lst nicht Alles aufgeschrieben, wie Johannes gesteht. Denn zu ihrem Troste war Er häufig mit ihnen zusammen, ehe Er gen Himmel fuhr; wie ja auch 1. Kor. 15. gesagt wird: „Er erschien mehr als fünfhundert Brüdern zusammen; und dann erschien Er dem Iakobus,“ wovon im Evangelium nichts steht. IV. Chrysostomus erklärt (hom. 83. in Matth.): „Nicht in eine ferne Gegend will Er gehen, damit Er ihnen erscheine; sondern dies soll geschehen inmitten des Volkes selbst, in denselben Gegenden, wo Er mit ihnen vorkehrt hatte; — auch von da her sollen sie glauben, daß der nämliche, welcher gekreuzigt worden, nun auferstanden ist.“ Deshalb sagt Er, er werde nach Galiläa gehen, damit sie keine Furcht hätten vor den Juden. „Der Herr zwar,“ so Ambrosius (sup. Luc. in fine), „hatte den Jüngern geboten, sie sollten nach Galiläa gehen, um Ihn zu sehen; sie aber fürchteten sich und blieben beisammen im Abendmahlssaale; da ging Er denn dort zuerst zu ihnen (was nicht das Vernachlässigen einer Verheißung ist, sondern eine gütige und eilige Erfüllung) und später, nachdem sie beruhigt worden, gingen sie nach Galiläa.“ Man kann aber auch sagen mit Eusebius (sup. Luc. Stetit in medio): „Zwei Evangelisten, Lukas und Johannes, schreiben, der Herr sei den Elfen in Jerusalem erschienen; die zwei anderen aber, Er und der Engel habe befohlen, daß nicht nur die Elfe, sondern alle Brüder und Jünger nach Galiläa gehen sollten; wovon auch Paulus spricht: Sodann erschien Er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich.“ Der Wahrheit näher wird aber die Ansicht kommen, daß der Herr in Jerusalem zuerst wie insgeheim den da verborgenen Aposteln mehrmals erschienen ist. In Galiläa aber erschien Er vielen mit großer Macht, öfterund unter vielen Zeichen und Wundern; wie Lukas (Act. 1.) erzählt. Augustin endlich nimmt die Stelle folgendermaßen (3. de cons. EvgI. ult.): „Daß vom Herrn und vom Engel gesagt worden, Er werde vorausgehen nach Galiläa, ist prophetisch zu verstehen. Unter Galiläa nämlich meint Er, wie die Bezeichnung selber andeutet, daß die Gnade von Israel übergehen werde auf die Heidenvölker. Diese würden nicht der Predigt der Apostel glauben, wenn nicht der Herr ihnen vorherginge und die Herzen öffnete. Wird aber Galiläa übersetzt mit „Offenbarung“, so ist da nicht mehr die Knechtsgestalt zu verstehen, unter welcher Er vorhergeht, sondern jene Natur, in der Er gleich ist dem Vater. Er ging dahin voraus, von wo Er, als Er zu uns kam, Sich nicht entfernte; und als Er dahin zurückging, verließ Er uns nicht.“
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