Zweiter Artikel. Dem Theologen kommt es zu, die Umstände der menschlichen Handlungen zu erwägen.
a) Dem steht entgegen: I. Der Theologe berücksichtigt die menschlichen Handlungen nur auf Grund ihrer sittlichen Beschaffenheit, insoweit sie nämlich gut oder schlecht sind. Nichts aber empfängt überhaupt die ihm wesentlich zustehende Beschaffenheit von außen, sondern von innen, nämlich von seinem Wesen her. Da also die Umstände außerhalb der menschlichen Handlungen sind, so dürfen sie vom Theologen nicht beachtet werden. II. Die Umstände sind Zufälligkeiten für die menschlichen Handlungen. Ein und demselben Wesen aber kann zahllos Vieles begegnen; weshalb Aristoteles sagt: „Keine Kunst und keine Wissenschaft beschäftigt sich mitdergleichen Zufälligkeiten als etwa die Sophistik.“ Also ist es des Theologen unwürdig, dergleichen Umstände zu betrachten. III. Dem Redner höchstens kommt es zu, die näheren Umstände seines Gegenstandes zu erwägen. Die Redekunst aber ist kein Teil der Theologie. Auf der anderen Seite verursacht nach Damascenus (II. de orth. fide 24.) die Unkenntnis der näheren Umstände Unfreiwilligkeit. Diese aber entschuldigt von Sünde, deren Betrachtung dem Theologen zugehört. Also muß letzterer auch die Umstände zum Gegenstande seiner Erwägung machen.
b) Ich antworte; aus drei Gründen müsse der Theologe die Umstände der menschlichen Handlungen berücksichtigen: 1. Der Theologe berücksichtigt die menschlichen Handlungen, insofern durch sie der Mensch zur Seligkeit in Beziehung tritt. Was jedoch Beziehung hat zum Zwecke, muß zu diesem in einem gewissen Verhältnisse stehen. Und da nun das Verhältnis der menschlichen Akte zum Zwecke vermittelst der entsprechenden Umstände sich vollzieht, so folgt, daß der Theologe die Umstände berücksichtigen muß. 2. Daß die menschlichen Handlungen „gut“ oder „böse“, besser oder schlechter sind, also diesen Unterschied haben, welchen der Theologe vorzugs weise betrachtet, das ist gerade gemäß den verschiedenen Umständen. 3. Das Verdienst oder Mißverdienst in den menschlichen Handlungen, was jedenfalls zu erwägen Sache des Theologen ist, setzt voraus, daß diese selben Handlungen freiwillig sind. Freiwillig aber oder unfreiwillig sind letztere auf Grund der Kenntnis oder Unkenntnis der betreffenden Umstände. Also.
c) I. Jenes Gut, welches zweckdienlich ist, wird nützlich genannt und schließt naturgemäß eine Beziehung ein. Deshalb sagt Aristoteles (l Ethic 6.), daß in dem, was in Beziehung steht, im „ad aliquid“ ein nützliches Gut sich findet. Im Bereiche alles dessen aber, was kraft der Beziehung zu etwas Anderem Sein hat, pflegt man zu benennen nicht nur von dem aus, was im betreffenden Wesen sich findet, sondern auch von dem, was außen liegt, wie das der Fall ist, wenn man von rechts und links, gleich und ungleich und Ähnlichem spricht. Nichts also hindert es, daß die menschlichen Handlungen gut oder schlecht genannt werden gemäß ihrem Verhältnisse zu etwas außen Befindlichem, da ja diese Handlungen dadurch gut sind, daß sie zum Zwecke Beziehung haben, nützlich oder zweckdienlich sind. II. Zufälligkeiten, die rein äußerlich, also rein zufällig sind, werden wegen ihrer Unzuverlässigkeit und Unberechenbarkeit von jeder Kunst unberücksichtigt gelassen. Derartige Zufälligkeiten sind aber nicht die Umstände der menschlichen Handlungen, die ja, wie Art. 1 gesagt, den menschlichen Akt gewissermaßen berühren, zu selbem hingeordnet sind und somit, wie alle solche geregelte Verhältnisse, trotzdem sie von außen her hinzutreten, unter die Betrachtung der Kunst oder Wissenschaft, hier der Theologie, fallen. III. Mit der Erwägung der Umstände beschäftigt sich: 1. die Moralwissenschaft, insofern gemäß denselben beachtet oder vernachlässigt wird die Mittelstraße der Tugend in dem menschlichen Wirken; — 2. die Staatsweisheit und Redekunst, insofern auf Grund der Umstände die Handlungen lobens- oder tadelnswert, entschuldbar oder schuldig gefunden werden; und zwar urteilt dabei der Staatsweise, während der Redner überredet. Der Theologe aber muß, da der Theologie alle Künste und Wissenschaften dienen, die menschlichen Handlungen auf alle diese verschiedenen Weisenberücksichtigen. Zusammen mit dem Moralkundigen erwägt er Tugend und Laster; zusammen mit dem Staatsmanne und dem Redner Verdienst und Mißverdienst.
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