Siebentes Kapitel. Über die Umstände der menschlichen Handlungen.
Secura mens quasi juge convivium. Prov. 15. 15. „Ein furchtloser Verstand wie ein beständiges Gastmahl.“ Es ist das treffendste Zeugnis für die hervorragende Vorzüglichkeit der Lehre des heiligen Thomas, daß sie die oft so drastischen Schriftausdrücke in natürlicher Weise erklärt und demgemäß im höchsten Grade geeignet ist, den „Mund der Seele zu öffnen“, daß „sie aus dem Felsen (der göttlichen Wahrheit) Honig sauge und wohlriechendes Öl gewinne vom überaus harten Steine“. (Deuteron. 32.) Wie in der That kann denn ein in Gott befestigter Geist einem Gastmahl verglichen werden! Sagt doch die Schrift selber: „Wolle nicht anwohnen dem Gastmahle, wo man viel trinkt“ (Prov. 23.); und ähnlich: „Es ist besser, in das Haus der Trauer zu gehen, wie in das Haus des Gastmahls“ (Ekkle. 7.); und der Prophet ermahnt: „Tritt nicht ein in das Haus des Gastmahls!“ (Jerem. 16.) Somit scheint also die Schrift selber gar nicht das Gastmahl für etwas Wünschenswertes, sie scheint es somit für unpassend zu halten, daß es in Vergleich gebracht werde mit dem äußerst hohen Gute eines ruhigen, allseitig zufriedenen Geistes. Wer jedoch näher zuschaut, der findet, daß die heilige Schrift die Lösung an die Hand giebt. Denn sie bezeichnet ein „beständiges Gastmahl“ als vergleichbar mit dem stetig ruhigen, aller und jeder Furcht entbehrenden Geiste. Secura mens quaasi juge convivium! Das ist nicht „das Gastmahl der Säufer“, über welches Isaias den Fluch Gottes herabruft (c. 5.): „Wehe, die ihr des Morgens aufsteht, um euch voll zu trinken.“ Das ist nicht „das Gastmahl, welches bald beendet ist“ (3. König 1, 41.), welchem die Demüthigung des sich gegen Recht und Gesetz empörenden Sinnes folgt. Solche Gastmähler sind bald zu Ende und dieses ihr Ende ist Trauer, Schmerz, Unwillen, Streit, Krankheit. Nein; von einem „beständigen Gastmahle“ spricht da der heilige Geist; von einem Gastmahle, wo nur Freude, nur Sättigung, nur Friede ist, „wo die Musik in harmonischer Schönheit beim Weine ertönt“ (Ekkli. 32.), „wo keiner den anderen beengt“ und „wo demgemäß keiner am anderen Tadelnswertes findet.“ (Ekkli. 31.) Einem solchen Gastmahle vergleicht die Schrift den allseitiger Ruhe sich erfreuenden Geist; nicht einem Gastmahle, welches, wie der heilige Petrus erinnert (2 Petr. 2.), nur Gelegenheit ist für niedrige Schwelgerei. Thomas liefert zu diesem Unterschiede die vernunftgemäße Grundlage. Es giebt eine unvollkommene Erfassung der Dinge und somit ein unvollkommenes Streben danach. Bei solcher Erfassung der Dinge sind überall Hindernisse, überall Schranken; überall ist da Furcht und Angst. Es giebt aber auch ein vollkommenes Erfassen der Dinge, ein vollkommenes Streben danach. Das führt zur Fülle, bringt schon mit sich Freude und Friede und mündet aus in nie endende Freude und Sättigung. Der Glanzdes Goldes leuchtet vor deinen Augen? „Der Wein erglänzt golden im Glase?“ Es genügt dies, damit du dich „gleich darauf stürzest“ (subito movetur in eum)? Bloß die Sache, wie sie außen sich darstellt, fassest du auf? Das ist unvollkommen. Das ist ein Gastmahl, welches in Trauer und Verwirrung endet. Du genießest dann nicht diese Dinge zu deinem Besten sondern dich machst du den Dingen dienstbar. Streit und Zank nur ist die Frucht solch unvollkommenen Begehrens, Denn das Gold, welches du hast, kann kein anderer haben; er müßte denn es dir abringen. Das Gold das du ausgiebst, verwirrt dich, weil du es verlierst; und das Gold das du behältst, verwirrt dich, weil du es nicht zu benutzen wagst. Jedem dieser beschränkten Güter steht gegenüber ein entgegengesetztes oder der Mangel daran und somit unaufhörliche Furcht. Nein; der liebevolle Gott will, daß dein Geist ein beständiges Gastmahl sei, bei dem nie die Freude und das Genießen aufhöre. Und wie kann der Mensch diesem urgütigen Willen entsprechen? „In vollkommener Weise soll er,“ wie Thomas sagt, „den vorliegenden Gegenstand auffassen in vollkommener Weise soll er selben erstreben. Nicht nur die Sache, die da vorgestellt wird, soll er schauen, sondern von deren Verhältnisse zum Zwecke des ganzen Menschen soll er sich Rechenschaft geben“ (cognoscitur ratio finis et proportio ejus quod ordinatur ad finem ipsum). Begehren darf der Mensch das Gold; er darf begehren den Wein; es ist ihm kein Geschöpf verschlossen; — nur soll er ein jedes begehren zu seinem eigenen Besten und nicht, damit er selber und seine Thätigkeit gebraucht werde zum Besten anderer. Er, sein eigenes Wohl, soll der Zweck seiner Kenntnis und seines Begehrens sein. Thomas stellt den Mechanismus der freiwilligen Thätigkeit durchaus auf dieselbe Stufe wie die Thätigkeit emes jeden Dinges, insofern es seiner eigenen inneren Natur folgt Nichts ist so innerlich einem jeden Dinge, wie seine eigene Natur. Und deshalb ist der freie Akt als Akt innerlich; er hat sein Princip innen im Menschen und nicht außen, weil er gleich der natürlichen Neigung eines Dinges von der eigenen Neigung des freien Wesens ausgeht. Worin besteht der Unterschied nun zwischen einer solchen rein natürlichen Thätigkeit, wie das Leuchten der Sonne, das Fallen des Steines einerseits und dem freien Akte andererseits? Jede solcher rein natürlichen Thätigkeiten schließt nicht in sich ein die endgültige Anwendung auf das Einzelne, so daß eine fernere Anwendung der Thätigkeit von seiten anderer Wesen auf weitere Zwecke etwa ausgeschlossen würde. Vielmehr erfordert die rein natürliche Thätigkeit eines Dinges, daß dieselbe noch weiter angewendet und benutzt werde Es giebt kein Fallen eines Steines, das von sich aus den einzelnen Ort wohin er fällt, mitbrächte; von sich aus ist diese Thätigkeit endlos. Das Leuchten der Sonne bringt nicht mit sich den einzelnen Gegenstand worauf es sich richtet und wodurch es erst ein wirkliches Leuchten wird. Das Essen schließt nicht in sich die einzelne endgültige Anwendung; es dient wieder der Gesundheit oder der Gaumenlust oder der Nächstenliebe Und je höher diese rein natürlichen Thätigkeiten stehen, je allgemeiner und umfassender sie sind; desto gleichgültiger sind sie für die einzelne Wirklichkeit, so daß die höchste natürllche Thätigkeit, das vernünftige Erkennen, allseitig und durchaus fur alle Einzelheit gleichgültig ist, soweit es auf den erfaßten Gegenstand, das Wesen, ankommt. Dagegen ist die freie Thätigkeit wohl ebenfalls ganz und gar von innen heraus, wie die rein natürliche; aber zugleich schließt diese Thätigkeit sowesentlich die Richtung auf das Einzelne ein, daß innerhalb der ganzen Natur kein Wesen den freien Akt, soweit er frei ist, auf Anderes mehr anwenden kann. Dieser Akt trägt in sich keinerlei Gleichgültigkeit und Unentschiedenheit mehr. Entweder ist er gut — und dann ist er allein auf das Beste des Thätigseienden gerichtet und ihm allein ist er von Nutzen. Oder er ist schlecht — und dann ist er niemandem nütze. „Wie das Holz vom Weinstocke,“ so der Prophet Ezechiel, „zu nichts dient,“ weder dem Landmann noch dem Schreiner nützt, sobald es vom Weinstocke getrennt ist, so verhält es sich für den Bereich des ganzen Seins ohne Ausnahme mit dem freien Akte. Niemand kann Gebrauch machen vom guten freien Akt oder mit ihm verdienen, ausgenommen jener, der ihn vollzieht. Niemandem nützt der schlechte freie Akt, er schadet nur dem Thätigseienden; „im Feuer brennt er oder er ist im Weinstocke,“ sagt Augustin. Das Geld, was der Geizhals zusammengescharrt, die Sache selbst also, wie Thomas sagt, kann wohl nachher nützen; aber der freie Akt, der es dem Geize dienstbar gemacht, der bleibt in Ewigkeit dem Geizhals. Die Macht, die der stolze Eroberer erworben, findet wohl weitere Anwendung; aber der freie Akt des Hochmutes dient zu nichts mehr außer zu unfruchtbarem Schmerze. Das also ist jedem freien Akte eigen und ist für ihn eben seine Natur, daß er das Allgemeine mit der Richtung auf das Einzelnste verbindet; d. h. er strebt nach einem einzelnen Gute unter der Richtschnur des schrankenlosen Allgemeinen. Wie die Vernunft den Gegenstand vorstellt, so begehrt der Wille das Einzelne, soll er anders mit Vollkommenheit begehren. Unter lebendiger Wahrung der Beziehungen nämlich, welche das Einzelne zum Endlosen hat, also in der Weise, daß durch das eine besondere Gut kein anderes dem Vermögen nach ausgeschlossen wird, — strebt der Wille nach einzelnen Gütern. Der freie Akt schließt ab, so daß eine weitere Anwendung, Besserung, Änderung unmöglich ist; dermaßen ist er mit endgültiger Entschiedenheit auf das Einzelne gerichtet. Aber oder vielmehr eben auf Grund dessen schließt er auf diese Weise ab, weil er in sich einschließt das Vermögen für alle Güter, also alle Güter dem Vermögen nach in seiner Gewalt behält im thatsächlichen Streben und Verlangen nach dem einzelnen Gute. Nun leuchtet es schon durch, wie „ein furchtloser Verstand ist gleich einem beständigen Gastmahle“. Niemand, keine Gewalt in der ganzen Natur, kann den freien Akt hindern oder auch nur beeinträchtigen, weder Gewalt noch Furcht, weder das Begehren der Sinne noch die Unkenntnis. An diesem Felsen prallen alle Hindernisse ab. Verstehe nur, wahrhaft frei zu handeln, o Mensch, und das „Reich Gottes ist in dir“. Innerhalb deiner selbst vollzieht sich der eigentlich freie Akt; von deinem Innern geht er aus und bis in alles Einzelne hinein ist er in deiner Gewalt, bis er in dein Bestes hinein mündet. Furcht müßte der Mensch haben bei seiner erhabensten Thätigkeit, wenn das Schicksal derselben wieder von einer anderen Gewalt in der Natur abhinge. Aber nein; endgültig ist der freie Akt in der Gewalt des Wirkenden. Der Mensch, der ja von Natur nach Allem begehrt, könnte für seinen freien Akt fürchten, wenn durch denselben er in der Macht, andere Güter zu genießen, gehindert würde. Aber nein! Daß nur der Mensch wolle und in diesem Willen vernunftgemäß bemesse das Verhältnis des einzelnen Gutes zum Zwecke, wieweit nämlich dessen Genuß das eigene Beste befördere; und er wird so das eine Gut genießen, daß der Genuß des anderen um so einladender werde. „Beständig“ wird dieses Gastmahl sein. Denn er wirdsich nicht auf die eine Speise stürzen, daß ihm dadurch der Genuß der anderen verbittert wird; sondern so wird er die eine genießen, daß sie das Verlangen nach der andern umfassender macht. Aber Thomas geht noch weiter! Er sagt unübertrefflich scharf: „Somit also ist die Erkenntnis- und Begehrkraft das erste innerliche Princip im Bereiche des Begehrens, obgleich der Anstoß zur Willensbewegung von einem äußeren Princip kommt.“ Daß man doch nicht immer damit komme, Gott, als der wirkende, in Bewegung setzende Grund der freien Willensbewegung hindere, oder könne auch nur hindern die freie Willensthätigkeit. Das Gegenteil ist wahr. Gerade das Einwirken Gottes als des erstwirkenden Urgrundes macht, daß der Wille „erstes Princip sei“, also unabhängig von Allem im Bereiche des geschöpflichen Begehrens. Oder ist es denn Gott, der im Menschen begehrt; ist Er es, der von dem einen her das andere im Menschen erkennt. Nein; das Wesen des Begehrens, das Wesen des Erkennens ist einzig und allein, als Begehren und als stufenweifes Erkennen nämlich, innerhalb des Menschen. In diesem Begehren des freien Willens und in diesem Erkennen ist der freie Wille und die Vernunft „erstes Princip“. Dieses Wesen hängt mit keinem anderen Wesen in der Natur wie Ursache und Wirkung zusammen, wie etwa das Licht im Zimmer nicht gesehen werden kann, wenn das Zimmer nicht ist oder kein Gegenstand da ist, auf den es fällt. Thomas erhebt damit das innere Princip des freien Aktes, soweit dieser wesentlich frei in sich selber ist, auf die höchste denkbare Stufe des geschaffenen Seins. Weil der Mensch danach begehrt, deshalb wird der Wein genossen; — keine Macht der Welt ist als bestimmender Grund notwendig mit diesem Begehren verbunden. Weil der Mensch nach Gold begehrt, deshalb wird es gesucht; nicht weil das Gold in das Wesen des freien Willens einträte und da das Begehren als wesentlich notwendiger bestimmender Grund verursachte. Das Begehren und das Erkennen des Menschen darf nur miteinander verbunden sein, so daß der Mensch begehrt gemäß der allgemeinen Richtschnur der Vernunft, so überragt nichts in der Welt das Begehren des Menschen. Nichts ist ihm zu groß, nichts zu klein. Das Kleinste veredelt er; das Große wird in ihm klein im Vergleiche zum Endlosen in der Vernunft, zum Endlosen in der Macht des Willens. Hier heißt es wahrlich: „Dispersit superbos mente cordis sui.“ Nicht den unvollkommenen äußeren, wenn auch oft glänzenden, Erscheinungen, wie sie sich in den Sinnen abspiegeln, soll der Mensch nachlaufen. Die Vernunft soll seinem Herzen das richtige Verhältnis zeigen zum Endzwecke — und „vor dem Geiste seines Herzens“ werden alle Güter, so groß sie scheinen mögen, winzig werden, denn ihre Schranken werden vor dem Schrankenlosen so recht offenbar sein. Kann denn Gott auch nur als wirkender, den Anstoß gebender Grund zum freien Akte diesem in etwa seinen Primat nehmen? Er giebt letzteren gerade durch sein Einwirken; denn Er allein leitet so auf das Einzelne, daß die allumfassende Allgemeinheit gewahrt bleibt. Oder verdirbt denn die Nahrung, welche die Kräfte des Leibes in Bewegung setzt, die Freude an der Sättigung? Vermindert sie die Sättigung? Sie bleibt ihrem Wesen nach durchaus getrennt vom Wesen des lebendigen Leibes; aber sie bildet den Anstoß zur lebendigen Thätigkeit. Im Maße daß sie eins geworden mit dem Leibe, ist sie nicht mehr Nahrung; sie ist dann Blut, Fleisch, Mark etc. Im Bereiche der Freude an der Sättigung ist die betreffende Fähigkeit, sich zu nähren, sich zu sättigen, die erste Ursache; und daß siedarin dem thatsächlichen Sein nach die erste ist, dies verdankt sie gerade der Nahrung, von der sie ihre Bethätigung hat. Im Willen ist Begehren, im Willen ist Frieden, im Willen ist Freude. Und soweit sich dies Alles seinem Wesen nach erstreckt sei es auf die Fähigkeiten im Menschen sei es daß es überfließt nach außen, so ist da primum principium in diesem Begehren, in diesem Frieden, in diesem Freude: der Wille und die Vernunft selber; denn nicht Gott begehrt, nicht Gott ist dem Wesen nach diese Freude, nicht Gott ist dieser Friede. Thomas drückt diesen Unterschied noch ganz im allgemeinen aus: „Wie es nicht gegen die Natur eines Dinges ist, daß die ihr entsprechende Bewegung von Gott als dem Erstbeweger den Anstoß erhält, insoweit ja eine jede solcher Naturen ein Werkzeug ist in der Hand Gottes, der sie in Bewegung setzt; — so ist es nicht gegen die Natur des Freiwilligen, daß im freien Akte der Wille von Gott in Bewegung gesetzt werde.“ Man verwechselt eben nur zu oft die verschiedenen Arten von Ursächlichkeiten. Wird gefragt: Was ist im vernünftigen Begehren die erste Ursache, das erste Princip, das da im Wesen selber des freien Aktes eingeschlossen ist, also im Bereiche der causa formale? — so wird geantwortet: Einzig und allein der thätige Wille. Es ist da nichts Zusammengesetztes, wie das Wesen „Mensch“ aus Leib und Seele, wie das erleuchtete Zimmer aus dem Licht und dem Zimmer, so daß da ein Element vom anderen abhinge. Nein; das Willensvermögen selber ist in Thätigkeit. Wird aber gefragt: Welche ist die erste bewirkende Ursache dieser Thätigkeit? — so kann diese gar nicht vom Willen selber kommen; sie muß außerhalb des Willens stehen; denn der Wille ist ja von Natur bloß Vermögen und nicht Thätigkeit. Diese Ursache kann nur Gott sein. Er nur kann dem freien Akte den Charakter oder die Natur des thatsächlich „Freien“ verleihen. Denn nur Gott, der in seinem Einzelbestehen die Fülle alles Seins ist, kann das an sich schrankenlose Willensvermögen so auf etwas Einzelnes richten, daß dieses Vermögen als Vermögen seine Schrankenlosigkeit behält. Nur Gott kann es in der Art bethätigen, daß dieses Vermögen selber in Thätigkeit ist. Soweit im freien Akte der Wille von dieser einwirkenden Kraft sich entfernt, soweit er also fällt, soweit verliert er auch den Charakter des Freien und wird Sklave. Thomas giebt noch ein treffendes Beispiel. Ist die Bewegung eines Sternes dem Sterne eigen? Ist dieser selbst in Bewegung? Ohne Zweifel; und von allem, was von diesem Bewegtsein abhängt, ist der erste Grund dieses letztere: nämlich eben das Bewegtsein. Hat der Stern nun den Anstoß zu dieser Bewegung, also die wirkende Ursache dafür unabhängig in sich selbst? Nein; er ist in Bewegung gesetzt. Nun ebenso, sagte Thomas oben, verhält es sich mit dem freien Akte. Derselbe ist dem Wesen nach frei; und in diesem Wesen steht er an der Spitze und ist erstes Princip von allem, was kraft des Aktes einigermaßen an der Freheit mehr oder minder unvollkommen teilnimmt. Aber eben daß jeder solche Akt seiner Natur nach formal frei ist, d. h. in sich selbst das Princip der Bewegung hat, das kommt von der außenstehenden wirkenden Ursache; wie das Wasser wirklich warm ist, aber in dem Grade, daß das Feuer auf selbiges wirkt. „Natürlich ist etwas einem Wesen,“ fügte oben wiederum Thomas bei, „insofern die Hinneigung dazu diesem Wesen eingeboren ist, wenn auch die Bethätigung derselben von einem außenstehenden Princip kommt.“ Dem Auge ist es natürlich, zu sehen, wenn auch die Bethätigung dazu vom Äußeren Gegenstande kommt; nicht dieser sieht dann, sondern das Auge. Und so will der menschliche Wille thatfächlich frei und nicht Gott; wenn auch von Gott als der wirkenden Ursache der freie Akt ausgeht. So wird nun der Geist noch bei weitem furchtloser und noch mehr ähnlich „einem beständigen Gastmahle“. Das Wesen Gottes wird nicht das Wesen der Seele; im Gegenteil zeigt ein solches Einwirken von seiten Gottes gerade die Verschiedenheit der beiderseitigen Wesen: allseitige Thatsächlicheit und wirkliche Seinsfülle auf der einen; ungemessenes, bloßes Vermögen auf der anderen Seite. Aber wohin anders kann die wirkende Kraft Gottes die freie Seele vermittelst ihrer entsprechenden Thätigkeit führen, als zur angemessenen Teilnahme an ihrem eigensten innersten, am göttlichen Wesen: hier durch den Glauben und das Hoffen; dort durch das Schauen und den Besitz?! Hier bereitet die Vernunft, der Glaube das „beständige Gastmahl“, von wo alle Furcht gebannt und alle Abhängigkeit geschieden ist. Dort aber wird diese Beständigkett ganz und gar klar und allseitig offen geschaut werden. Oder kann da Furcht walten, wo der Apostel ausruft; „Weder Gegenwart noch Zukunft, weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Kräfte, weder Höhe noch Tiefe, noch irgend welche andere Kreatur kann uns trennen von der Liebe Gottes, die da ist in Christo Jesu.“ (Röm. 8.) Kann vom Gastmahle, welches der Glaube bereitet, etwas ausgeschlossen sein, wo der Herr selbst sagt: „Wenn du ein Gastmahl machst, dann rufe die Armen!“ (Luk. 14.); wo Er selber das Beispiel gab: „Gehet auf die Straßen und zu den Hecken und ladet ein die Lahmen und die Blinden und die Preßhaften zu meinem Abendmahle;“ wenn also alle Bedürfnisse da gesättigt, alles Elend gestillt, alle Trauer in Freude verwandelt wird! Hier zeigt es sich erst, warum Thomas bei jedem Anlasse solchen Wert darauf legt, daß die Akte des Willens und der Vernunft „immanente“, innerliche sind, d. h. im Wirkenden bleiben. Denn sie gerade gehen unmittelbar von Gottes wirkender Kraft in der Seele aus; welche Kraft aber wäre innerlicher der endlosen Seele, dem schrankenlosen Willen, der in ihrem Vermögen unangemessenen Vernunft, als die unendliche Kraft des Ewigseienden! Und wohin kehren sie, gestützt von dieser Kraft, zurück? Zum Ewigen, zur Vorbereitung der ewigen Anschauung, zum Eintreten in das Wesen der göttlichen Kraft; auf daß da nun im unmittelbaren Gegenstande des geistigen Schauens all ihr Vermögen vollständig gefüllt werde. Da ist die Innerlichkeit so groß, daß, wenn Gottes Kraft diesen Weg behütet, keine äußere Macht herantreten kann: „In die Freude einer Seele,die da erkennt ihre Bitterkeit, tritt kein Fremder ein.“ Da ist beständige Freude, ein Gastmahl ohne Ende: Mens secura quasi juge convivium. Thomas geht nun dazu über, uns das Feld unserer speciellen menschlichen Freiheit zu zeigen.
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