Erster Artikel. Der Wille hat zum Gegenstande nur das Gute.
a) Dem steht entgegen: I. Ein und dasselbe Vermögen hat innerhalb seines Bereiches zum Gegenstande die Gegensätze; wie das Auge z. B. im Bereiche der Farbe das Schwarze und Weiße sieht. Das Böse aber steht im Gegensatze zum Guten. Da also der Wille auf das Gute sich richtet, so ist sein Gegenstand auch das Böse. II. Die vernünftigen Vermögen können thätig sein und auch nicht; dieses thun oder das Gegenteil. Da also der Wille ein vernünftiges Vermögen ist, so kann er ebensogut das Gute wollen wie das Nicht-Gute, also das Übel. III. „Gut“ fällt zusammen mit „Sein“. Der Wille kann aber auf Nichtseiendes sich richten, wie z. B. auf das Nicht-Sprechen, oder auf Zukünftiges, was also thatsächlich nicht ist. Auf der anderen Seite sagt Dionysius (4. de div. nom.): „Das Übel ist außerhalb des Willens“ und „Alles strebt nach dem Guten“.
b) Ich antworte, der Wille sei ein vernünftiges Begehren. Alles Begehren aber richtet sich auf etwas Gutes. Und der Grund davon ist: Das Begehren ist nichts Anderes wie ein Hinneigen des Begehrenden zu etwas. Nichts aber neigt sich zu etwas hin, was nicht ihm ähnlich und zukömmlich wäre. Da also jegliches Ding, insoweit es ein Sein und eine Substanz ist, auch zugleich etwas Gutes ist, so muß jegliches Hinneigen auf ein Gut sich richten. Und deshalb sagt Aristoteles (1 Ethic.): „Gut wird das genannt, wonach Alles strebt.“ Dabei ist nun zu berücksichtigen, daß jegliches Begehren einer gewissen im Dinge bestehenden Seinsform folgt. Das naturnotwendige Begehren folgt der Form, welche mit der Natur selbst bereits gegeben ist; und das sinnliche oder vernünftige Begehren, welches „Wille“ genannt wird, folgt der aufgefaßten Form. Sowie also das, wonach das naturnotwendige Begehren verlangt, das Gut ist, soweit es in der Sache selber besteht, so strebt das durch die Sinne oder durch die Vernunft geregelte Begehren nach dem Gute, soweit es erfaßt ist. Dazu also daß der Wille nach etwas verlangt, ist nicht erforderlich, daß dies ein Gut in Wirklichkeit und Wahrheit sei, sondern daß es unter der Form des Guten aufgefaßt sei. Und deshalb sagt Aristoteles (2 Physic.): „Der vorgesteckte Zweck ist ein wirkliches oder ein scheinbares Gut.“
c) I. Ein und dasselbe Vermögen richtet sich wohl auf die Gegensätze; aber nicht immer gleichermaßen. So richtet sich auch der Wille auf das Gute und das Böse; aber auf das eine um es zu erstreben, auf das andere um es zu fliehen. II. Ein vernünftiges Vermögen verfolgt nur jene Gegensätze, welche im Bereiche seines Gegenstandes sich finden. Denn jedes Vermögen ist nureben auf seinen naturgemäßen Gegenstand gerichtet. Der Wille aber hat zum Gegenstande das Gute. Also nur jenen Gegensätzen kann er sich zuwenden, welche im Bereiche des Guten sich finden; wie z. B. Sprechen und Schweigen, Spazierengehen und Ruhen. Immer findet er dann in einem Gliede dieser Gegensätze etwas Gutes. III. Was kein thatsächliches Sein im Bereiche der Natur hat, erhält ein gewisses Sein durch die Auffassung in der Vernunft; wonach Verneinungen und Ähnliches Vernunftdinge genannt werden. Und so wird auch das Zukünftige aufgefaßt als ein Sein. Da es sich also auf diese Weise um Dinge handelt, die ein Sein, wenn auch nur in der Vernunft, der Auffassung nach haben, so werden sie unter dem Charakter des Guten aufgefaßt; und demgemäß strebt danach der Wille. Deshalb sagt Aristoteles: „Des Übels ermangeln, das hat den Charakter des Guten.“ (5 Ethic. I.)
