Zweiter Artikel. Der Wille richtet sich sowohl auf den Zweck als auch auf das Zweckdienliche.
a) Dementgegen schreibt: I. Aristoteles (3 Ethic. 2.): „Der Wille richtet sich auf den Zweck; Gegenstand der Auswahl ist das Zweckdienliche.“ II. Was der Art nach voneinander verschieden ist, gehört verschiedenen Vermögen der Seele an, sagt Aristoteles. (6 Ethic. 1.) Der Zweck aber und das Zweckdienliche ist im Bereiche des Guten der ganzen Art des Seins nach voneinander verschieden. Denn der Zweck, also das wohlanständige oder ergötzliche Gut, ist in der Seinsart der Beschaffenheit oder des Thätigseins und des Leidens; das Zweckdienliche aber, also das nützliche Gut, ist in der Seinsart der Beziehung zu etwas anderem, nämlich zum Zwecke. Also kann der Wille, wenn er sich auf den Zweck richtet, nicht gleichermaßen auf das gehen, was Mittel ist für die Erreichung des Zweckes. III. Die Zustände oder Gewohnheiten entsprechen den Vermögen, da sie deren Vollendung sind. Aber in den Zuständen, die man als nach außen hin thätige Künste bezeichnet, richtet sich ein anderer auf den Zweck, ein anderer auf das Zweckdienliche; wie der Steuerkunst zugehört der Gebrauch, also der Zweck des Schiffes, und der Schiffbaukunst die Herstellung des Schiffes, also das Zweckdienliche. Da sonach das Willensvermögen dem Zwecke gilt, so kann es nicht zugleich dem Zweckdienlichen sein. Auf der anderen Seite ist es im Bereiche der Natur die gleiche Kraft oder das gleiche Vermögen, welches das Dazwischenliegende, Vermittelnde durchmißt und welches an das Ende gelangt. Das Zweckdienliche aber steht zum Zwecke im Verhältnisse des Mittels zum Ende. Also richtet sich der nämliche Wille auf den Zweck und auf das Zweckdienliche.
b) Ich antworte; man nennt „Wille“ manchmal das Vermögen, kraft dessen wir wollen; manchmal aber den Akt selber des Wollens. Sprechen wir also vom Willen als einem reinen Vermögen, so ist er sowohl dem Zwecke zugewandt als auch dem, was zum Zwecke führt. Denn jedes Vermögen erstreckt sich auf das, worin irgendwie der Charakter seines Gegenstandes gefunden werden kann; wie das Sehen auf Alles sich erstreckt,was irgendwie am Gefärbtsein Anteil hat. Der Charakter des Guten aber findet sich im Zweckdienlichen ebenso wie im Zwecke. Sprechen wir aber vom Willen als einem thatsächlichen Wollen, so geht er eigentlich nur auf den Zweck. Denn jeder Akt, welcher seinen Namen schlechthin von dem entsprechenden Vermögen hat, bezeichnet die einfache Thätigkeit jenes Vermögens allein; wie z. B. Einsehen bezeichnet die einfache Thätigkeit des Vermögens der Einsicht oder der Vernunft für sich allein ohne eine Verbindung mit andern Vermögen. Die einfache Thätigkeit eines Vermögens aber geht auf das, was an und für sich, d. h. nicht auf Grund der Beziehung auf etwas Anderes, Gegenstand des Vermögens ist. Was nun an und für sich allein gut und deshalb gewollt ist, das ist der Zweck; also gilt das Wollen eigentlich immer dem Zwecke. Auf das Zweckdienliche aber ist das Wollen nur gerichtet, insoweit es den Zweck. will. So ist auch der Gegenstand des Einsehens eigentlich nur das, was durch sich selber und nicht auf Grund von etwas Anderem erkennbar ist, nämlich nur die Principien; und Anderes wird „eingesehen“, insoweit darin die Principien geschaut werden. Denn was der Zweck im Bereiche des Begehrens ist, das sind die Principien im Bereiche des Einsehens.
c) I. Aristoteles spricht da vom einfachen Akte des Wollens; nicht vom Willensvermögen. II. Was durchaus und auf beiden Seiten gleichermaßen der Art nach voneinander unterschieden ist, das gehört verschiedenen Vermögen; wie z. B. der Ton und die Farbe verschiedene Arten des sinnlich Wahrnehmbaren sind und deshalb verschiedene Sinnesvermögen erfordern: das Gehör und das Gesicht. Das „Nützliche“ aber und das „Wohlanständige“ stehen im nämlichen Verhältnisse zu einander, wie das auf Grund von etwas Anderem Gute und das durch und aus sich Gute. Solche Dinge sind jedoch immer ein und demselben Vermögen zugehörig; wie dasselbe Sehvermögen die Farbe erreicht und das Licht, auf Grund dessen die Farbe gesehen wird. III. Nicht Alles, was einen Unterschied in den Zuständen oder Gewohnheiten herstellt, erfordert entsprechenderweise verschiedene Vermögen. Denn dergleichen Zustände sind gewisse Vervollkommnungen des einen einigen Vermögens, wodurch dieses für einzelne Akte fähiger und geeigneter wird. Und trotzdem berücksichtigt auch jede nach außen hin thätige Kunst sowohl den betreffenden Zweck als auch das Zweckdienliche. Denn die Steuerkunst berücksichtigt den Zweck, zu dem hin sie arbeitet als das, was sie erreichen will; und das Zweckdienliche berücksichtigt die Steuerkunst als das, was sie befiehlt. Und ihrerseits betrachtet die Schrffsbaukunst das Zweckdienliche, nämlich das Schiff, als das, was sie durch ihr Wirken erreichen will; den Zweck aber betrachtet sie als das, was Beziehung hat zu dem was ihr Wirken vollbringt. Ebenso ist in jeder Kunst ein ihr eigener Zweck und etwas dem Zwecke Dienendes.
