2.
Da fällt mir zuweilen die Klage der heiligen Martha ein. Sie beklagte sich nicht allein über ihre Schwester, sondern ich halte für gewiß, daß sie am meisten deshalb betrübt war, weil es ihr schien, du habest kein Mitleid mit ihr wegen ihrer Mühe, und es sei dir nichts daran gelegen, daß auch sie bei dir bleibe. Es mochte ihr vorkommen, als liebtest du sie nicht so wie ihre Schwester, und dies mußte ihr schwerer fallen als die Dienstleistung, die sie dir, den sie so innig liebte, erwies; denn die Liebe bewirkt, daß man die Arbeit (für den Geliebten) als Ruhe betrachtet. Ich nehme dies daraus ab, daß sie zu ihrer Schwester kein Wort sprach, sondern ihre ganze Klage nur dir, o Herr, vortrug. Die Liebe zu dir machte sie nämlich kühn, dich zu fragen, warum du dich nicht um sie kümmerst. Daß ihre Frage diesen Grund gehabt, leuchtet wohl auch aus deiner Antwort hervor. Denn nur die Liebe ist es, die allem seinen Wert gibt; sie muß aber so groß sein, daß nichts sie im Lieben hindert. Die Liebe ist das Notwendigste. Aber wie, o mein Gott, werden wir eine Liebe gewinnen können, die des Geliebten würdig wäre, wenn nicht deine Liebe zu uns sie mit sich vereinigt? Soll ich, o Herr, einstimmen in die Klage dieses Weibes? Ach nein, dazu habe ich keinen Grund; denn immer habe ich von meinem Gott unendlich größere und stets mehr zunehmende Beweise seiner Liebe erfahren, als ich darum zu bitten oder sie mir zu wünschen gewußt. Könnte ich über etwas klagen, so wäre es nur das Übermaß deiner Güte, in der du mich ertragen hast.
