12. Zeno
Den wundervollen Zeno kennen nur wenige; die ihn aber kennen, vermögen ihn nicht nach Gebühr zu bewundern. Dieser Mann verließ nämlich sehr große Reichtümer in seinem Vaterlande Pontus und trank, wie er sagte, die Ströme des benachbarten großen Basilius, welcher Kappadozien bewässerte, das auch der Bewässerung würdige Früchte trug. Nach dem Tode des Kaisers Valens hatte er den Soldatengurt abgelegt. Er gehörte nämlich zu der Klasse derer, welche die kaiserlichen Befehle schnell zu überbringen haben. Aus dem Palaste zog er sich in ein Grab zurück, deren der Berg bei Antiochien viele hat. Er lebte für sich allein, beschäftigt mit der Reinigung der Seele und der Läuterung ihrer Sehschärfe. Seine Gedanken waren nur auf Gott gerichtet. „In seinem Herzen bereitete er die Aufstiege zu Gott1”, er verlangte „Flügel der Taube und sehnte sich, zur Ruhe in Gott emporzufliegen2”. Darum hatte er nicht Bett, nicht Leuchter, nicht Herd, nicht Topf, kein Fläschchen, keine Kiste, kein Buch, noch sonst etwas, sondern hüllte sich in alte Lumpen. Ebenso fehlten seinen Sandalen die Riemen, und von den Sohlen war das Leder losgerissen.
Von einem einzigen seiner Bekannten erhielt er die nötige Nahrung. Diese bestand aus einem Brot, das für zwei Tage reichte. Das Wasser holte er sich selbst von ferne her. Einmal bat ein Augenzeuge den Wasserträger, ihm die Arbeit erleichtern zu dürfen. Zuerst lehnte er ab, indem er erklärte, er könne es nicht über sich bringen, Wasser zu trinken, das ein anderer getragen habe. Da dieser nicht nachließ, übergab er ihm die Krüge; er trug nämlich zwei mit den beiden Händen. Als er in die Türe des Vorplatzes eingetreten war, S. 104 goß er das Wasser aus und eilte wieder zu der Quelle, so seinen Worten durch die Tat Nachdruck gebend.
Auch ich sah ihn, da ich das erste Mal den Berg hinanstieg mit dem Wunsche, ihn kennen zu lernen, wie er die zwei Krüge in den Händen hatte. Da fragte ich ihn, wo die Wohnung des wundervollen Zeno sei. Er aber sagte, er kenne gar keinen Mönch, der diesen Namen führe. Weil ich aber vermutete, daß er es sei ― Beweis dafür war mir die Sanftmut seiner Worte ―, folgte ich ihm. Als ich durch die Türe eingetreten war, sah ich ein Lager aus Heu und daneben eine Binsendecke über Steine ausgebreitet, so daß man bequem darauf sitzen konnte. Nachdem wir viel über die Vollkommenheit gesprochen, wobei ich fragte, er aber über das Gefragte uns belehrte, und es Zeit wurde, nach Hause zurückzukehren, bat ich ihn, mir seinen Segen auf den Weg mitzugeben. Er aber weigerte sich, indem er sagte, es gezieme sich, daß wir das Gebet verrichteten, er sei ein Privatmann, wir aber Dienstleute; ich las nämlich damals als Lektor dem Volke Gottes die heiligen Bücher vor. Da wir unsere Jugend und Unreife vorschützten (denn eben begannen die ersten Barthaare zu sprossen) und schwuren, wir würden nicht mehr zu ihm kommen, wenn er uns dazu nötigte, gab er endlich ungern unseren Bitten nach und verrichtete zu Gott ein langes Gebet; er brachte aber ob der Übernahme dieses Amtes eine lange Entschuldigung vor, indem er sagte, er habe dies nur aus Liebe und Gehorsam getan. Wir waren näher getreten und konnten so den Betenden hören.
Wer könnte würdig diesen Greis bewundern, der auf solcher Höhe der Vollkommenheit (vierzig Jahre hatte er beständig im aszetischen Leben verbracht) eine solche Bescheidenheit der Gesinnung an den Tag legte, wer so ihn preisen, wie es seiner Größe entspräche? Und obgleich er so großen Reichtum der Tugend besaß, kam er, wie in der äußersten Armut lebend, jeden Sonntag mit der Menge zur Kirche Gottes, hörte das göttliche Wort an, lieh sein Ohr den Lehrern, nahm teil an dem mystischen Tische und kehrte dann wieder in seine Wohnung zurück. Dazu hatte er kein Schloß, ließ auch S. 105 keinen Wächter zurück, denn sie reizte Bösewichte nicht zum Eintritt, noch gar zur Plünderung, da sie lediglich jene Binsenmatte beherbergte. Nur je ein Buch pflegte er von Freunden zu entleihen. Hatte er es ganz gelesen, so gab er es zurück und nahm dafür ein anderes.
Aber trotzdem er weder Schloß noch Schlüssel gebrauchte, beschirmte ihn die göttliche Gnade. Das haben wir deutlich in eigener Beobachtung erfahren. Als die Horden der Isaurer die Burg der Stadt nächtlich eingenommen und gegen Morgen bis zum Fuße des Berges vorgedrungen waren, töteten sie grausam viele Männer und Frauen, die das aszetische Leben erwählt hatten. Da der Mann Gottes diese Hinschlachtung der Genossen sah, betete er und blendete damit die Augen der Mörder. Sie waren durch das Tor eingedrungen, sahen aber den Eingang nicht. Wie er erzählte und dabei die Wahrheit als Zeugen aufrief, schaute er auch deutlich drei Jünglinge, die jene ganze Rotte hinaustrieben. So offenbarte Gott klar die in ihm wohnende Gnade.
Die Lebensart des göttlichen Mannes und das Gnadenmaß, dessen er sich bei Gott erfreute, ist mit dem Gesagten hinlänglich dargetan. Aber gleichwohl muß ich dem noch einen Zug beifügen.
Sehr ängstigte und bekümmerte ihn, daß ihm noch sein Vermögen zustand und nicht nach dem Gesetze des Evangeliums verkauft und verteilt war. Ursache hiervon war das unmündige Alter seiner Brüder. Denn da der Besitz und das Geld Gemeingut waren, er aber zwecks Verteilung nicht in die Heimat reisen wollte und auch Bedenken trug, an einen anderen seinen Teil zu veräußern, weil die Käufer die Brüder leicht übervorteilen könnten und er so mit Schmähungen bedacht würde, schob sich bei diesem Hin- und Herüberlegen der Verkauf lange Zeit hinaus. Letztlich aber verkaufte er seine gesamte Habe an einen Bekannten und verschenkte den Großteil des Erlöses an die Armen. Inzwischen befiel ihn eine Krankheit und nötigte ihn, auch über den Rest sich schlüssig zu werden. Da schickte er nach dem Bischof der Stadt ― es war der große Alexander, die Leuchte der Frömmigkeit, das Vorbild der Tugend, der treue Spiegel der Vollkommenheit ― und ließ ihm sagen: S. 106 „Wohlan, mein göttlich Haupt, sei auch dieser Gelder bester Verwalter und verteile sie göttlichen Zwecken gemäß als einer, der vor jenem Richter Rechenschaft ablegen muß! Das Übrige habe ich selbst besorgt und weggegeben, wie ich es für das beste hielt. Über das noch Verbleibende wollte ich ähnlich verfügen. Da ich aber aus diesem Leben abberufen werde, bestelle ich dich zum Verwalter darüber, dich, den Hohenpriester, der ein dem hohepriesterlichen Amte würdiges Leben führt.” So hatte er das Vermögen gleichsam einem göttlichen Schatzmeister übergeben.
Er selbst lebte nur noch kurze Zeit und ging hinweg als olympischer Sieger aus den Schranken des Kampfplatzes, nicht bloß von den Menschen, sondern auch von den Engeln gepriesen. Indem ich auch diesen bitte, bei dem Herrn Fürsprache für mich einzulegen, gehe ich zu einer neuen Erzählung über.