14. Maisymas
Ich weiß, daß viele Leuchten der Frömmigkeit um die Stadt Antiochien glänzten: der große Severus und der Ägypter Petrus und Eutychius und Cyrillus und Moses und Malchus und sehr viele andere, die die gleiche Laufbahn ergriffen. Aber wollte ich aller Wandel beschreiben, so dürfte meine ganze Lebensdauer hierfür nicht reichen, und die Lesung allzu vieler Heiligengeschichten möchte auch der Menge zum Überdrusse werden. Aus den gebotenen Darstellungen läßt sich auch das Leben der übergangenen Helden erschließen, und alle sollen sie preisen, nacheifern und Frucht daraus ziehen. Ich aber werde die geistlichen Wiesen von Cyrus durchwandeln und von der Schönheit etlicher ihrer duftenden und anmutigen Blumen, so gut ich kann, Kunde bringen.
Es lebte in der Zeit vor uns ein gewisser Maisymas, der Sprache nach ein Syrer, ländlich erzogen, aber in jeder Tugend ausgezeichnet. Da er in seinem Privatleben hervorleuchtete, wurde er mit der Seelsorge eines Dorfes betraut. Im heiligen Dienste und in der Leitung der Schafe Gottes redete und tat er, wie es das göttliche Gesetz vorschreibt.
Man erzählt, daß er lange Zeit Kleid und Mantel nicht gewechselt, sondern auf die darin entstandenen Risse andere Lappen aufgeflickt und ganz auf dieselbe Weise auch dem Alter geholfen habe. Groß war seine Sorge um Fremde und Arme. Allen, die zu ihm kamen, öffnete er die Türe. Er soll zwei Fässer gehabt haben, eines für Getreide, das andere für Öl. Aus diesen pflegte er allen Bedürftigen mitzuteilen, hatte sie aber immer voll, da ihm der Segen der Witwe von Sarepta verliehen und über diese Fässer ausgegossen war. „Denn derselbe S. 116 Herr aller ist reich gegen alle, die ihn anrufen1.” Und wie er jenem Mehlgefäße und dem Ölkrug Inhalt gab, für den Samen der Gastfreundschaft Garben spendend2, so verlieh er diesem wundervollen Manne einen seiner Bereitwilligkeit entsprechenden Überfluß.
Große Wundergaben hatte er auch vom Gott des Alls empfangen. Ich will aber mit Übergehung von anderen nur eine oder zwei Taten erwähnen, indem ich zu weiteren Aszeten zu kommen mich beeile. Eine Frau, durch Geburt und Glauben ausgezeichnet, hatte ihren sehr jungen Sohn, der in eine Krankheit verfallen war, vielen Ärzten anvertraut. Da deren Kunst versagte und die Ärzte die Hoffnung aufgaben und entschieden erklärten, das Knäblein werde sterben, ließ die Frau gleichwohl ihr höheres Vertrauen nicht sinken, sondern lud, die Sunamitin3 nachahmend, das Bett auf ein Maultier und setzte sich und das Knäblein darauf, um den Mann Gottes aufzusuchen. Wehklagend und dem Affekte der Natur Raum gehend, bat sie ihn, zu helfen. Er aber nahm das Knäblein in beide Hände, legte es am Fuße des Altars nieder, warf sich selbst zu Boden und flehte den Arzt für Seele und Leib an. Seine Bitte wurde erhört, und er gab der Mutter das Kind gesund zurück. Ich habe dies von eben der gehört, die das gesehen und die Heilung des Kindes erlangt hat.
Es wird auch erzählt, daß einst der Herr jenes Dorfes, Letoius mit Namen, zu ihm kam. Dieser hatte den Vorsitz im Rate von Antiochien, war aber in der Finsternis des Heidentums befangen und forderte schärfer als billig die Früchte von den Landwirten ein. Der Mann Gottes mahnte ihn zur Menschenfreundlichkeit und machte ihm Vorhalt und hielt ihm einen Vortrag über Erbarmen und Barmherzigkeit. Der aber blieb verhärtet, mußte aber den Schaden seiner Hartnäckigkeit an sich erfahren. Als nämlich Zeit zur Abfahrt war und das Gespann bereit stand und er aufstieg und den Kutscher die Maultiere antreiben hieß, suchten diese S. 117 unter den Peitschenhieben mit aller Gewalt anzuziehen und zerrten hastig an der Deichsel, aber die Räder schienen wie mit Eisen und Blei festgehalten. Als aber auch die Menge der Landleute mit Hebeln in die Speichen griff und ebensowenig ausrichtete, gab ein Vertrauter des Letoius, der neben ihm saß, den Grund an, indem er sagte, der greise Priester habe den Fluch über ihn ausgesprochen, er müsse ihn besänftigen. Da sprang er vom Wagen, flehte ihn, den er verspottet hatte, an, und zu dessen Füßen hingeworfen, umfaßte er die schmutzigen Lumpen und bat ihn, von seinem Zorn abzulassen. Der Alte nahm seine Bitten gütig auf, brachte sie vor den Herrn und löste so die unsichtbaren Fesseln der Räder, so daß der Wagen in gewohnter Weise dahinfuhr.
Noch viele andere Begebnisse dieser Art werden von dem göttlichen Haupte erzählt. Man kann aber auch schon hieraus sehen, wie wenig denen, welche die Aszese pflegen, der Aufenthalt in Städten und Dörfern hinderlich ist. Denn er sowohl wie die Gefährten, welche nach seiner Weise dem Dienste Gottes obliegen, haben bewiesen, daß es möglich ist, auch in der Umgebung von Vielen zum Gipfel der Tugend zu gelangen. Mir aber möge es mit Hilfe ihrer Gebete vergönnt sein, ein Stückchen wenigstens über den Fuß des Berges emporzukommen.
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