17. Abraames
Nicht recht wäre es, das Andenken an den wundervollen Abraames etwa deshalb zu übergehen, weil er nach dem Einsiedlerleben das hohepriesterliche Amt zierte. In der Tat verdient er um so mehr Erwähnung, weil er, gezwungen, jene Lebensweise zu vertauschen, seine Lebensführung darob nicht änderte, sondern mit der aszetischen Strenge fortfuhr und mit klösterlichen Arbeiten und hohepriesterlichen Sorgen zugleich belastet, den Lauf seines Lebens vollbrachte.
Auch er war eine Frucht der Gegend von Cyrus. Dort ward er geboren und erzogen, und dort sammelte er die Reichtümer des aszetischen Lebens. Die mit ihm zusammenlebten, berichten, er habe so sehr durch Nachtwachen und Stehen und Fasten den Leib gebändigt, daß er lange Zeit sich nicht mehr bewegen und nicht mehr gehen konnte. Nachdem er durch Gottes Vorsehung von jener Schwäche befreit war, wollte er für diese Gnade sich Gefahren unterziehen und suchte ein sehr großes Dorf am Libanon auf, von dem er erfahren hatte, S. 122 daß es noch in der Finsternis des Heidentums befangen lag. Das Äußere des Mönches verbarg er unter der Maske eines Kaufmannes, nahm nebst seinen Gefährten Säcke mit sich, als wollte er Nüsse kaufen, eine Frucht, welche bei diesem Dorfe besonders gedeiht. Er mietete dort ein Haus, indem er den Besitzern eine kleine Summe im voraus zahlte und verhielt sich dreiundvierzig Tage ruhig. Dann fing er nach und nach an, den heiligen Dienst zu verrichten, aber mit leiser Stimme. Als die Leute aber den Psalmengesang vernahmen, rief der Herold alle mit lauter Stimme zusammen. Es versammelten sich Männer und Frauen, verrammelten die Türen des Hauses, trugen vielen Schutt zusammen und warfen ihn von oben vom Dache her auf die Insassen. Als sie aber sahen, daß sie erstickten und zugeschüttet würden, Leute, die doch gar nichts tun, nichts reden wollten, sondern nur Gott Gebete darbrachten, stellten sie auf Gemahnen anderer den Wutausbruch ein. Dann öffneten sie die Türen, zogen die Fremdlinge aus dem Schutte und befahlen ihnen, sich sofort wegzubegeben. Aber zu derselben Zeit trafen Steuereintreiber ein und verlangten mit Gewalt die Zahlung der Abgaben, indem sie die einen fesselten, die andern schlugen. Aber der Mann Gottes, uneingedenk des gegen ihn Unternommenen, vielmehr den Herrn nachahmend, der am Kreuze um die Übeltäter sich sorgte, bat die Steuerbeamten, die Eintreibung milde vorzunehmen. Da diese aber Bürgen verlangten, stellte er sich bereitwillig zur Verfügung und versprach, nach wenigen Tagen hundert Goldgulden zu erlegen. Voll Verwunderung ob dieser Menschenfreundlichkeit baten sie den Mann, welchem sie so übel mitgespielt hatten, um Verzeihung und ersuchten ihn, ihr Vorsteher zu werden. Denn das Dorf hatte keinen Herrn. Sie waren Ackerer und Herren zugleich. Er begab sich aber nach der Stadt Emesa. Dort traf er einige Bekannte, die ihm die hundert Goldgulden liehen. Damit kehrte er ins Dorf zurück und löste am festgesetzten Tage sein Versprechen. Als sie seinen Eifer für ihre Sache gewahrten, wiederholten sie umso dringlicher ihr Gesuch. Da er versprach, das zu tun, wenn sie sich anheischig machten, eine Kirche zu S. 123 erbauen, baten sie ihn, den Bau sogleich in Angriff zu nehmen. Sie führten den seligen Mann herum und zeigten ihm geeignete Plätze. Der eine pries diesen, der andere jenen Platz. Er wählte den passendsten aus, legte das Fundament und konnte in kurzer Zeit das Dach aufsetzen. Als der Bau vollendet war, stellte er ihnen vor, daß sie auch einen Priester annehmen müßten. Sie erklärten, keinen andern zu erwählen, und baten, er möge ihr Vater und Hirte sein. Er ging darauf ein und empfing die Gnade des Priestertums. Nachdem er drei Jahre bei ihnen verbracht und sie trefflich in die göttlichen Dinge eingeführt hatte, sorgte er, daß ein anderer aus seinen Gefährten geweiht wurde, und begab sich wieder in seine Einsiedelei zurück.
Um nicht in der Aufzählung aller seiner Taten zu weitläufig zu werden, will ich kurz erwähnen, daß er ob deren Glanzes den Bischofsstuhl von Karä bestieg. Diese Stadt war von heidnischer Gottlosigkeit ganz berauscht und hatte sich völlig der Tollheit der Dämonen hingegeben. Aber seiner Pflege gewürdigt und von dem Feuer seiner Belehrung entzündet, ward sie dauernd von den früheren Dornen befreit und grünt jetzt in Saaten des Heiligen Geistes und bringt Gott Garben von prächtigen Ähren dar.
Aber nicht ohne Mühen betrieb der Mann Gottes diesen göttlichen Ackerbau. Unter tausend Mühseligkeiten ahmte er die Kunst der Ärzte des Leibes nach. Er übte Heilung, indem er bald süße Ermahnungen gab, bald herbere Arzneien schlucken hieß, manchmal auch zu Schneiden und Brennen griff. Seine Lehre und seine anderen Bemühungen wurden unterstützt durch die Leuchte seines Lebens. Von hier entzündet, gehorchten sie seinen Worten und folgten bereitwillig seinen Werken.
Die ganze Zeit seiner bischöflichen Amtsführung gab es für ihn kein Brot, kein Wasser; überflüssig war ihm das Bett, überflüssig der Gebrauch des Feuers. Im Wechselgesang sprach er des Nachts vierzig Psalmen und verdoppelte noch dieses Maß durch eingeschobene Gebete. Den Rest der Nacht vollbrachte er auf einem Sessel und gestattete seinen Augenlidern nur eine kurze S. 124 Ruhe. Daß der Mensch nicht allein vom Brote lebe, erklärte der Gesetzgeber Moses, und diese Worte wiederholte der Herr, um die Zumutung des Teufels zurückzuweisen1. Daß man aber auch ohne Wasser das Leben fristen könne, wird nirgends in der göttlichen Schrift gelehrt. Denn auch der große Elias stillte seinen Durst am Bache, und bei der Witwe von Sarepta eingekehrt, ließ er sich zuerst Wasser bringen, und hernach erst verlangte er Brot2. Aber dieser wundervolle Mann nahm während seines Hohepriestertums weder Brot noch Hülsenfrüchte noch am Feuer bereitetes Gemüse zu sich, nicht einmal Wasser, das bei den in diesen Dingen Sachverständigen als das erste von den vier Elementen gilt, da es unumgänglich zum Leben notwendig ist. Vielmehr bereitete er sich aus Gartenlattich und Endivie und Sellerie und vielen anderen derartigen Gewächsen Nahrung und Trank zugleich und erwies so die Künste der Bäcker und Köche als überflüssig. In der spätsommerlichen Zeit befriedigte er mit Obst sein Nahrungsbedürfnis, und dies erst nach dem Abendgottesdienst. Und indem er durch solche Mühen seinen eigenen Leib meisterte, trug er eine unbeschreibliche Sorge für die anderen.
Für ankommende Fremde stand ein Bett bereit und wurde feines, auserlesenes Brot aufgetragen und duftender Wein und Fische und Gemüse und alles übrige, was dazugehört. Er setzte sich selbst zu ihnen, wenn sie so das Mittagsmahl bei ihm nahmen, reichte jedem Gaste von den vorgesetzten Speisen, gab ihnen den Becher in die Hand und feuerte sie zum Trinken an und ahmte so den Patriarchen gleichen Namens nach, der die Fremden bediente, selbst aber nicht mitspeiste3. Ganze Tage widmete er den Händeln von Streitenden, indem er zur Versöhnung sie beredete oder, wenn gütige Belehrung kein Ohr fand, dafür sorgte, daß der Gerechtigkeit Genüge geschah. Keinem Ungerechten gelang es je, durch seine Verwegenheit das Recht zu beugen. Indem er für den Unrecht Leidenden die S. 125 Gerechtigkeit zur Geltung brachte, entzog er ihn weiteren Angriffen und überhob ihn der Willkür des Bösewichtes. So glich er einem tüchtigen Arzte, der den Überschuß an Säften beseitigt und zwischen den Stoffen das Gleichgewicht herstellt.
Auch der Kaiser begehrte ihn zu sehen. Denn die Gerüchte haben Flügel und verkünden schnell alles Gute und Schlechte. Er beschied ihn zu sich, umarmte ihn und erachtete dessen bäuerischen Mantel für kostbarer als den eigenen Purpur. Und der Chor der kaiserlichen Damen umfaßte seine Hände und Knie, und sie trugen ihm ihre Bitten vor, einem Manne, der die griechische Sprache gar nicht verstand.
So ist Königen und allen Menschen die Tugend etwas Ehrwürdiges, und nach dem Tode erlangen die, welche sie geliebt und gepflegt, noch größere Berühmtheit. Dies kann man gar oft beobachten, ganz besonders aber bei diesem gottseligen Manne. Als er sein Leben beschlossen und der Kaiser dies erfuhr, wollte er, daß der Tote in einem Heiligtume beigesetzt werde. Da man ihm aber bemerkte, es gezieme sich, daß der Leib des Hirten der Herde überlassen bleibe, ging er an der Spitze des Leichenzuges, und es folgten der Chor der kaiserlichen Frauen, alle Beamten und Untergebenen, Soldaten und Private. Mit diesem Eifer empfing ihn auch die Stadt Antiochien und viele Orte nach ihr, bis man zum großen Flusse kam. Am Euphrat strömten die Städter und Fremde, alle Landbewohner und Grenznachbarn zusammen und drängten sich, seinen Segen zu erhalten. Die Bahre begleiteten viele Lanzenträger, welche durch Dreinschlagen diejenigen zurückhielten, welche den Leichnam der Kleider zu berauben und Stücke davon an sich zu reißen suchten. Die einen sangen Psalmen, die andern wehklagten. Eine Frau nannte ihn weinend ihren Beschützer, eine andere ihren Ernährer, wieder eine andere ihren Hirten und Lehrer. Und Männer riefen unter Tränen Vater, Helfer, Beschützer. Unter solchen Lobpreisungen und Klagen übergaben sie den heiligen Leib dem Grabe.
Ich aber bewundere an ihm, daß er mit der Änderung des Standes sein Leben nicht änderte und als S. 126 Bischof sich keiner bequemeren Lebensführung hingab, sondern seine aszetischen Anstrengungen noch verdoppelte. Darum habe ich ihn in die Geschichte der Einsiedler aufgenommen und ihn nicht aus der von ihm so sehr geliebten Gesellschaft ausgeschlossen. Ich bitte um seinen Segen.