26. Symeon
Symeon, den Gewaltigen, das große Wunder des Erdkreises, kennen alle Untertanen des Römischen Reiches. Es haben ihn aber auch die Perser und Meder und Äthiopier kennen gelernt, und selbst zu den Skythen, den Nomaden, ist sein Ruf gedrungen und hat dort sein mühevolles Tugendleben bekannt gemacht. Ich aber fürchte, obgleich ich sozusagen alle Menschen zu Zeugen seiner Kämpfe habe, die schwacher Worte spotten, es möchte die Erzählung den Späteren als ein Mythus erscheinen, der jeglicher Wahrheit bar ist. Denn was er getan, geht über die menschliche Natur. Die Menschen aber pflegen Erzählungen nach dem Maßstabe der Natur zu beurteilen, und wird etwas berichtet, was darüber hinausgeht, so erscheint es Leuten, welche in göttliche Dinge nicht eingeweiht sind, als Märchen. Da aber Land und Meer voll sind von Gottesfürchtigen, die in göttlichen Dingen unterrichtet und die Gabe des Heiligen Geistes kennen gelernt, werden sie meinen Worten den Glauben nicht versagen, sondern sie gerne hinnehmen. Mit Eifer und Mut will ich so die Erzählung beginnen und mache den Anfang mit seiner Berufung von oben.
In der Gegend, wo unser Land an Kilikien grenzt, liegt ein Dorf, Sisan genannt. Hier stand seine Wiege. Von den Eltern wurde er zunächst angeleitet, Schafe zu hüten. Auch darin sollte er den großen Männern gleichen, Jakob dem Patriarchen, Joseph dem Keuschen, Moses dem Gesetzgeber, David dem König und Propheten, Michäas dem Propheten und den übrigen gottseligen Hirten. Als einmal starker Schnee gefallen war und die Schafe zu Hause bleiben mußten, hatte er Muße und ging mit den Eltern zum Gotteshause. Und da habe ich von seiner heiligen Zunge selbst folgendes vernommen.
S. 157 Er habe, so erzählte er, die evangelischen Worte gehört, welche die Weinenden und Trauernden selig preisen, für unselig aber die Lachenden erklären, nacheiferungswürdig die nennen, welche ein reines Herz besitzen, und alles übrige, was damit zusammenhängt. Da habe einer der Anwesenden gefragt, was man denn tun müsse, um dieses alles zu erlangen. Darauf hätte man ihm das Einsiedlerleben angegeben und die hohe Vollkommenheit desselben dargelegt. Indem er so den Samen des göttlichen Wortes in sich aufgenommen und in den tiefen Furchen der Seele gut geborgen, sagte er, sei er zu dem nahen Heiligtum der Martyrer geeilt. Hier habe er auf den Knien, mit der Stirne den Boden berührend, den, welcher alle Menschen selig machen will, gebeten, ihn auf den vollkommenen Weg der Frömmigkeit zu führen. Lange mit diesem Gedanken beschäftigt, sei süßer Schlaf über ihn gekommen, und er habe folgendes Traumgesicht gehabt. „Ich glaubte”, fuhr er fort, „Fundamente zu graben und zu hören, wie ein Mann, der dabei stand, zu mir sagte, ich müsse noch tiefer graben. Wie er befohlen, ging ich noch tiefer. Da ich aber nun auszuruhen versuchte, gebot er, weiter zu graben und nicht von der Arbeit abzulassen. Nachdem er so drei- oder viermal den Befehl wiederholt, sagte er, die Tiefe sei nun hinreichend, und ich könnte jetzt sonder Mühe an die weitere Arbeit gehen. Das Schwerste sei geschehen, die Aufführung des Baues sei leicht.” Und diesem Gesicht entsprechen die Taten. Was er indes geleistet, übersteigt die Natur.
So brach er denn auf und begab sich zur Wohnung einiger Aszeten in der Nachbarschaft. Nachdem er zwei Jahre bei ihnen zugebracht, suchte er in seinem Drange nach stets höherer Tugend das Dorf Teleda auf, das ich schon früher erwähnte und wo die großen göttlichen Männer Ammianus und Eusebius zum Entsagungskampfe sich eingerichtet hatten. Aber nicht diese Ringstätte nahm sich der göttliche Symeon zum Ziele, sondern eine Zweigschule, die aus letzterer hervorgegangen. Eusebonas nämlich und Abibion hatten, nachdem sie den Unterricht des großen Eusebius hinlänglich genossen, hier ein neues Kloster erbaut. Ein Denken und ein S. 158 Tun trug beide durchs Leben, wie wenn eine Seele in zwei Körpern wohnte. Und so zogen sie viele Freunde dieser Lebensweise an. Als sie ruhmbedeckt aus dem Leben schieden, übernahm die Leitung der Genossen der wundervolle Heliodorus, der fünfundsechzig Jahre lebte und davon zweiundsechzig im Kloster verbrachte. Nur drei Jahre hatte er die Erziehung bei den Eltern genossen und kam dann zu jener Herde, ohne etwas von dem, was in der Welt geschieht, je gesehen zu haben. Er kenne, sagte er, nicht einmal die Schweine oder die Hasen oder sonst ein Tier. Seines Anblicks durfte auch ich mich häufig erfreuen, und ich mußte die Einfalt seiner Sitten bewundern und gar sehr staunen über die Reinheit seiner Seele.
Zu diesen also kam der berühmte Streiter der Frömmigkeit und focht daselbst zehn Jahre. Er hatte achtzig Mitkämpfer, die er aber im Waffengange alle überbot. Sie nahmen jeden zweiten Tag Speise, er blieb die ganze Woche ohne Nahrung. Die Vorgesetzten waren damit unzufrieden, und die Genossen stritten mit ihm und erklärten sein Gehaben für Unordnung. Er ließ sich aber durch diese Vorstellungen nicht beirren, und sie vermochten seinem Eifer keine Zügel anzulegen. Ich habe den jetzigen Vorsteher der Herde selbst erzählen hören, daß er einst mit einem Strick aus Palmen, die selbst für die berührenden Hände äußerst rauh sind, die Hüften sich gürtete, ihn aber nicht über den Kleidern anbrachte, sondern auf die bloße Haut ihn fügte. Und er schnürte ihn so fest, daß die ganze Partie ringsum, wo er anlag, mit schwärenden Wunden sich bedeckte. Nachdem er so mehr als zehn Tage gelitten und die Wunden schlimmer wurden und Blutstropfen daraus entquollen, fragte ihn einer, der dies bemerkte, woher das Blut komme. Da er erwiderte, er empfinde keinen Schmerz, führte der Genosse gewaltsam die Hand unter die Kleider und fand die Ursache. Er zeigte es dem Vorsteher an. Dieser tadelte ihn und redete ihm zu und verurteilte die Grausamkeit der Tat. Aber nur schwer ließ er sich bestimmen, den Gürtel abzunehmen. Ein heilendes Mittel den Wunden aufzulegen, dazu konnte er ihn nicht bereden. Da sie sehen S. 159 mußten, wie er noch andere Dinge solcher Art trieb, hießen sie ihn das Kloster verlassen, damit er nicht Genossen mit schwächerem Körper zu Taten verführte, die über ihre Kräfte gingen, und ihnen so zum Verderben würde.
Er ging also weg und suchte noch entlegenere Stellen des Berges auf. Da fand er eine Zisterne, ohne Wasser, nicht sehr tief. In diese ließ er sich hinab und sang da das Lob Gottes. Nach fünf Tagen empfanden die Vorsteher jenes Klosters Reue und sandten zwei Brüder ab, ihn zu suchen und wieder zurückzubringen. Als sie den Berg ringsum abgesucht hatten, fragten sie einige Hirten, ob sie nicht einen Mann gesehen hätten von dem und dem Aussehen und der und der Bekleidung. Als sie die Hirten an die Zisterne wiesen, erhoben sie alsogleich ein lautes Geschrei, holten einen Strick und zogen ihn mit großer Mühe herauf. Denn der Aufstieg ist nicht so leicht wie der Abstieg.
Nachdem er noch einige Zeit bei ihnen geblieben war, begab er sich zum Dorfe Telanissos, das am Fuße jenes Berggipfels liegt, auf dem er sich heute aufhält. Dort fand er eine kleine Hütte vor, in die er sich für drei Jahre einschloß. Eifrig bedacht, den Besitz an Tugend stetig zu mehren, wünscht er es den göttlichen Männern Moses und Elias gleich zu tun und vierzig Tage ohne Speise auszuharren. So sucht er den bewunderungswürdigen Bassus, der als Vorsteher der Landpriesterschaft eben die verschiedenen Dörfer bereiste, zu bereden, alles aus seiner Zelle zu entfernen und die Türe mit Lehm zu verschließen. Dieser stellte ihm die Schwierigkeit vor und ermahnte ihn, nicht zu glauben, daß ein gewaltsamer Tod Tugend wäre. Er sei das größte und erste Verbrechen. Da sagte er: „Aber Vater, lege mir zehn Brote hin und stelle mir ein Gefäß mit Wasser daneben, und wenn ich sehe, daß der Körper es nötig hat, werde ich davon nehmen!” Er tat wie befohlen. Das Erbetene wurde bereitgestellt und die Türe mit Lehm verschlossen. Am Ende der vierzig Tage kam der wundervolle Mann Gottes, Bassus, wieder, entfernte den Lehm, und als er durch die Türe eintrat, fand er noch die Zahl der Brote und das Gefäß mit Wasser vor, S. 160 ihn selbst aber wie leblos am Boden liegen. Er konnte nicht sprechen und sich nicht bewegen. Da verlangte er einen Schwamm, benetzte und reinigte damit seinen Mund und reichte ihm die Gestalten der göttlichen Mysterien. Dadurch gestärkt, erhob er sich und nahm etwas Speise zu sich, Lattich, Endivie und Ähnliches. Ohne viel zu kauen, schluckte er es hinunter. Ganz erstaunt kehrte der große Bassus zu seiner Herde zurück und erzählte dieses große Wunder.
Symeon hatte mehr als zweihundert Schüler. Ihnen verbot er, ein Lasttier zu halten, eine Mühle zu besitzen, angebotenes Gold anzunehmen, die Wohnung zu verlassen, sei es, etwas zum Leben Notwendiges zu kaufen, sei es, einen Bekannten zu sehen. Sie mußten im Kloster bleiben und mit der von der Gnade Gottes gesandten Nahrung sich bescheiden. Dieses Gesetz beobachten seine Schüler bis zum heutigen Tage, und obgleich gewachsen an Zahl, übertreten sie nicht die von ihm gegebenen Satzungen. Ich aber gehe wieder zu dem großen Symeon über.
Von jener Zeit an pflegt er bis zur Stunde ― es sind über achtundzwanzig Jahre verflossen ― vierzig Tage lang ohne Nahrung zu bleiben. Aber die Zeit und die Übung haben viel von der Mühe benommen. Die ersten Tage preist er Gott stehend. Wenn dann der Körper wegen Mangel an Nahrungsaufnahme das Stehen nicht mehr verträgt, verrichtet er sitzend den göttlichen Dienst. In den letzten Tagen legt er sich nieder. Das allmähliche Schwinden und Verlöschen der Kräfte nötigt ihn, wie ein Toter dazuliegen.
Seitdem er sich aber auf eine Säule gestellt, konnte ihn nichts mehr zum Herabsteigen vermögen. Dabei ersann er eine besondere Art, die ihm das Stehen ermöglichte. Er befestigte einen Balken an der Säule und band sich mit Binsenstricken daran fest und verbrachte so die vierzig Tage. Nachdem er aber später vom Himmel noch reicher begnadet wurde, bedurfte er dieses Hilfsmittels nicht mehr, sondern stand frei die vierzig Tage, ohne Nahrung zu nehmen, nur gekräftigt von seinem Eifer und von der göttlichen Gnade.
S. 161 Drei Jahre also, wie gesagt, verbrachte er in der Hütte. Dann begab er sich auf den berühmten Bergrücken, ließ rings herum einen Zaun herstellen und verschaffte sich eine zwanzig Ellen lange Eisenkette. Das eine Ende hieß er an einen großen Stein anschmieden, das andere befestigte er an seinem rechten Beine, so daß er, auch wenn er wollte, aus der Umfriedung nicht herausgehen konnte. In solcher Bindung verharrte er innerhalb des Geheges, im Geiste ununterbrochen mit dem Himmel und dem Überhimmlischen beschäftigt. Denn den Flug der Gedanken vermag die eiserne Fessel nicht zu hemmen. Als nun der wundervolle Meletius, Bischof im Distrikte von Antiochien, ein Mann von Verstand und Einsicht und mit Klugheit geziert, sagte, das Eisen sei überflüssig, es genüge die Gesinnung, dem Körper geistige Fesseln anzulegen, gab er nach und nahm bereitwillig diese Mahnung hin. Er ließ einen Schmied kommen und die Fesseln abnehmen. Damit der Körper von dem Eisen nicht verletzt würde, ward ein Fellstück um den Schenkel gelegt. Auch dieses mußte gewaltsam entfernt werden. Denn es war straff zusammengenäht. Dabei will man zwanzig Wanzen entdeckt haben, die darunter versteckt lagen. Der wunderbare Meletius hat sie, wie er erklärte, gesehen. Ich aber erzähle dies, um den großen Starkmut des Mannes darzutun. Denn er konnte leicht mit der Hand das Fell zusammendrücken und so das ganze Ungeziefer vernichten, aber er ertrug standhaft die lästigen Bisse, im kleinen zu größeren Kämpfen sich vorübend.
Als nun sein Ruf nach allen Seiten drang, lief alles zusammen, und nicht nur die Nachbarn, sondern auch Leute, welche mehrere Tagereisen entfernt waren. Die einen brachten Gichtbrüchige herbei, die anderen baten für Kranke um Gesundheit, andere wünschten Väter zu werden, und weil sie es nach dem gewöhnlichen Verlaufe nicht wurden, suchten sie dies durch ihn zu erlangen. Und wenn sie ihre Bitte erfüllt sahen, kehrten sie freudig zurück, verkündeten die empfangenen Wohltaten und entsandten weitere Scharen mit gleichen Anliegen dorthin. So kommen sie von allen Seiten, und jeglicher Weg gleicht einem Flusse, und um seine Stätte glaubt man S. 162 ein brandend Menschenmeer zu schauen, das die Ströme von allerwärts in sich aufnimmt. Nicht nur die Bewohner unseres Landes drängen sich dort zusammen, sondern auch Ismaeliten, Perser und die von ihnen unterjochten Armenier, Iberer, Homeriten und Völkerschaften, die noch weiter im Innern wohnen. Es kommen auch viele vom äußersten Westen, Spanier und Briten und Gallier, welche zwischen diesen wohnen. Von Italien brauchen wir nicht zu sprechen. Denn so berühmt soll der Mann in dem großen Rom geworden sein, daß man in allen Vorräumen von Werkstätten kleine Bilder von ihm aufstellt, die Schutz und Sicherheit verschaffen sollen.
Da die Zahl der Pilger stetig wuchs und alles ihn zu berühren und aus seiner Pelzgewandung Segen zu erholen strebte, war er auf den Gedanken gekommen, sich auf eine Säule zu stellen. Fürs erste hielt er dieses Übermaß von Verehrung für unvernünftig, sodann ward er auch über das Belästigende der Sache unwillig. Darum ließ er zunächst eine Säule von sechs Ellen errichten, die er später auf zwölf und darnach auf zweiundzwanzig Ellen erhöhte. Jetzt mißt sie sechsunddreißig Ellen. Denn er wünscht zum Himmel aufzufliegen und von diesem irdischen Getriebe sich zu lösen. Ich bin aber überzeugt, daß dieses Stehen nicht ohne göttliche Fügung von ihm erwählt worden ist, weshalb ich Tadelsüchtige ermahne, ihre Zunge zu zügeln und ihr nicht freien Lauf zu lassen. Sie mögen doch bedenken, daß der Herr oft solches zum Nutzen der Saumseligen veranstaltet hat. So hat er dem Isaias befohlen, ohne Kleider und Schuhe einherzugehen, dem Jeremias, die Lenden zu umgürten und so den Halsstarrigen zu prophezeien, ein anderes Mal, ein hölzernes und eisernes Joch um den Hals zu legen. Dem Oseas, ein Hurenweib zu nehmen und wiederum, eine schlechte und ehebrecherische Frau zu lieben, und dem Ezechiel, vierzig Tage auf der rechten Seite zu liegen und auf der linken hundertundfünfzig, und wiederum, die Wand zu durchbrechen und hierdurch zu entfliehen, um so in sich die Gefangenschaft darzustellen, und ein anderes Mal, das Schwert zu schärfen, damit das Haupt zu scheren und die Haare in vier S. 163 Teile zu zerlegen und mit den einen dies, mit den andern das vorzunehmen1. So könnte ich noch vieles andere anführen. Dieses alles befahl der Allherr, um diejenigen, welche Worten nicht Folge leisteten und die Prophezeiung nicht hören wollten, durch wunderliches Schauspiel zu sammeln und zum Gehorsam gegen die Stimme Gottes geneigt zu machen. Denn wer staunte nicht, wenn er einen Menschen nackt einhergehen sieht? Wer verlangte nicht, den Grund zu erfahren? Wer fragte nicht: Warum bringt es der Prophet über sich, einer Hure beizuwohnen? Wie also der Gott des Alls solches befahl, in der Absicht, der Trägheit der Zeitgenossen entgegenzukommen, so hat er auch dieses neue und auffallende Schauspiel herbeigeführt, um alle durch das Ungewohnte anzuziehen und die Herbeikommenden für die ihnen gegebenen Ermahnungen bereitwillig zu machen. Denn das Verblüffende der Erscheinung kommt dem Lehrworte gar wirksam zustatten. Man kommt, um zu schauen, und geht fort mit dem göttlichen Worte im Herzen. Und wie die Regenten über die Menschen von Zeit zu Zeit die Prägungen auf den Münzen wechseln und bald Bilder von Tieren wählen, bald von Sternen und Engeln, und durch das neue Emblem dem Gelde erhöhten Wert zu leihen suchen, so gibt der König des Alls der christlichen Religion in diesen verschiedentlichen und neuartigen Lebensführungen gleichsam frische Züge und rüttelt damit die Zungen der Glaubenszöglinge sowohl wie die Zunge derer, die an Unglauben kranken, zum Lobpreise auf.
Daß dem wirklich so ist, dafür zeugen nicht Worte, sondern die laute Stimme der Tatsachen. Denn viele Tausende von Ismaeliten, die der Finsternis der Gottlosigkeit dienten, hat sein Stehen auf der Säule erleuchtet. Wie auf einen Leuchter gestellt, hat dieses hellstrahlende Licht der Sonne gleich seine Strahlen nach allen Seiten entsendet. Und man kann kommen sehen, wie ich sagte, Iberer, Armenier, Perser, die dort die göttliche Taufe empfangen. Ismaeliten kommen in Haufen, S. 164 zu Hunderten, zu Zweihunderten, ja zu Tausenden, schwören laut den heimischen Betrug ab, zermalmen vor dem großen Lichte die von ihnen verehrten Götzenbilder, entsagen den Ausschweifungen der Aphrodite, deren Dienst sie von alters her gehuldigt, und lassen sich in die göttlichen Mysterien einweihen. Sie nehmen Gesetze an von diesem heiligen Munde, verabschieden die heimischen Gebräuche, entsagen dem Genusse des Fleisches von Wildeseln und Kamelen.
Ich war Augen- und Ohrenzeuge, wie sie die heimische Gottlosigkeit abschwuren und die evangelische Lehre annahmen. Dabei habe ich einmal eine große Gefahr bestanden. Er hatte ihnen befohlen, zu mir zu kommen und den priesterlichen Segen sich zu erholen, da sie daraus großen Nutzen ziehen würden. Sie strömten nach Barbarenart zusammen. Die einen drängten von vorne, die andern von rückwärts auf mich ein, wieder andere von den Seiten, und die Entfernteren stiegen über die Näheren und streckten die Hände mir entgegen. Hier zerrten sie mich am Barte, dort an den Kleidern. Ich wäre unter ihrem allzu hitzigen Andrange erstickt, wenn der Heilige nicht durch laute Zurufe sie auseinandergetrieben hätte. Solch reichen Segen goß die von Tadelsüchtigen bespöttelte Säule aus, solche Strahlen der Gotteserkenntnis sandte sie in die Herzen der Barbaren.
Ich kann noch ein anderes Begebnis nach dieser Seite hin erzählen. Ein Volksstamm bat den göttlichen Mann, er möge ihrem Häuptlinge sein Gebet und seinen Segen senden. Ein anderer Stamm aber, der eben zugegen war, widersprach dem und erklärte, nicht jenem, sondern ihrem Führer müsse der Segen gesandt werden. Jener sei ein ganz ungerechter Mann, ihr Fürst erhaben über Unrecht. Nachdem sie so lange gestritten und nach Barbarenart gezankt hatten, fuhren sie schließlich gegeneinander los. Mit vielen Worten redete ich auf sie ein, Ruhe zu geben und sich dahin zu bescheiden, daß der göttliche Mann dem einen wie dem anderen seinen Segen schicke. Aber die Gegenpartei bestand darauf, jener dürfe den Segen nicht bekommen, und umgekehrt suchten diese den andern darum zu S. 165 bringen. Da drohte er ihnen von oben herab und rief Hunde herbei. So brachte er endlich den Streit zur Ruhe.
Das habe ich erzählt, um die gläubige Gesinnung dieser Barbaren ins Licht zu rücken. Denn nimmer hätten sie so wider einander gewütet, wenn sie nicht glaubten, daß der Segen des göttlichen Mannes höchste Kraft besitze. Ich war auch Zeuge eines auffallenden Wunders. Es kam nämlich ein Sarazenenführer und bat das göttliche Haupt, einem Manne Hilfe zu leisten gegen Gliederlähmung, die ihn auf dem Marsche befallen. Der Unfall sei ihm, wie er sagte, bei Kullinikos, einem sehr großen Kastell, zugestoßen. Vor den Heiligen gebracht, befahl dieser dem Kranken, die Gottlosigkeit seiner Vorfahren abzuschwören. Da er dies gerne tat und folgsam das Befohlene ausführte, fragte er ihn, ob er glaube an den Vater, den eingebornen Sohn und den Heiligen Geist. Als er bekannt, daß er glaube, fuhr er fort: „Im Glauben an diese drei Namen stehe auf!” Und da er aufgestanden, hieß er ihn den Anführer auf den Schultern bis zu seinem Bette tragen. Der aber hatte einen sehr starken Körper. Und er nahm ihn und eilte flugs von dannen. Die Anwesenden aber ließen laut das Lob Gottes erschallen. Solchen Auftrag hatte er gegeben, den Herrn nachahmend, der dem Gichtbrüchigen geboten, sein Bett zu tragen. Indes möge niemand die Nachahmung dieses Befehls Überhebung nennen. Denn er selbst hat gesagt: „Wer an mich glaubt, der wird die Werke tun, die ich tue, und er wird größere als diese tun2.” Und die Erfüllung dieser Verheißung durften wir sehen. Denn der Schatten des Herrn hat niemals ein Wunder gewirkt, aber der Schatten des großen Petrus hat den Tod bezwungen, hat Krankheiten geheilt und Teufel ausgetrieben. Aber der Herr wirkte auch diese Wunder durch seine Diener. Und ebenso wirkt auch jetzt der göttliche Symeon durch Anrufung seines Namens die zahllosen Wunder.
Es wurde von ihm noch ein anderes Wunder gewirkt, das nicht geringer ist als dieses erste. Aus der Zahl der Ismaeliten, die den Glauben an den S. 166 heilbringenden Namen des Herrn Christus angenommen hatten, machte ein angesehener Mann Gott ein Gelübde, wobei er den Symeon zum Zeugen seines Versprechens erwählte. Er gelobte, fernab bis ans Lebensende jeglicher Fleischnahrung sich zu enthalten. Nach einiger Zeit aber wurde er wortbrüchig, indem er ein Huhn schlachtete und es zu verspeisen wagte. Da ihn Gott unter Beschämung bekehren und zugleich seinen Diener, der Zeuge des verletzten Versprechens gewesen, ehren wollte, wurde das Fleisch des Huhnes in Stein verwandelt, so daß er es bei aller Gier nicht mehr verzehren konnte. Denn wer vermöchte Fleisch zu essen, das zu Nahrungszwecken zubereitet und dann in Stein sich gewandelt? Entsetzt über diesen ungewöhnlichen Anblick, eilte der Barbar so schnell er konnte zu dem Heiligen, eröffnete ihm die geheime Sünde und bekannte sein Vergehen vor aller Welt, von Gott Verzeihung erflehend für den Fehltritt. Und den Heiligen rief er als Fürsprecher an, daß er ihn durch allvermögendes Gebet von den Fesseln der Sünde befreie. Viele waren Augenzeugen des Wunders und konnten das Bruststück aus Knochen und Stein betasten.
Ich aber habe nicht nur seine Wunder geschaut, ich habe auch seine Vorhersage der Zukunft gehört. Denn die eingetretene Dürre und die große Unfruchtbarkeit jenes Jahres und die darauf folgende Hungersnot und Seuche kündete er zwei Jahre voraus, indem er erklärte, er habe eine Rute über die Menschen kommen sehen und die durch dieselbe vorbedeutete Geißel. Ein anderes Mal prophezeite er den Einfall von Heuschrecken. Sie würden aber keinen großen Schaden anrichten, da die göttliche Barmherzigkeit auf die Strafe folgte. Nach dreißig Tagen schwirrte eine so unermeßliche Menge heran, daß sie der Sonne Strahlen aufhielt und das Gelände in Schatten legte. Das haben wir alle mit eigenen Augen gesehen. Sie verzehrten aber nur das Futter der Tiere und brachten der Nahrung der Menschen keinen Schaden. Mir sagte er, da ich von jemanden angefeindet wurde, fünfzehn Tage den Tod des Feindes voraus, und die Wahrheit der Vorausverkündigung bestätigte das eingetretene Ende.
S. 167 Andere Begebnisse dieser Art ― und ich kenne deren gar viele ― will ich übergehen, um nicht zu lange zu werden. Aber schon das Gesagte reicht hin, den eindringlichen Scharfblick seines Geistes darzutun.
Sehr angesehen war er auch bei dem Könige der Perser. Denn wie an ihn abgeordnete Boten erzählten, erkundigte er sich angelegentlich nach der Lebensweise des Mannes und nach seinen Wundern. Seine Gattin, sagten sie, habe Öl erbeten, das seinen Segen empfangen, und dieses als das größte Geschenk entgegengenommen. Und die ganze Umgebung des Königs, zu deren Ohren sein Ruf gedrungen war, die aber auch viele Verleumdungen der Magier gegen ihn hören mußte, beschäftigte sich eingehend mit ihm, und nachdem sie die Wahrheit erfahren, nannte sie ihn einen Mann Gottes. Das übrige Volk wandte sich an die Maultiertreiber, die Diener und Soldaten, boten ihnen Geld an mit der Bitte, ihnen gesegnetes Öl zu verschaffen.
Die Königin der Ismaeliten, die unfruchtbar war und nach Kindern verlangte, sandte einige der angesehensten Männer zu ihm mit der Bitte, daß sie Mutter werden möchte. Nachdem ihr Wunsch erfüllt war und sie erreicht hatte, was sie verlangte, nahm sie den neugebornen König und brachte ihn zu dem göttlichen Greise. Da aber die Frauen keinen Zutritt zu ihm hatten, schickte sie das Kind zu ihm hinein und bat um seinen Segen. „ Dein ist diese Garbe,” ließ sie sagen. „Ich habe unter Tränen den Samen des Gebetes dargeboten. Du hast den Samen zur Garbe gemacht, indem du den Regen der göttlichen Gnade durch Fürbitte darauf herabgezogen.”
Doch wie kann ich mich vermessen, die Tiefen des Atlantischen Ozeans zu ergründen? Denn wie diese unermeßlich sind für die Menschen, so spotten der Erzählung die Taten, welche er Tag für Tag vollbringt. Ich aber bewundere vor allem seinen Starkmut. Des Nachts und am Tage steht er da, von allen Leuten gesehen. Türen fehlen, und die Einfriedung ist zum großen Teil abgetragen. Ein neuartiges und wundersames Schauspiel für die Welt! Lange Zeit steht er aufrecht da, und dann begibt er sich in gebeugte Stellung, Gott die S. 168 Anbetung darbringend. Vielfach pflegen die Pilger die Verbeugungen zu zählen. Einmal zählte einer meiner Begleiter eintausendzweihundertvierundvierzig. Dann wurde er müde und stellte die Zählung ein. Wenn er sich aber bückt, neigt er die Stirne stets bis zu den Zehen. Nur einmal in der Woche erhält sein Leib Speise, und das sehr spärlich. So behält der Rücken seine leichte Beweglichkeit.
Man erzählt, daß er sich durch das Stehen eine bösartige Wunde an einem Fuße zugezogen habe, welche beständig sehr viel Eiter ausscheide. Aber alle diese Leiden vermögen seine hohe Tugend nicht ins Wanken zu bringen, sondern starkmütig erträgt er die freiwilligen und unfreiwilligen Qualen und überwindet diese wie jene heldenmütig durch seinen glühenden Eifer. Einmal sah er sich genötigt, diese Wunde jemandem zu zeigen. Ich will die Veranlassung erzählen. Es kam ein braver und im Dienste Christi ausgezeichneter Mann aus Rabäna zu ihm. Auf dem Bergrücken angelangt, fragte er: „Bei der Wahrheit selbst, welche das Menschengeschlecht bekehrt hat, sage mir, ob du ein Mensch bist oder ein unkörperliches Wesen?” Da die anwesenden Pilger über diese Frage sich ungehalten zeigten, gebot er allgemeine Ruhe. Zu jenem aber sprach er: „Warum hast du denn diese Frage gestellt?” Dieser antwortete: „Weil ich alle verkünden höre, daß du weder issest noch schläfst, was doch beides dem Menschen natürlich ist. Und wer diese Natur besitzt, kann ohne Nahrung und Schlaf nicht leben.” Da ließ er eine Leiter an die Säule anlegen und befahl jenem, heraufzusteigen. Zuerst zeigte er ihm seine Hände, und dann hieß er ihn unter das Gewand von Fellen die Hand stecken und wies ihm letztlich die Füße mitsamt der schweren Wunde. Mit Staunen besah der Mann das entsetzliche Geschwür und erfuhr dabei auch, daß der Heilige Nahrung nehme. Von dort suchte er mich auf und erzählte mir das ganze Erlebnis.
An allgemeinen Festtagen gibt er noch einen anderen Beweis seines Starkmutes. Vom Untergange der Sonne bis zu ihrem Wiedererscheinen am östlichen Horizont steht er, die ganze Nacht, mit zum Himmel S. 169 erhobenen Händen, weder vom Schlafe bewältigt noch von der Anstrengung besiegt.
Bei solchen Mühen und bei dem Übermaß von Tugenden und der Menge der Wundertaten ist er so demütigen Sinnes, als wenn er der Unwürdigste aller Menschen wäre. Und zu dieser Demut hin ist er in hohem Grade zugänglich, freundlich und liebenswürdig, antwortet jedem, der sich mit ihm unterhält, mag er Handwerker oder Bettler oder Bauer sein. Auch hat er die Gabe der Belehrung von dem Herrn, dem Spender alles Guten, erhalten. Zweimal am Tage hält er Ansprachen und ergießt den Strom seiner Weisheit in die Ohren der Zuhörer. Gar lieblich unterhält er sich mit den Pilgern, trägt die Lehren des göttlichen Geistes vor, mahnt, nach dem Himmel aufzuschauen und aufzufliegen, sich zu trennen von dem, was auf Erden ist, und das Reich zu betrachten, das wir erwarten, die Drohungen der Hölle zu fürchten, das Irdische zu verachten und des Zukünftigen zu geharren. Man kann ihn auch sehen, wie er Recht spricht und wahre und gerechte Urteilssprüche fällt.
Diese und ähnliche Obliegenheiten pflegt er nach der neunten Stunde zu verrichten. Denn die Nacht und den Tag bis zur neunten Stunde bringt er im Gebete zu. Nach der neunten Stunde trägt er zuerst den Anwesenden die göttliche Lehre vor, dann hört er Bitten an und vollbringt einige Heilungen und schlichtet die ihm von den Parteien vorgelegten Händel. Gegen Sonnenuntergang beginnt er wieder die Unterhaltung mit Gott.
Aber bei all dieser Inanspruchnahme vergißt er nicht die Sorge für die Kirchen. Bald kämpft er wider die heidnische Gottlosigkeit, bald bricht er die Dreistigkeit der Juden, bald zersprengt er die Rotten der Ketzer. So wendet er sich auch in diesen Anliegen an den Kaiser, feuert die Behörden an zum Eifer für Gott, mahnt die Hirten der Kirchen, mehr Sorge ihren Herden zuzuwenden.
Dieses Wenige habe ich geschrieben, um an Tropfen die Regenfülle zu zeigen und die Leser dieser Schrift am Zeigefinger die Süßigkeit des Honigs kosten zu S. 170 lassen. Weit mehr ist, was der Volksmund von ihm kündet. Alles zu berichten, lag nicht in meinem Plane. An wenigen Zügen will ich eines jeden Streiters Lebensart aufzeigen. Andere mögen mehr niederschreiben. Und wenn er noch länger lebt, wird man gar noch größere Wunder buchen. Ich aber wünsche und flehe zu Gott, daß er durch seine Gebete in diesen herrlichen Arbeiten beharre. Er ist die allgemeine Zierde und der Glanz des wahren Glaubens. Möge auch mein Leben geordnet und nach den evangelischen Vorschriften eingerichtet werden!