17. Kap. Der Widerruf der Kaiser.
Im Kampfe mit solchen Leiden wurde er sich der Verbrechen bewußt, welche er gegen die Gottesfürch- S. 403 tigen begangen hatte. Er ging in sich und bekannte zuerst vor dem Gott des Alls seine Schuld, Sodann berief er seinen Hofstaat zu sich und befahl, ohne Zögern die Verfolgung gegen die Christen einzustellen. Auf Grund kaiserlichen Gesetzes und Ediktes sollten sie schleunigst ihre Kirchen wieder aufbauen und die gewohnten Gottesdienste abhalten, betend für das Leben des Kaisers.1 Dem Worte folgte sogleich die Tat. In den Städten wurde ein kaiserlicher Erlaß angeschlagen, der in folgender Weise die Verfolgung gegen uns widerruft:
„Imperator Cäsar Galerius Valerius Maximianus, der Unbesiegte, Augustus, oberster Priester, Besieger der Germanen, Besieger der Ägypter, Besieger der Thebais, fünfmal Besieger der Sarmaten, zweimal Besieger der Perser, sechsmal Besieger der Carpi, Besieger der Armenier, Besieger der Meder, Besieger der Adiabener, zwanzigmal Inhaber der tribunizischen Gewalt, neunmal Imperator, achtmal Konsul, Vater des Vaterlandes, Prokonsul, und Imperator Cäsar Flavius Valerius Konstantinus, der Fromme, der Glückliche, der Unbesiegte, Augustus, oberster Priester, Inhaber der tribunizischen Gewalt,2 fünfmal Imperator, Konsul, Vater des Vaterlandes, Prokonsul, und Imperator Cäsar Valerius Licinianus Licinius, der Fromme, der Glückliche, der Unbesiegte, Augustus, oberster Priester, viermal Inhaber der tribunizischen Gewalt, dreimal Imperator, Konsul, Vater des Vaterlandes, Prokonsul entbieten den Bewohnern ihrer Provinzen Gruß.3 Unter den übrigen Ver- S. 404 ordnungen, die wir zum Wohle und Nutzen des Staates erlassen, haben wir seinerzeit den Willen bekundet, alle Verhältnisse entsprechend den alten Gesetzen und der römischen Staatsverfassung zu ordnen und dafür zu sorgen, daß auch die Christen, die die Religion4 1 ihrer Vorfahren verlassen, wieder zu besserer Einsicht kämen. Aus irgendwelchem Grunde hatte sie solcher Eigenwille5 erfaßt und solche Torheit befallen, daß sie nicht mehr den Bräuchen der Alten folgten, die vielleicht sogar ihre eigenen Ahnen dereinst eingeführt, sondern nach eigenem Gutdünken so, wie jeder wollte, sich selbst Gesetze machten und sich an diese hielten und da und dort bunte Menschenmengen versammelten. Als nun durch uns ein Erlaß erging, der sie zu den von den Vorfahren festgelegten Sitten zurückführen sollte, wurde sehr vielen der Prozeß gemacht, und sehr viele gerieten in Verwirrung und erlitten auf mannigfache Weise den Tod. Und da wir sehen, daß die meisten bei ihrer Torheit beharren und weder den himmlischen Göttern die schuldige Ehrfurcht erweisen noch den Gott der Christen verehren,6 so haben wir geglaubt, mit Rücksicht auf unsere Menschenfreundlichkeit und unsere ständige Gewohnheit, gemäß der wir allen Menschen Nachsicht zu schenken pflegen, auch auf diesen Fall bereitwilligst unsere Gnade ausdehnen zu müssen. Sie sollen also wiederum Christen sein und die Häuser, in denen sie S. 405 sich versammelten, wieder herstellen, jedoch unter der Bedingung, daß sie in keiner Weise gegen die Staatsverfassung handeln. In einem weiteren Schreiben werden wir den Richtern Weisung geben, wie sie sich zu verhalten haben. In Ansehung dieses unseres Gnadenerlasses sollen sie daher zu ihrem Gott für unser Wohlergehen, für das des Volkes und ihr eigenes flehen, damit das Staatswesen in jeder Beziehung unversehrt bleibe und sie sorgenlos in ihren Wohnungen leben können.“7
So lautet das Edikt, das ich aus dem Lateinischen so gut wie möglich ins Griechische übersetzt habe.
Es ist Zeit, das Augenmerk nunmehr auf die sich anschließenden Ereignisse zu richten.
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Leben Konstantins I 57. ↩
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Wie oft er diese Gewalt erhalten hatte, ist aus der handschriftlichen Überlieferung nicht zu erkennen. ↩
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In diesem Praeskript zum folgenden Erlaß stand wohl ursprünglich auch der Regent Maximinus. Er hatte seine Stelle jedenfalls unmittelbar nach Galerius. Die Reihenfolge der Regenten war wohl: Galerius, Maximinus, Konstantinus, Licinius, da man damals die Namen der Regenten nach dem Alter bzw. Range zu stellen pflegte. — Über die Bedeutung der oben aufgezählten Titel, ihre Aufeinanderfolge und normale Gestaltung vgl. Mommsen, „Römisches Staatsrecht“ II3 S, 777 ff.; Liebenam, „Fasti“ 101—103 (ebd. 119 über Galerius, 120 über Licinius und Konstantin). — Über Mängel und Unrichtigkeiten in der Aufzählung obiger Ehren- und Amtstitel vgl. Schwartz z. St. und in Göttinger Nachrichten 1904, S. 524. ↩
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αἵρεσις ↩
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πλεονεξία ↩
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Nach dieser Erklärung bezweckte die Christenverfolgung nicht den Kampf gegen den Christengott. Was er bezweckte, kann vielleicht aus der oben erwähnten πλεονεξία geschlossen werden. Vielleicht hatte auch der Neuplatonismus die Kaiser beeinflußt, zwischen dem Christengott und der christlichen Kirche nicht nur zu unterscheiden, sondern sogar beide als Gegensätze aufzufassen. ↩
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Das lateinische Original des Ediktes (ohne die überschriftliche Nennung der Kaiser) findet sich bei Laktantius, „Über die Todesarten der Verfolger“ 34. — Das Edikt wurde März oder April 311 erlassen; nach Laktantius a. a. O. 35 wurde es am 30. April 311 in Nikomedien öffentlich angeschlagen, — J. Belser, „Grammatisch-kritische Erklärung von Laktantius De mortibus persecutorum cap. 34: „Toleranzedikt des Galerius“ (Progr. Ellwangen 1889); H. Hülle, „Die Toleranzerlasse römischer Kaiser für das Christentum bis zum Jahre 313“ (Dissert. Berlin 1895) S. 41—59; K. Bihlmeyer, „Das Toleranzedikt des Galerius von 311“, in Theol. Quartalschritt 94 (Tübingen 1912) 411—427 und 527—589. ↩