2.
Die göttliche Schule kennt also kein Gesetz für Lobreden; das Zeugnis der Taten gilt ihr als Lobrede, weil dies sowohl zum Lobe der Heiligen genügt, als auch denen, die nach Tugend streben, ausreichend Nutzen bringt. Das Gesetz der Lobreden fordert nämlich, daß man nach dem Vaterland frägt, die Abkunft aufsucht, die Erziehung schildert. Unser Gesetz aber schweigt von den Verwandten und hat ein vollgültiges Zeugnis an dem, was jeder zu eigen hat. Bin ich etwa dann ehrwürdiger, wenn meine Vaterstadt schwere, große Kämpfe bestanden und herrliche Siegesdenkmale errichtet hat? Stehe ich höher, wenn sie eine günstige Lage hat, die im Sommer wie im Winter zusagt? Ist sie auch noch so volkreich und zur Viehzucht wie geschaffen, was habe ich davon? Aber meine Heimat ist auch an Pferdezahl das erste Land unter der Sonne. Doch was können diese Dinge die Tugend eines Menschen ins Licht stellen? Werden wir etwa auch so töricht sein und S. 422 glauben, dadurch, daß wir die benachbarten Berge schildern, wie sie über die Wolken hinausragen und weit hinauf in die Luft reichen, das Lob der Menschen vermehren zu können? Nichts Lächerlicheres auf der Welt, als die Lobreden auf die Gerechten, die doch die ganze Welt für nichts erachten, mit Bagatellen, die sie verachteten, auszustaffieren. Die bloße Erinnerung an sie bringt bleibenden Gewinn. Sie brauchen zu ihrem Ruhm unser Zutun nicht, dagegen tut uns Lebenden die Erinnerung an sie als Vorbilder not. Wie das Leuchten eine natürliche Folgeerscheinung des Feuers und das Duften eine solche der Salbe ist, so folgt guten Taten notwendig der Nutzen.
Indes ist es nicht wertlos, darüber einen wahrheitsgetreuen Bericht zu bekommen, was sich seinerzeit zugetragen hat. Es sind uns ja freilich nur dürftige Mitteilungen über die heroischen Taten des Mannes überliefert worden. Und so will es uns wie den Porträtmalern gehen: Wenn diese ihre Personen nach Bildern malen, so erreichen sie, wie begreiflich, das Urbild meist nicht. Auch für uns, die wir keine persönlichen Zeugen der Geschehnisse sind, besteht die nicht geringe Gefahr, die Wirklichkeit zu verdunkeln. Doch weil nun einmal der Gedächtnistag des Martyrers da ist, des Martyrers, der in seinem Martyrium für Christus so herrlich sich bewährt hat, so wollen wir sagen, was wir wissen.
Er ist in unserer Stadt geboren, und so lieben wir ihn um so mehr, als er uns zur besonderen Zierde gereicht. Wie die Fruchtbäume ihre Früchte dem eigenen Lande gaben, so hat auch er, dem Schoße unseres Landes entsprossen und hier auf den Gipfel des Ruhmes emporgestiegen, eben das Land, das ihn hervorgebracht und großgezogen hat, in den Genuß der Früchte seiner Gottseligkeit gesetzt. Gut sind ja wohl auch die ausländischen Früchte, wenn sie wohlschmeckend und nahrhaft sind; aber viel süßer sind die eigenen und heimatlichen Früchte, weil sie zum Genusse hin dank ihres heimischen Ursprunges uns auch noch zu einem gewissen Stolz berechtigen. Er stand bei einer Elitetruppe, zeichnete sich durch Körperstärke und Mannesmut aus, so daß ihm ein Kommando über einhundert Mann anvertraut wurde. S. 423 Aber als der damalige Herrscher1 seinen Ingrimm und seine Grausamkeit steigerte bis zum Kampfe gegen die Kirche, seine Frevlerhand gegen den Gottessglauben erhob und überall, auf jedem Marktplatze und an jedem bedeutenden Orte Bekanntmachungen und Erlasse anschlagen ließ2, wornach man Christum unter Androhung der Todesstrafe nicht mehr anbeten durfte, wornach die Anbetung und göttliche Verehrung der Götzen und der von Künstlerhand geformten Steine und Holzfiguren unter Androhung der schwersten Strafen befohlen ward, damals, als in der ganzen Stadt ein wildes Chaos herrschte, die Gottesverehrer ausgeplündert wurden, ihr Vermögen geraubt, die Leiber der Christen mit Geißelhieben zerfleischt, Frauen mitten durch die Stadt geschleppt, die Jugend nicht geschont, das Alter nicht geehrt wurde, Unschuldige wie Missetäter gestraft, die Kerker zu enge wurden, die wohnlichen Häuser verödeten und die Einöden mit Flüchtlingen sich füllten, deren Verbrechen die Gottesverehrung war, damals, als der Vater den Sohn verriet und der Sohn den Vater anzeigte, Brüder gegen Brüder wüteten, Sklaven gegen ihre Herren aufstanden, schreckliche Macht das Leben umfing, vor teuflischem Wahnsinn die Menschen einander nicht mehr kannten, die Gebetshäuser von gottlosen Händen niedergerissen, die Altäre umgestürzt wurden, als es weder Opfer noch Rauchwerk noch Opferstätten gab, sondern die Wolke schrecklicher Traurigkeit alles einhüllte, die Diener Gottes vertrieben und der ganze Chor frommer Anbetung gesprengt wurde, die Teufel aber tanzten und alles mit Fettdampf und Blut besudelten — da warf dieser edle Mann, um dem gerichtlichen Zwange zuvorzukommen, seinen Soldatengürtel weg und ging in die Verbannung. Er sah hinweg über Amt, Ruhm, allen Reichtum, Verwandtschaft, Freunde, Diener, Lebensgenuß und alles, was dem Menschen wünschenswert ist, und floh in die verborgensten, von Menschen nicht betretenen Einöden. Er zog das S. 424 Leben mit den wilden Tieren der Gemeinschaft mit den Götzendienern vor — wie einst der Eiferer Elias, der auf den Horeb floh, als er zu Sidon die Abgötterei überhandnehmen sah, dort in einer Höhle wohnte und Gott suchte, bis er den heiß Ersehnten schaute, soweit ein Mensch Gott schauen kann3.
