8.
„Weshalb ratet ihr mir, mich so zu verstellen? Wird mir etwa ein solcher Kunstkniff etwas nützen? Soll ich einige kurze Tage gewinnen und dafür eine ganze Ewigkeit büßen? Soll ich den Schmerzen des Leibes entfliehen und dafür die Güter der Gerechten nicht schauen? Es wäre doch heller Wahnsinn, sich mit Fleiß zugrunde zu richten, mit Lug und Trug die ewige Strafe sich zuzuziehen. Vielmehr will ich euch raten: Wenn ihr böse denket, so lernt die Gottesfurcht; heuchelt ihr aber dem Augenblick entsprechend, so ‚leget die Lüge ab und redet die Wahrheit1‘! Sagt, daß ‚der Herr Jesus Christus in der Herrlichkeit des Vaters ist2‘. Denn diese Worte wird jede Zunge aussprechen, wann ‚im Namen Jesu sich beugen werden alle Knie derer, die im Himmel, auf Erden und unter der Erde sind3‘. Sterbliche sind alle Menschen, aber Martyrer wenige. Laßt uns nicht warten, bis wir tot sind, sondern vom Leben zum Leben übergehen! Warum wartet ihr auf den natürlichen Tod? Er bringt keine Frucht, keinen Gewinn; er ist Tieren und Menschen S. 431 gemein. Denn wer durch die Geburt ins Leben eingetreten ist, den verzehrt entweder das Alter, oder eine Krankheit löst ihn auf, oder ein unvermeidlicher gewaltsamer Unfall rafft ihn hinweg. Da wir nun doch einmal sicher sterben müssen, so laßt uns durch den Tod das Leben verschaffen! Tut freiwillig, was einmal notwendig ist! Schont das Leben nicht, das ihr doch verlieren müßt! Ja, hätte auch das irdische einen gleich ewigen Bestand, so müßten wir uns doch bemühen, es mit dem himmlischen zu vertauschen. Da es aber nur von kurzer Dauer ist und an Wert hinter dem Himmlischen weit zurücksteht, so wäre es ein schrecklicher Wahnsinn, durch einen Übereifer für das Irdische die in den Verheißungen hinterlegten Seligkeiten zu verlieren.“ —
Nachdem Gordius so gesprochen4, bezeichnete er sich mit dem Zeichen des Kreuzes und eilte zur Hinrichtung, ohne die Farbe zu verändern, ohne die Fröhlichkeit des Herzens zu verlieren. Denn er war in einer Stimmung, nicht als ob er sich dem Henker überliefern, sondern den Händen der Engel übergeben wollte, die ihn gleich nach seinem Tode aufnehmen und wie den Lazarus in das selige Leben versetzen würden5. — Wer mag das Geschrei des Volkes schildern? Welcher Donner hat jemals ein solches Rollen aus den Wolken auf die Erde gesandt wie das Getöse, das damals von der Erde zum Himmel hinaufstieg? Dies ist der Kampfplatz jenes gekrönten Kämpfers. Dieser Tag hat jenes wunderbare Schauspiel gesehen, das die Zeit nicht verdunkelt, die Gewohnheit nicht verwischt, die Größe späterer Ereignisse nicht übertroffen hat. Denn wie wir die Sonne immer bewundern, obschon wir sie immer sehen, so bleibt auch das Andenken an jenen Mann immer neu. Denn „im ewigen Andenken wird der Gerechte sein6“, sowohl bei den Menschen auf Erden, S. 432 solange die Erde bestehen wird, als auch im Himmel beim gerechten Richter, dem Ehre und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Eph. 4, 25. ↩
Phil. 2, 11. ↩
Phil. 2, 10. ↩
Selbstverständlich sind die „Worte des Gordius“ eine freie Komposition des Predigers, und auch die hier erzählten Begleitumstände sind zumeist der dichtenden Phantasie des Basilius zuzuschreiben, gesteht er doch selbst in c. 2, nur „dürftige Mitteilungen“ über das Leben des Heiligen überkommen zu haben. ↩
Vgl. Luk. 16, 21. ↩
Ps. 111, 7 [Hebr. Ps. 112, 7]. ↩
